Mittendrin im Geschehen! – Die neue Palazzo-Dinnershow überzeugt mit excellenter Musik zu einem phantastisch-märchenhaftem Programm, dazu serviert Kolja Kleeberg ein Vier-Gang-Menü

© 2015, Foto: Fritz H. Köser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Palazzo Berlin feiert 2016 das 10jährige Jubiläum mit Gastgeber Hans-Peter Wodarz. Sternekoch Kolja Kleeberg ist seit vier Jahren dabei. Manche munkelten, dass in den vergangenen Jahren die Musik der Schwachpunkt des Erfolgskonzeptes aus artistisch-schaupielerischer Bühnen- und Manegeshow und delikaten Gaumengenüssen mit Vier-Gang-Schaltung sei. Fest steht: Diese Saison ist die Musik überragend, sowohl von der Band her – den deutsch-kanadischen „Lonely Hearts“ – als auch vor allem vom Gesang.

In dem manchen wohlbekannten Spiegelzelt mit seinen Rottönen, das einem den Alltag gleich vergessen macht, präsentieren internationale Spitzenkünstler zwei Stunden (!) eines unterhaltsam-mitreißenden Programms, Trapezkunst, Tanz an der Stange, wilde Gelage, ergreifende Liebesszenen, musicalartige Einlagen, Weltklasse-Steptanz – you name it.

Da der ganze Abend locker dreieinhalb bis vier Stunden dauern kann und mit der Einlasszeit, die man stilvoll im Foyer verbringen kann und die die Vorfreude schürt, noch eine Stunde hinzukommt, kann nicht die ganze Zeit getanzt werden – schließlich isst das Auge mit und man möchte während jedes Ganges die Augen auf die wohlfeil angerichteten Köstlichkeiten richten. Dann kommen die Clowns an den Tisch und der König reitet durch die Gänge am Tisch vorbei und im Vordergrund-Hintergrund – wie will man das bei einem runden Zelt schon so genau bestimmen? – erklingt die unglaubliche Stimme von Denise Beiler, die den Höchstleistungen noch einmal einen draufsetzt.

Diese Stimme allein ist schon Grund genug, den Zelt-Palast zu besuchen. Die Österreicherin Beiler „hat Musik im Blut“. Ihre Superkurzhaarfrisur ist Geschmackssache, doch ist Denise Beiler vor allen Dingen hier, um das Ohr zu betören. Zum 10-Jährigen, da sind sich alle einig, schießt der Gesang den Vogel ab.

In einer Gesellschaft, die auf das Visuelle fokussiert ist, fällt das Akustische manchmal hinten runter. Der Song „Video kills …“ läuft zwar auch im Radio, aber die Aussage bleibt: Mit dem Aufkommen des Fernsehens verloren die Sender Hörer, denn gehört wird jetzt mehr über den Fernsehlautsprecher. Sogar bei Blinden läuft der Fernseher den ganzen Tag. An dem Primat des Auges über das Ohr, des Fernsehens über das Radio kommt man nicht vorbei.

Umso erstaunlicher, wenn dann eine Stimme erklingt, die aufhorchen lässt, so dass man zuhören will, dem Gesprächspartner beim Reden Einhalt gebietet, die Lautsprecher lauter dreht oder sucht, woher der Klang kommt.

Jocelyn B. Smith hat so eine Stimme, und Denise Beiler auch. Selbst inmitten des Palazzo-Palastes, dessen 1.200 Spiegel in erster Linie das Licht und die Bilder reflektieren, inmitten eines Augenschmauses, der einen vom essen abhält, da schon wieder etwas auf der Bühne oder in den Gängen passiert, ist plötzlich das Hören wichtiger. Hier im „Spiegelpalast“ läuft kein Radiogerät, also sucht man die Stimme, findet das Gesicht dazu, und lauscht. Denise Beiler singt in den „Manegenpausen“ UND während der Vorstellungen zwischen den Gängen. Allein die Ausdauer verdient Respekt.

