„Ich bin Brasilianer“ – Wagner Moura inszeniert mit seinem Debütfilm Marighella einen politischen Thriller, mit dem er bis zur letzten Minute zu fesseln weiß

Szene aus dem Film "Marighella". © O2 Filmes

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Ein Merkmal des diesjährigen Wettbewerbs der 69. Berlinale war, das viele Filme eine Dauer von um zwei Stunden hatten. Diese Spielfilmlänge ist an sich nichts Ungewöhnliches. Doch nur wenige konnten diese auf eine Weise mit Spannung füllen wie Wagner Moura mit seine brasilianischen Berlinale-Beitrag „Marighella“, der gut und gerne zweieinhalb Stunden im Lichtspielhaus lief.

Das lag wohl daran, dass „Marighella“ ein politischer Actionfilm ist und sich zugleich mit einem geschichtlich relevanten Thema auseinandersetzt, nämlich der Militärdiktatur in Brasilien in den Jahren von 1964 bis 1985.

Dabei verrät der Titel des Films Eingeweihten, worum es geht, also um den brasilianischen Revolutionär und Stadtguerilliero Carlos Marighella. Als Brasilien 1964 durch einen Staatsstreich zur Diktatur transformiert, ist dies der Startschuss für Befreiungskämpfe, für Kämpf gegen die Unterdrückung im Allgemeinen und für eine freie demokratische Gesellschaft. Marighella war der wichtigste Theoretiker der These, die Guerilla müsse vom Land in die Stadt, in die Metropolen, in den Metropolenkapitalismus geführt werden. Der 1911 in Salvador da Bahia geborene Marighella wurde am 4. November 1969 in Brasilien in einem Hinterhalt von Militärs erschossen

Szene aus dem Film „Marighella“. © O2 Filmes

Fidel Castro scheint mit seiner Revolution auf der Karibikinsel Kuba für Mariguell Pate gestanden zu haben. Er und seine Gruppe voll junger Anhänger überfallen Züge, um an Waffen zu kommen, rauben Banken aus, die Revolution muss schließlich finanziert werden, verüben Anschläge und werfen Flugblätter aus, um die brasilianische Bevölkerung aufzuklären und auf ihre Seite des Kampfes zu ziehen.

Die Militärpolizei, inbesondere der Offizier Lúcio, der als Gegenspieler agiert, ist Marighella ständig auf den Versen und zugleich bemüht, dem brasilianischen Volk weiß zu machen, das keine revolutionäre Bewegung existiert. Auch Marighella muss aufpassen, beispielsweise darauf, dass er seinen Sohn nicht gefährdet, für den zuliebe er diesen Kampf führt. Die Sippe kann nicht nur in Haft genommen werden, ist nicht nur Angriffsfläche, sondern Angelpunkt, um an den
Guerillero heranzukommen.

Szene aus dem Film „Marighella“. © O2 Filmes

„Marighella“ ist der Debütfilm des brasilianischen Schauspielers Wagner Moura (Tropa de Elite). Und hier ist ihm ein bemerkenswertes Erstlingswerk gelungen. Es ist ein Actionfilm der stringend von der ersten bis zur letzten Minute spannend erzählt ist, viele Handlungsschauplätze, Rollen und Actionszenen beinhaltet und dem das zentrale Thema des Films, der Kampf gegen Unterdrückung und Gewalt und für eine demokratisches Rechtssystem, am Herzen liegt. Außerdem nimmt er Bezug auf die aktuelle politische Lage in Brasilien, wo junge Schwarze täglich in den Favelas von der Polizei getötet werden und eine als Rechter verschrieener Kandidat kürzlich Präsident wurde.

Es ist da fast ein bisschen schade, dass der Film außer Konkurrenz läuft. Nicht dass er einen der großen Preise gewinnen sollte oder könnte, doch er wäre zumindest ein Kandiat für den besten Debutfilm. Dafür hebt er sich Handwerklich deutlich vom Rest der Debutfilme ab. Zu kritisieren ist, dass er in seiner Inszenierung ein bisschen zu sehr auf Mainstream getrimmt und die Darstellung der Verhältnisse etwas zu einseitig gezeichnet ist. Es gibt den klaren Gegensatz Gut gegen Böse, das mögen manche albern oder althergebracht finden, aber längst nicht alle. Hier die für Freiheit kämpfenden Guerilleros, und da der böse Polizeistaat.

Szene aus dem Film „Marighella“. © O2 Filmes

„Ich bin Brasilianer“, antwortet er einem Reporter, als dieser ihn nach seiner revolutionären Gesinnung fragt. Der Befreiungskampf der Internationalisten war immer ein nationaler. Dass der Film eine Heldenverehrung ist, dem eine leicht militanter Beigeschmack anhaftet, das ist nicht schlimm, das ist eine Hommage. Zugleich ist er, vielleicht typisch brasilianisch, mit sehr viel Leidenschaft und Emotion gestaltet. Das lässt sich nicht leugnen und nimmt den Zuschauer ein und lässt ihn über den einen oder anderen Kritikpunkt hinwegsehen, damit der Funke der Leidenschaft von der Leinwand überspringt.

Am Ende sagt ein Folterer einem von Marighellas Mitstreitern: „Ihr habt verloren“. Die Antwort erschallt: „Nein, ihr habt verloren“. Gleichzeitig werden in einem Haus auf dem Lande die Waffen ausgepackt. Die Freiheitskämpfer rufen die Parole aus: „Der Kampf wird weitergehen.“

Diese Mischung aus politischem Actionfilm und Leidenschaft ist nicht oft im Kino zu sehen. Gefühle wie diese haben nur wenige andere Filme im Wettbewerb der 69. Berlinale erzeugt. Auch deswegen ist „Marighella“ ein abwechslungreiches Gegenstück, der in der Tat „außer Konkurrenz“ lief.

Filmografische Angaben

  • Originaltitel: Marighella
  • Land: Brasilien
  • Jahr: 2019
  • Regie, Buch: Wagner Moura
  • Darsteller: Seu Jorge, Andriana Esteves, Bruno Gagliasso, Luiz Carlos Vasconcelos, Humberto Carrao, Jorge Paz, Bella Camero, Herson Capri, Henrique Vieira.
  • Dauer: 155 Minuten

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