Scheitern als Chance – Premiere des Films „Chance 2000 – Abschied von Deutschland“ von Christoph Schlingensief, geschnitten von Kathrin Krottenthaler

Eine Ansicht der Volksbühne Berlin (Archivbild). Quelle: Pixabay

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Endlich. Der Film ist fertig. Er trägt den Titel „Chance 2000 – Abschied von Deutschland“, ist von und mit Christoph Schlingensief, genauer und laut Newsletter der Volksbühne Berlin vom 19. Juni 2017 voll von „weitgehend unveröffentlichtem Material von Christoph Schlingensief und Sibylle Dahrendorf“, das von Kathrin Krottenthaler geschnittenen wurde.

Kalaschniki der erste Stunde, die sich mit Schlingensief und vielen Famosen in die Niederungen der Partei- und Parlamentspolitik begaben, um nicht nur am Wolfgangsee hohe Wellen schlagen zu lassen, werden den Film gucken und – wenn je nach Erfordernissen der Revolution, Liebe und Poesie – für „Kulturexpresso“ kritisieren. Schlimmer noch als im wunderbaren Politmagazin „Kalaschnkow“. Auf einer der Titelseite prangte tatsächlich der Aufruf „Trötet Christoph Schlingensief“.

Ein „Querschläger“ erreichte die Partei Chance 2000, die Parolen wie „Wähle dich selbst“ und „Scheitern als Chance“ oder „Rettet die Marktwirtschaft, schmeißt das Geld weg“ 1998 in einem Zirkuszelt gegründet wurde. Wir waren mittenmang dabei; genauer: im Zelt, nicht in der Partei. Kein Wunder – wir waren freischaffende Linksextremisten.

Andere zogen Monate die Kunstaktion Chance 2000 durch, wobei man die Partei bei den Wahlen zum Reichstag 1999 ankreuzen konnte. 56 000 wahlberechtigte Männer und Frauen taten das und votierten auf ihre Weise für die „Anerkennung von Arbeitslosigkeit als Beruf“.

Nach der Wahl war Kohl nicht mehr Kanzler. Mit Schröder kam die Resterampe der Republik vom Regen in die Traufe. Schlingensief entzog sich dem. In der besagten Volksbühnen-Mitteilung klingt das dann so: „Für Schlingensief mündete das großangelegte ‚Wahldebakel‘ in den Versuch, einen eigenen, nicht territorial gebundenen Staat auszurufen, um die Autonomie des vom demokratischen Staat in die Politik und Bürokratie gezwungenen Künstlers wiederherzustellen und sich den diesbezüglichen Verstrickungen zu entziehen. Die Partei wurde verkauft, der ‚Abschied von Deutschland‘ beschlossen. Seit dieser Zeit lebte Schlingensief, wo er auch war, im Exil…“

Wer sich erinnern möchte, der versammle sich am 27. Juni 2017 mit Veteranen von Chance 2000 in der Volksbühne und „beschäftige sich nach der Filmvorführung mit der politischen Lage und den Chancen ästhetischer Praxis heute“.

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