Man sich stelle vor, man wäre Juror bei einer Casting-Show. Das erste Lied war schon sehr gut, und aus purer Lust am Weiterhören fragt man: „Können Sie auch noch etwas anderes?“ Und diese Frage würde man immer und immer wieder wiederholen. Denn Beilers Repertoire ist groß und das Stimmvolumen wird nur von der Bandbreite übertroffen.

Eine Künstlerin, die zu beobachten sich lohnt. Während der Finanzkrise machte sie ihren Abschluss an der Popakademie Mannheim, trat dann mit Bühnengrößen wie Jason Derulo und Eros Ramazotti auf. In diesem Jahr gab es einen Soloauftritt vor tausenden Besuchern zwischen den österreichischen Bergen in Innsbruck.

Beste Qualität aus Kanada

Gerechterweise muss man sagen, dass die anderen Musiker und Artisten auch erste Sahne sind. So Scott Whites „Lonely-Hearts“-Band mit Stephan Bienwald an der Gitarre, Tobias Tinker als Mann am Klavier und Waldhorn und dem Schlagzeuger Kay Lübke. Die Bandmitglieder sind aus der Bundesrepublik Deutschland und Kanada. Die Namen hat man schon gehört? Selbstverständlich! Die Lonely-Hearts-Club-Band erinnert an die Beatles und Sergeant Pepper; und die vier Jungs der Lonely Hearts sind Palazzo-Altstars, die untreu wurden.

Apropos Canada: Nachdem sich das Gezeter um Ceta etwas gelegt hat, sollte man sich darauf konzentrieren, welche Spitzenimporte aus dem Land des Ahorns kommen.

Faon Shane brilliert an den Luftketten. Die Kanadierin tourte schon im zarten Alter von sieben Jahren durch die Welt, denn ihre Eltern sind Mitbegründer des „Cirque du Soleil“. In Montreal ging sie an die École nationale de cirque und danach wieder mit dem ‚Sonnenzirkus‘ Cirque du Soleil auf Tournee, jüngst mit der Show „Quidam“.
Die Luftketten sind eine ganz eigene Disziplin, die sie für sich und das Publikum geschaffen hat, nachdem sie mit verschiedenen Luftgeräten experimentiert hatte.

Aus Kanada, dem Land zwischen den Ozeanen, stammt auch der Hula-Hoop-Künstler William Jutras. Lange als Sportturner erfolgreich, besuchte er anschließend die École de cirque de Québec, die er 2013 bestand.

Valérie & Mason heißt das Duo, das einem den Atem stocken lässt. Was Mason Ames als Kind am liebsten tat? Jonglieren. Damit trat er beim „Circus Smirkus“, einem Jugendzirkus, und dem „Midnight Circus“ auf. Früh entschied er sich dafür, den Beruf des Zirkusartisten zu ergreifen.
Für seine Partnerin Valérie Benoît war das nicht gleich ganz so klar. Die Turnerin widmete sich der Gymnastik.
2005 traf sich das Paar bei einem Vorsprechen für die École nationale de cirque in Montreal. Heute arbeiten sie Hand in Hand zusammen, ob er auch um ihre Hand anhielt, tut hier nichts zur Sache.
Im „Palazzo“ zeigen die beiden symbiotisch auftretenden Artisten eine tolle Show aus der Rubrik „Hand auf Hand“.

100%iges Vertrauen, wenn nicht pure Liebe sind die Grundlage ihres Auftritts. Sie scheint das größere Risiko einzugehen. Eben noch steht die Frau in großer Höhe auf seiner Handfläche, schon wirbelt sie durch die Luft. Knapp über dem Boden bewegt sich mit großer Geschwindigkeit ihr Kopf. Angst und Bange wird einem um das Wohlbefinden, die Gesundheit, ja – das Leben des schönen, jungen Paares.
Er hat sehr starke Arme und einen Oberkörper, wie ihn sich alle wünschen. Sie ist durchtrainiert, aber nicht abgemagert. Die Ästhetik eines schönen Frauenkörpers bleibt erhalten. Hier wird nicht bis zum Anschlag jedes Gramm gespart. Die Kanadier arbeiten scheinbar mühelos und geschmeidig mit Kraft und Können. Valérie Benoît kommt aus dem Gymnastikturnen und der damit verbundenen Körperbeherrschung. Ein Augenschmaus. Absolut sehenswert.

