Vom Zeitvertreib der politischen Häftlinge im sowjetischen Gefangenenlager kurz vor der Perestroika – Annotation zum Buch „Heiliges Dunkel“ von Lewan Berdsenischwili

Lewan Berdsenischwili: Heiliges Dunkel, Die letzen Tage des Gulag. © Mitteldeutscher Verlag

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Lewan Berdsenischwili ist ein knorker Schelm. Der Georgier saß samt Bruder und diversen großartigen Geistern ein paar Jahre im Gulag.

Die Sowjetunion pfiff auf dem letzten Loch, es war nicht mehr der stalinsche Terror, trotzdem ist jeder Tag als politischer Häftling im Knast einer zu viel. Zumal das Vergehen der beiden Brüder, die Gründung einer demokratischen Partei Georgiens, ein zutiefst demokratisches gewesen ist. Von 1984 bis 1987 war Lewan Berdsenischwili als politischer Häftling wegen »Antisowjetischer Agitation und Propaganda« in einem Gefangenenlager inhaftiert. Vorher war er Direktor der georgischen Nationalbibliothek und Dozent für antike Literatur an der staatlichen Universität Tbilissi. 1953 geboren, stand er im besten Alter. Im Lager, der „Zone“, traf er Gleichgesinnte aus allen Ecken der damaligen Sowjetunion. Russen, Balten, Ukrainer, Armenier, Juden usw. Lewan Berdsenischwili hat Heiliges Dunkel geschrieben, um den Lagerinsassen ein Denkmal zu setzen und ihren Angelegenheiten einen Sinn zu geben: „Es ist kein Buch über mich, sondern über die Menschen, die ich kennen und lieben gelernt habe. Vielleicht erkennen einige von ihnen sich nicht wieder, denn die Erzählungen enthalten mehr Wahrheiten über sie, als sie selber wissen oder zu wissen glauben. Es ist ein Buch nicht nur über das Traumatische dieser Erfahrung, sondern auch das Glück des Austauschs mit sehr unterschiedlichen Menschen, denen dasselbe Los zuteilgeworden war.“

Das gelingt ihm aufs trefflichste, mit feinem Humor zeichnet er den Alltag und vor allen die wundervollen Gespräche über Politik, Literatur, Philosophie nach. Feine Schelmen- und Lausbubengeschichten stehen neben härtester Knastprosa und schlimmen Geschichten von Terror und unendlich langer Gefangenschaft. Starkes Buch, der Leser wankt zwischen Tränen des Mitleids und der Freude über herrlich komische Geschichten. Am Ende der jeweiligen Geschichten, die den Spitznamen der Protagonisten tragen, erfahren wir, wie es in der Freiheit mit den Lagerheiligen weiter ging. Mitunter unfassbar skurril, aber lest selbst. Lest unbedingt selbst!

Bibliographische Angaben

Lewan Berdsenischwili, Heiliges Dunkel, Die letzten Tage des Gulag, 264 Seiten, Deutsch von Christine Hengevoß, Dokumentarfiktion, Format: 135 x 210 cm, Mitteldeutscher Verlag, Halle, März 2018, ISBN: 3-954-6299-16, Preis: 25 EUR

Anzeige

Vorheriger ArtikelWas der Punk aus Menschen macht – Annotation zum Buch „Yesterday`s Kids“ von Tim Hackemack
Nächster Artikel„Muttis Erben“ in Potsdam. Lothar Beutin liest im Kirchsteigfeld