Den Feinden die geballte Faust zeigen – Annotation zu Erich Mühsams Tagebüchern Teil 9

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Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Willkommen in Erich Mühsams Gefängniszelle. Die bayerische Festungshaft in Niederschönenfeld hat sich für die Münchner Räterepublikaner abermals gesteigert. Ein neuer Fiesling knechtet die Gefangen wo er nur kann. Waren die letzten „Oberaufseher“ noch einigermaßen menschliche Wesen, hat sich der Neue, dessen Namen wir im Schmutz der Geschichte belassen, nichts anderes im Sinn, als die Genossen zu brechen. Er verteilt willkürlich Strafen, entzieht den Hofgang, die Bettstatt, die Besuchserlaubnis. Er zeigt den armen Teufeln um Erich, dass er sie für menschlichen Abfall hält, denen kein Mitleid geschenkt werden darf. Mühsam hat sehr mit der Wahrung der menschlichen Würde zu tun, zudem die KPD-Zentrale von ihm verlangt, im Sinne des Klassenkampfs zu lügen und sich an ihre Direktiven zu halten. Da er sich weigert, versucht ihn die KPD mundtot zu machen. Freunde wenden sich ab, auch weil die KPD gezielt Lügengeschichten streut. Mühsam befindet sich in einer tiefen Isolation und einer Depression, seine Gesundheit schwindet. All das lässt ihn um sein Leben fürchten. Mühsam schwankt, Mühsam liegt darnieder. Doch sein Wille ist ungebrochen. Schließlich erhebt er sich und zeigt den Feinden (und seine Welt besteht fast nur aus Feinden) die geballte Faust.

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Erich Mühsam, Tagebücher 9., 1921-1922, Leinen mit Leseband, 512 Seiten, Verbrecher Verlag, Berlin 2016, ISBN: 3-9404-2685-7, Preis: 32 Euro

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