Obwohl wir hier nicht bei Olympia sind, bleiben wir bei der kanadischen Mannschaft. Die besteht nämlich weder aus einem Einer-Canadier, noch aus einem Zweier.
Die auch aus der französischsprachigen Provinz Québec stammende Marjorie Nantel ist ein Multitalent unter den Artisten. Sie absolvierte die Montrealer Nationale Zirkusschule École nationale de cirque gleich in drei Sparten: Akrobatik, Tanz und Clownerie.
Vielleicht haben sie ihr markantes, schönes Gesicht schön einmal im Cirque du Soleil oder einem anderen Varieté gesehen.
Nach Berlin bringt sie das frei hängende Vertikaltuch mit, an dem sie nicht nachahmbare Bewegungen zeigt.
Kontorsion ist für sie in dieser Saison das zweite Schlagwort. Wer meint, dass man sich im Beruf nicht verbiegen sollte: Für Marjorie Nantel gilt das nicht!

Last not least Olivia Weinstein. Das kleine Kraftpaket belegte mit vier Jahren einen Akrobatikkurs, stolperte und ging dorthin, wo das Stolpern System hat: zu den Clowns. Sie war an der gleichen Schule wie die Meisterin der Luftketten Faon Shane und Senkrechttuch-Verbiegerin Marjorie Nantel. Im Programmheft steht: „Weinstein besticht durch eine unglaubliche Energie und eine unbändig positive Ausstrahlung, die einfach ansteckend ist“. Davon kann man jedes Wort unterschreiben. Im Schweiße ihres Angesichts lächelt sie nach vier Stunden noch mehr als vorher, eilt von Act zu Act und von Grimasse zu Grimasse. Sie gewinnt die Herzen im Sturm und bleibt auf jeden Fall in Erinnerung.

Die Vier Mächte sind repräsentiert

Berlin ist eine internationale Stadt, und die diesjährige Palazzo-Jubiläums-Show spiegelt das wider. Mehrere Künstler vertreten die Mächte der Vier-Mächte-Stadt. Der König – wen wundert’s – kommt aus dem einzigen Land des Quartetts, das noch einen Monarchen hat. Das Vereinigte Königreich hat eine Königin, aber im Palazzo kommt aus England ein König: der King. Sein Name: Jean-Pierre Poisonnet. Kein Druckfehler! Denn die Franzosen im Team sind Französinnen: Pauline Hachette bildet mit dem Argentinier Juan Pablo Palacios das Fangstuhl-Duo „Década Volatile“. Im Hintergrund wirkte die Choereographin Deborah Dorzile – Daybee Dee, die bereits mit Mariah Carey zusammenarbeitete.
Kanadier sind Amerikaner. Doch waschecht aus den USA kommt Poki – Matthew McCorkle. Seine Aufgabe – vergleiche mit der Weltpolitik sind rein zufällig – ist die Illusion.
Die Berliner Geschichte kennt den sowjetischen Sektor. Die Sowjetunion ist Geschichte und in viele Teile zersplittert. Aber die Menschen sind noch da, Anton Belyakov zum Beispiel. Sein Herkunftsland nennt sich heute Russische Föderation. Er brilliert im Handstand, lässt die Muskeln spielen, dass es eine Freude ist. Welchem Geschlecht die Muskelpakete an seinem nackten Oberkörper besser gefallen, wissen wir nicht.
Odessa ist ein Hauptstadt der Stepper. Die ukrainischen Zwillinge Roman & Slava beherrschen den Steptanz perfekt und mit großer Leichtigkeit und Humor. Ihr Zwillingsdasein nutzen sie auch mal für eine Spiegelpantomime – wie gesagt, Palazzo Berlin spielt im Spiegelpalast.
Idee und Regie: Maximilian Rambaek, Regieassistenz: Tim Schneider. Der musikalische Leiter ist Chris Német; die drei stammen aus deutschen Landen.
Etwas aus der Reihe, auch optisch, schlägt der Spanier Omar Cortes Gonzales mit seiner Strapatennummer. Er ist übrigens ein echter Olympionik: Schon mit 14 als Turner in der Nationalmannschaft, war er mehrfach spanischer Meister und Finalist bei den Olympischen Spielen in Sydney.

