Revolutionär oder Nationalheld – Das Eisenacher Bachhaus zeigt äußerst unterschiedliche Büsten des Komponisten

Johann Sebastian Bach.
Ein Denkmal für Johann Sebastian Bach. Quelle: Pixabay

Eisenach, Deutschland (Kulturexpresso). Wie Johann Sebastian Bach tatsächlich aussah, weiß man nicht. Das gibt jeder Generation Gelegenheit, sich ihr eigenes Bild von dem Komponisten zu machen. Ob ehrwürdige Perücke oder frecher Kurzhaarschnitt – die bildliche Darstellung Bachs hat sich im Einklang mit dem Zeitgeist gewandelt.

Dieser Prozess lässt sich im Eisenacher Bachhaus nachvollziehen, wo vor rund zwei Wochen zum 333. Bach-Geburtstag einige Büsten aus verschiedenen Zeiten aufgestellt wurden. Sie stehen im Eingangsbereich. Während man im Café Kantate einen schokoladenüberzogenen Bachwürfel isst, kann man eingehend vergleichen.

Die älteste Darstellung, von Felix Mendelssohn als „prächtiges Perückengesicht“ bezeichnet, bildete 1843 das weltweit erste Bach-Denkmal in Leipzig. Der Komponist blickt hier ernst unter wuchtigen Augenbrauen hervor; ganz der ehrfurchtgebietende Nationalheilige.

30 Jahre später entstand die Büste von Aurelio Micheli, die mit ihrem Elfenbein-Glanz die Antike-Faszination ihrer Zeit widerspiegelt. Aus den 1920-ern wiederum stammt das Terrakotta-Modell der, die Bachs Löckchen mit Jugendstil-Ornamenten verziert.

„Das Bach-Bild hat über die Jahrhunderte hinweg zahlreiche außermusikalische, auch ideologische Erwartungen absorbiert“, sagt der Bachhaus-Direktor Jörg Hansen. „Das trifft auch auf jene Werke zu, die sich den Erwartungen ihrer Zeit nicht anpassen.“

Hansen verweist auf zwei Büsten aus der DDR, die 1985 aus Anlass des 300. Bach-Geburtstages entstanden und sich quer zur offiziellen Sicht auf den Komponisten stellten.

Bernd Göbel zeigt den jungen Komponisten; mit kurzen Haaren, sensibel und verletzlich. Bach lümmelt gerade in Nullbock-Attitüde auf einem Meilenstein; so sieht man ihn auf dem dazugehörigen Denkmal in Arnstadt. „Bach trotzt der Obrigkeit; das war in der DDR die übliche Interpretation, die auch bei Göbel zur Anwendung kam“, erklärt Jörg Hansen. „Es war eine Herausforderung, Bach in die DDR-Kulturgeschichte einzubetten. Also machte man ihn zum aufklärerischen Revolutionär und konzentrierte sich auf die Konzerte und die weltlichen Kantaten. Der Kirchenmusiker blieb eher links liegen.“

Die meterhohe und zwei Zentner schwere Eichenholz-Skulptur des Leipziger Künstler Gerhard Kurt Müller passt nicht in dieses Bild. Müller zeigt Bach ohne Perücke, mit hängenden Mundwinkeln und zu schmalen Schlitzen verengten Augen. „Ich sehe hier den total in sich abgekapselten Mystiker. Alle Projektionen scheinen an ihm abzuprallen“, interpretiert Bachhaus-Direktor Hansen die Skulptur, die Müller für das 1985 eröffnete Bach-Museum in Leipzig schuf.

„Ich hörte damals viel Bach. Seine Musik nahm ich als blockhaft wahr: einfach formiert und zugleich eindrucksvoll kompliziert“, erinnert sich der inzwischen 91-jährige Künstler. „Ich war davon so begeistert, dass ich mich an eine Skulptur des Komponisten wagte. Sie sollte aus einem Block gefertigt und nicht aus weichem Material zusammengepappt sein.“

Sein Arbeitsgrundlage, einen riesigen Eichenblock, entdeckte Müller bei einem Spaziergang am Waldrand; in der Nähe von Erfurt, wo er damals lebte. „Ich brachte ihn gleich in meine Garage“, erzählt er. „Das war aber Diebstahl, denn er gehörte jemandem, der daraus Parkett machen wollte. Wir konnten uns zum Glück einigen.“ Nach langer, harter Arbeit am Eichenholz wurde das Ergebnis vom Leipziger Bach-Museum abgelehnt. „Der guckt zu traurig, hieß es“, sagt Müller. „Ich war schockiert, so abgefertigt zu werden.“
Die Skulptur landete zunächst im Archiv. Nach der Wende wurde sie ein paar Jahre gezeigt; mal schmückte sie das Büro des Leipziger Kulturbürgermeisters. „Schließlich wandte ich mich nach Eisenach“, so Müller. „Ich bin sehr froh, dass mein Werk im Bachhaus einen guten Platz gefunden hat.“

Zwei Meter daneben findet sich ein weiterer Grund zur Freude: Hier hängt Johannes Heisigs Gemälde „So kämpfet nun, ihr munteren Töne“, das den Organisten Bach in der Leipziger Thomaskirche zeigt. Das Bild entstand 2004, als der Maler Stadtgast in Eisenach war. „Wir zeigen es seit 2011 als Leihgabe“, sagt der Bachhaus-Leiter Jörg Hansen. „Nun konnten wir es erwerben.“

Müller und Heisig – die beiden Bach-Darstellungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Während die Holzfigur in sich selbst versinkt, ist der Gemalte beim Orgeln so temperamentvoll zugange, dass die Perückenlocken verrutschen.

Anzeige

Vorheriger ArtikelHommage an ein Sammlerleben – Die Sammlung Brabant im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden
Nächster ArtikelGeschichte auf dem Bürgersteig – Ein Flohmarktfund führte dazu, dass Rüdersdorf bei Berlin nun seine ersten Stolpersteine hat