Benni Bürgerschreck im Wettbewerb der 69. Berlinale – „Systemsprenger“ zeigt ein gestörtes Kind in einem überforderten System

Helena Zengel in „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt. © kineo Film / Weydemann Bros. / Yunus Roy Imer

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Diese weißblonden Haare, diese meerblauen Augen, die kleine Bernadette (Helena Zengel) lässt selbst den härtesten Stein erweichen. Wie süß, wie putzig. Ein unschuldiges, kleines Muster-Mädchen wie aus einem Katalog, auf den ersten Blick. Doch plötzlich verwandelt dieser Traum aller Eltern in ein schreiendes, um sich schlagendes Monster, in einem Bruchteil von Sekunden, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. „Benni“, wie sich selber nennt, neigt zu plötzlichen Gewaltausbrüchen. Ihre Umwelt leidet darunter. Und sie selbst.

Der gelungene Film „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt bietet tiefe Einblicke in die Kinder- und Jugendhilfe der heutigen Zeit. Keine Einrichtung kommt mit Benni auf Dauer klar, sie fliegt überall raus. Das will sie auch so, sie will zu ihrer Mutter zurück. Doch die macht Benni Versprechungen, die sie dann später nicht halten kann. Ein Schulbegleiter versucht es mit einer Auszeit in einer einsamen Waldhütte, vergebens. Kaum zurück, ist Benni wieder ganz die Alte. Nun muss ihre einstige Pflegemutter wieder ran. Doch da ist nun ein zweites Kind, das sich bald im Krankenhaus widerfindet. Es droht die Psychiatrie.

„Systemsprenger“ ist nichts für schwache Nerven, er zeigt viel Brutalität. Und zugleich eine beachtliche darstellerische Leistung, insbesondere bei der jungen Helena Zengel. Was Benni und ihre Umwelt durchmachen, wurde auch sonst filmisch gekonnt umgesetzt. Bei den Gewaltausbrüchen etwa sieht nicht nur Benni rot, die Farbe flackert dann zu ohrenbetäubendem Gekreische auf der Leinwand. Ansonsten ist, im übertragenen Sinne, viel Grau zu sehen. Der Film malt eben nicht schwarzweiß, legt sich nicht auf plumpe Rollenmuster fest. Schon gar nicht gibt es einen „Bad Guy“, gerade die Betreuer erscheinen mehr oder weniger human und verständnisvoll, sofern das noch möglich ist. Doch zugleich wirken alle überfordert, die Betreuer, Benni, ihre Mutter – das ganze System. Ein Film ohne Happy End. Manchmal gibt es eben keine Lösung.

Filmografische Angaben

Originaltitel: Systemsprenger
Originalsprache: Deutsch
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Nora Fingscheidt
Buch: Nora Fingscheidt
Kamera: Yunus Roy Imer
Schnitt: Stephan Bechinger, Julia Kovalenko
Musik: John Gürtler
Darsteller: Helena Zengel, Albrecht Schuch,Gabriela Maria Schmeide, Lisa Hagemeister, Victoria Trauttmansdorff, Maryam Zaree, Tedros Teclebrhan, Asad Schwarz
Produktion: Peter Hartwig, Jonas Weydemann, Jakob D. Weydemann
Länge: 118 Minuten

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