Anpassen, um nicht aufzufallen – Zum Stück „Welches Jahr haben wir gerade“ von Afsane Ehsander

Nicolas Rosat, Sarah Gailer, Sarah Hostettler (oben) in "Welches Jahr haben wir gerade?" von Afsane Ehsandar im Schauspielhaus Zürich. BU: Stefan Pribnow, © Schauspielhaus Zürich, Foto: Raphael Hadad

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). In Afsane Ehsanders Stück „Welches Jahr haben wir gerade“ geht es um Geflüchtete. Die Autorin wurde 1981 im Iran geboren, kam 2014 nach Deutschland und schreibt auf Deutsch.

Auf der Bühne sind zwei Frauen und ein Mann. Beide Frauen sind jung, sehen unterschiedlich aus und sind unterschiedlich gekleidet. Beide sagen nacheinander dieselben Worte. Anfangs spricht nur eine der Frauen, sagt: „Heute morgen bin ich durchgedreht“, erzählt von einem Spaziergang, bei dem sie von der Polizei kontrolliert und übel behandelt wurde.

Die andere Frau kommt dazu, wiederholt Teile von Sätzen. Manchmal beginnt auch die zweite Frau zu erzählen und die erste wiederholt einige Worte. Niemals sprechen sie gleichzeitig. Sie sind nicht dieselbe, sie sind eine Frau, gespalten in zwei Personen, und eine dritte Person ist hörbar als Stimme vom Tonband.

Manchmal singen die Frauen ihre Texte. Dann scheint jede ganz auf sich selbst konzentriert. Auch der Mann singt einmal, ein fröhliches Lied über sein Leibgericht.

Während des Stücks flickt die Frau den Vorderreifen ihres Fahrrads. Anfangs übernimmt der Mann dabei einige Handreichungen, später macht sie alles allein. Sie erzählt, sie habe gekocht und erwarte ihn zum Essen, aber er scheint weit entfernt zu sein. Sie erzählt von ihrem Kind, das schon ein paar Jahre alt ist, aber er wirft ihr vor, das Kind abgetrieben zu haben ohne ihn vorher in Kenntnis zu setzen.

Einmal fragt die Frau: „Welches Jahr haben wir gerade?“ In ihren Erzählungen scheinen sich Vergangenheit und Gegenwart zu vermischen, vielleicht auch mit Ausblicken auf die Zukunft.

Der Mann gibt der Frau Ratschläge für eine Anhörung, die ihr bevorsteht. Damit sie nicht abgeschoben wird, muss sie sich anpassen, vielleicht auch die Haare blond färben.

Sie erzählt, wie sie bei einem Spaziergang zufällig an einen FKK-Strand geraten ist und sich ausgezogen habe, um nicht aufzufallen, und wie sie dann von ihren Landsmännern vor allen anderen gerügt und gedemütigt worden sei.

Die Frau erzählt auch von Menschen, die auf der Flucht im Meer ertrunken sind. Vielleicht ist sie noch gar nicht angekommen, vielleicht hat sie das, wovon sie berichtet, nur von anderen gehört. Das Publikum bekommt keine Aufklärung. Es wird mit hineingezogen in die Ängste und die Verwirrung einer Frau, die sich selbst verliert bei dem verzweifelten Versuch, in einem fremden Land zu einer Fremden zu werden.

Schauplatz der Handlung ist ein leeres Schwimmbecken, das als Werkstatt eingerichtet ist, in der die Heimatlosen ihr neues Leben vorbereiten. (Bühnenbild Marie Luce Theis).

Melanie Huber hat das Stück am Schauspielhaus Zürich sehr einfühlsam inszeniert. Sarah Gailer, Sarah Hostettler und Nicolas Rosat verkörpern die Personen mit sparsamen Gesten, konzentriert auf die poetisch dichte Sprache, die auch in den Tonbandaufnahmen von Isabelle Menke hörbar ist und in der die Emotionen der Protagonistin beklemmend deutlich werden.

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