Was bleibt. Photographin Dagmar Gester ist in ihrer EMOP-Ausstellung „Fluchtgepäck“ zu sprechen

© 2016, Foto: Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der „EMOP“, der europäische Monat der Photographie, lag im Oktober. Kike Arnals Ausstellung „Voladores“ und viele andere lockten an. Dabei haben wohl die wenigsten Besucher ALLE Ausstellungen besucht. Wer es noch nicht geschafft hat, Dagmar Gesters „Fluchtgepäck“ -Ausstellung „Was bleibt“ zu besuchen, hat Zeit bis Ende November. Am meisten lohnt es sich am 16. November, wenn die Künstlerin vor Ort zum Gespräch bereit ist. Dank dieser Verlängerung entspannt sich die Lage.

Entspannung im weitesten Sinne suchen der Migrant und der Flüchtling. Eine Verbesserung der Lage. Ruhe zu finden, ein gutes Leben oder eine Pause zwischen Überlebenskampf und Überlebensangst, bis sich die Lage am Ausgangspunkt, meist in der Heimat, beruhigt hat, um das Leben in gewohnter Umgebung mit den Nachbarn und Verwandten, der Muttersprache und dem Klima, an das sich der Körper gewöhnt hatte, wieder aufzunehmen; oder am neuen Ort zu bleiben, so man denn willkommen ist und ein Auskommen hat.

Auf die emotionalen Aspekte der Trennung von der Heimat und den geliebten Menschen hat bei einer ausstellungsbegleitenden Veranstaltung am 28. Oktober die unter anderem in Wedding tätige Psychologin Dorothea Zimmermann hingewiesen. Sie erklärte den Anwesenden den Traumabegriff und sprach lange in großer Runde Allgemeines und Praktisch-Konkretes für die Einzelfälle an. Anschließend machten die Leute der Runde alle Ehre, indem alle, die wollten und konnten, im Kreis tanzten.

Neben den Gefühlen gibt es rein praktische Aspekte.

Wie komme ich hier weg? