„Seien wir ein Hafen!“ – Kann ein Roman über die Flüchtlingsroute Mittelmeer gelingen? Ja!

Elena Messner: In die Transitzone, © Edition Atelier

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „Wenige der Toten, die sie aus dem Wasser holten, waren unversehrt, da gab es alles: zertrümmerte Kiefer, zerquetsche Schädel, entstellte Gliedmaßen.“

Spätestens an dieser Stelle wird klar, mit dem Fischerboot auf dem Cover und seinen lustig abblätternden Farben an einem Urlaubsmeer hat dieses Buch wirklich gar nichts zu tun. Beim zweiten Hinsehen fällt erst der dunkel Gewitterhimmel ins Auge, der hinter dem Boot vom Meer her gekrochen kommt. Die imaginäre Stadt Makrique am südlichen Rand Europas ist Schauplatz des Romans. Eine Transitzone, eine Todeszone. Eine Hafenstadt, die nicht mehr funktioniert. Wenn ein Schiff gesichtet wird, heißt es nichts gutes, es wird Tote geben. Unruhen, kaputte oder nicht funktionierende Infrastruktur, Abwanderung, Gewalt, Korruption und Bestattungen namenloser Menschen prägen das Gesicht Makriques, als Daniel, und mit ihm der Leser, ankommt.
Zugespitzt entfaltet sich in diesem Roman das Horrorszenario einer nicht abreißenden Fluchtwelle nach Europa, ihre direkten Auswirkungen im Mikrokosmos einer Hafenstadt.

In knapper, präziser Sprache erzählt Elena Messner von einer Katastrophe, die wie eine Naturgewalt über die Stadt herein bricht. Makrique dürfte dem südfranzösischen Marseille nachempfunden sein, wo Elena Messner an der Universität lehrt. Nach ihrem Debütroman „Das lange Echo“ erschien nun „In die Transitzone“ im Wiener Verlag Edition Atelier. Die 1983 geborene Autorin errichtet ein überschaubares Figurenensemble um Daniel, meist starke Frauen, die sich engagieren. Den wenigen Überlebenden helfen. Ohne Hautfarben zu erwähnen oder zu kennzeichnen, schildert Messner Menschliches. Wer hilft wem warum. Wer lässt sich korrumpieren, kaufen, verdrängen. Daniel, dessen eigentlicher Auftrag in den Hintergrund gerät, schließt sich den Aktivistinnen an, stromert durch verlassene Hotels und Häuser, baut aus den Bruchstücken des Erlebten sein Bild einer Wirklichkeit, die viel mit unserer zu tun hat. Dennoch verzerrt wirkt, zugespitzt.

Die Farben, Gerüche und Temperatur der Mittelmeerstadt sind fühlbar geschildert, jedoch nie sentimental. Der Wechsel von verschachtelten Sätzen mit genauen Beobachtungen zu kurzen Aussagen bildet einen perfekten Rhythmus. Einen Sog. Das Buch ist kaum aus der Hand zu legen. Messner zieht uns hinein in den verschwitzten Alptraum der Transitzone. Große Fragen unserer Zeit werden leichter Hand aufgeworfen, uns vor Augen geschmettert – was ist ein Menschenleben wert?

Daniel, der auf einer der zahllosen Ansprachen seiner neuen Freundinnen gebeten wird, etwas ins Mikrofon zu sagen, ruft den Menschen zu „Seien wir ein Hafen“ – eine bessere Botschaft kann Literatur kaum formulieren!

* * *

Elena Messner, In die Transitzone, Roman, 2010 Seiten, Edition Atelier, Wien, 2016, ISBN 978-3-903005-21-1, Preis: 20 Euro

Anzeige

Vorheriger Artikel„Im Sommer wohnt er unten“ – Gegen Berliner Winterblues mit einer turbulenten Familientrouble-Komödie an der Côte d’Azur
Nächster ArtikelSprachverlust als Drogenrausch – Ein weißrussischer Zukunftsroman als Groteske