Von Magdeburg bis nach Marseille – Annotation zu „Glückskind mit Vater“ von Christoph Hein

© Suhrkamp

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „Marseille war ärmlich und heruntergekommen, aber Magdeburg war einfach häßlich. Es war noch immer eine vom Krieg zerstörte Stadt… Das alte Magdeburg gab es nicht mehr, nun war es eine Brachlandschaft mit immer gleichen, hellgrauen Betonkästen.“

Wenn wir diese Zeilen lesen, ist der über 500 Seiten starke Roman schon weit fortgeschritten. Ist der Junge Constantin längst kein Junge mehr und sein Aufbruch endgültig vorbei. Über der zweiten Hälfte des Buches könnte der Titel „Abwärts“ stehen.

Was hat das Ganze mit einem Glückskind zu tun? Es ist eine uneingelöste Verheißung, ein Versprechen der hoffenden Mutter, die sich fatalerweise an den falschen Mann gebunden hatte. Constantin, kurz vor dem Kriegsende 1945 geboren und zeitlebens mit dem nie gekannten Vater verknüpft, muss für dessen Kriegsverbrechen sühnen. Eine Flucht in den Westen bis nach Marseille bringt dem Jungen kein Entkommen, kein wirkliches Glück. Keine Freiheit, nirgends.

Christoph Hein entfaltet ein lebhaftes wie grauenvolles Panorama der deutsch-deutschen Wirklichkeit letzter Jahrzehnte. Noch einmal gehen wir mit dem Jungen Constantin zurück in die Aufbruchsjahre der DDR, in die Wirtschaftswunderzeit der BRD, in die wundersame Welt französischer Partisanen-Veteranen. Immer mit dem Blick eines Außenseiters, eines Verfemten, der überall unerwünscht ist. Warum er zurückkehrt in die Enge realsozialistischen Kleinbürgertums, wie sich sein weiterer Lebensweg bis in die jüngste Zeit gestaltet, sollten Sie sich unbedingt von einem der Großmeister deutscher Gegenwartsliteratur erzählen lassen.

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Christoph Hein, Glückskind mit Vater, Roman, 527 Seiten, Suhrkamp, 2016, ISBN: 978-3-518-42517-6, Preis: 22,95 EUR (D), 23,60 EUR (A) und 32,90 SFr

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