Das Vier-Gang-Gourmet-Menü – vegetarisch oder nicht-vegetarisch

Vorbei die Zeiten, dass es in der Gastronomie hieß: Vegetarisch? Können wir Ihnen zurechtmachen. Dann wurde der Schweinebraten weggelassen, aus der Suppe mit der Kelle die Hackbällchen herausgefischt und der Speck in den Bratkartoffeln vergessen.

2016 sieht die Sache anders aus. Eine vegane Welle nach der nächsten ist durchs Land gerollt. Vegan ist so „in“, dass in jedem Supermarkt, der auf sich hält, ein Extra-Regal seht und das Wort „vegan“ häufiger ist als der Begriff „vegetarisch“. Wer heute mit dem Fleischessen aufhört, wird gleich Veganer. Das Gute daran: Gute Zeiten für den Gaumen sind angebrochen.

Das für „Palazzo“ traditionelle Vier-Gang-Menü gibt es in zwei Varianten – betrachten wir zuerst das neue vegetarische Gourmet-Menü: Die Vorspeise ist ein libanesischer Brotsalat mit Spinat, Rosinen und Schafskäse. Gesunde Ernährung – Eisen ohne Ende und Kraft, die für Pop-Eye reicht. Zum Zwischengang gibt es Rote-Bete-Karottensuppe mit Ingwer und Orange. Gesundheit gewinnt und „Ginger“ ist in der kalten Jahreszeit bei den Abwehrkräften immer willkommen. Nicht zu scharf im Abgang, für Gourmets eben.

Als Hauptgang wird ein orientalischer Gemüsestrudel gereicht, begleitet von Kreuzkümmel-Joghurt und getrockneten Aprikosen. Man bleibt geschmacklich im Nahen Osten und tut gleichzeitig etwas für den Körper. Kreuzkümmel für ein langes Leben und besonders magnesiumhaltiges Trockenobst tragen dazu bei.

Der Vierte Gang ist identisch bei beiden Menüs, ob nun fleischlos oder nicht: Das Dessert besteht aus einem mystischen Schoko-Kuchen mit dem angemessenen Namen „Königin von Saba“ plus delikaten eingelegten Kirschen an Stracciatellaeis.

Womit wir beim Vier-Gang-Gourmet-Menü für die Mehrheit angekommen wären.

Der Erste Gang ist Thunfischtatar (mit Zitronen-Kräuter-Sauce), ein Avocado-Oliven-Salat und Minz-Taboulé. Sind die Portionen so klein oder scheint es einem nur so, weil alles so lecker ist?
Das rote Spiegelzelt ist gut geheizt, sehr angenehm. Das kühlende Taboulé kommt also zupass und der Gaumen bleibt im Orient.

Zum Zwischengang steht die gleiche Suppe auf der Karte wie bei den Vegetariern, nur mit feinen, kleinen Jakobsmuscheln.

Der Dritte Gang ist der Hauptgang. Was es da wohl gibt? Kolja Kleeberg plaudert aus dem Nähkästchen: Einmal im vergangenen Jahrviert hat er versucht, ohne das legendäre Großgeflügel auszukommen. Dann scherte er ganz schnell wieder auf die Hauptstraße ein, statt sich Wegzuducken. Für manchen keine Überraschung: Es gibt Ente.
Aber was für eine! Das muss man erst mal hinkriegen! Eine deliziöse confierte Entenkeule die, wäre man nicht in Gesellschaft, man mit Haut und Haaren verschlingen möchte. Mit Feigensauce, Chicorée, mediterranem Granatapfel und Kartoffelkrapfen. Dazu sollte man nichts sagen, das sollte man genießen und dabei nicht sprechen. Dass der Teller zu schnell leer wird, versteht sich von selbst.

Spätestens beim Dessert sind dann alle Sinne bedient worden und man lehnt sich wohlig zurück, um den Ohren- und Augenschmaus weiter in sich aufzusaugen.

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