Wenn das Leben selbst Romane schreibt – „Persilus und Sigismunda“ von Cervantes in einer neuen Prachtausgabe

© AB – Die andere Bibliothek

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Längst gehort sein Roman „Don Quijote“ zum Kanon der sogenannten Weltliteratur: Vor gut 400 Jahren starb Miguel de Cervantes Saavedra in Madrid an den Folgen seiner Diabetes. Das beschädigte Leben des Autors und Abenteurers fand in dem unmittelbar vor seinem Tode abgeschlossenen Roman „Die Irrfahrten von Persiles und Sigismunda“ einen würdigen Abschluss. Vor kurzem erschien im Verlag „Die andere Bibliothek“ ein limitierter, prachtvoll edierter Band dieses Spätwerkes.

Die Handlung dieses abenteuerlichen Liebesromans als fulminant zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung: Das Epos, das der Autor selbst sein bedeutendstes Werk nannte, steht dem Ereignisreichtum von Cervantes’ eigener Lebensgeschichte in nichts nach. Erzählt wird die Geschichte des schönen Königsohnes Persiles von Thule der sich unsterblich und vice versa in die nicht minder schöne Königstochter Sigismunda von Frislandia verliebt. Es waren zwei Königskinder: Bevor sich die beiden füreinander Bestimmten kriegen, passiert natürlich so allerhandlei; eine wahre Odyssee der Irrungen und Wirrungen.

Die Liebenden werden in der rohen, kalten Welt des Nordens von einer Insel zur nächsten getrieben, von Piraten entführt, verhext, ausgesetzt, gefangen, zum Opfertod bestimmt und auf seltsam-wunderliche Weise wieder freigesetzt. Ihr Schiff sinkt, sie werden voneinander getrennt, durch ein mildes Schicksal wieder zusammengeführt und gelangen schließlich an die Küste von Portugal, von wo aus sie auf dem Landweg und durch ein weit weniger gefahrvolles und weniger feuchtkaltes Land ihre Pilgerfahrt fortsetzen. Denn ihr Ziel ist Rom, das Zentrum der christlichen Welt, wo sie die Bestätigung ihres wahren Glaubens und zugleich, nach letzten Fährnissen, ihr privates Glück finden.

Sieht man sich die Lebensgeschichte Cervantes’ an, so fällt auf, dass der Autor so manches Detail seinem eigenen, zuweilen aberwitzigen Lebensweg entlehnt haben mag. Mit Anfang 20 zog Cervantes in den Krieg, kämpfte 1571 bei Lepanto mit, in einer der großen Seeschlachten der Weltgeschichte, in der die kaiserlich-venezianische Flotte die Türken besiegte.Von drei Arkebusenkugeln an der linken Hand verstümmelt, geriet er auf der Rückreise in die Hände muslimischer Korsaren, verbrachte fünf Jahre als Sklave in Algier, ehe er vom Trinitarierorden ausgelöst wurde.

Danach ergriff er nacheinander nolens volens die Berufe des Getreideaufkäufers und Steuereinnehmers, beides bei den Bauern verhasste Gewerbe, was ihn zweimal hinter Gitter brachte. Immer hatte Cervantes Schulden, immer wieder war er in teure Prozesse verwickelt. Auch in einen literarischen Kampf: Als Theaterautor stand er zu Lebzeiten immer im Schatten des damals alles überragenden Lope de Vega.

Auch in „Persilus und Sigismunda“ kommt es immer wieder zu unerwarteten Twists der Handlung oder zur Begegnung mit merkwürdigen Existenzen, die ihrerseits eine eigene seltsame Geschichte zu bieten haben, die natürlich stante pede ausführlichst erzählt werden müssen. Sehr oft haben diese Geschichten etwas mit dem Verhältnis der Geschlechter zu tun. Es geht um versprochene Ehen, Entführungen, vorehelichen Sex und mörderische Rivalität. Als modern darf gelten, dass der Roman durchaus für Liebesheirat und Selbstbestimmung der Frau eintritt.

Modern ist auch die geradezu paneuropäisch anmutende Ansammlung von Personen, die Cervantes beschreibt: Von Norwegern über Polen bis hin zu Portugiesen kommen viele Nationalitäten vor. Es fehlt nicht an Bezügen zum Heute, so beispielsweise die Verhinderung eines Ehrenmordes und der Umgang mit Fremden und Flüchtlingen, von denen es damals, 1560, auch nicht gerade wenige gab).

„Persiles und Sigismunda“ wurde seinerzeit recht schnell zu einem Verkaufsschlager, wobei natürlich damals nur die Wenigsten lesen konnten. Als Roman vielgelobt, geriet das Werk im Laufe der Zeit in Vergessenheit und war im Buchhandel lange Zeit nicht mehr erhältlich. Die nunmehr zehnte Übersetzung von Petra Strien ist jetzt bei der „Anderen Bibliothek“ erschienen und das in einer modernen und verständlichen Sprache. Ein wahrer Schatz von einem Buch!

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Miguel de Cervantes, Die Irrfahrten von Persiles und Sigismunda, aus dem Spanischen übersetzt und mit kommentierenden Anmerkungen versehen von Petra Strien, mit einem Nachwort von Gerhard Poppenberg, 600 Seiten, Originalausgabe, nummeriert und limitiert, Buchgestalter: Hug & Eberlein, türkis schillernder Bezug, mit farbig gestaltetem Vor- und Nachsatzpapier, zweifarbiger Druck im Buch, Fadenheftung, Lesebändchen, Verlag Die andere Bibliothek, ISBN: 9783847703761, Preis: 42,00 EUR

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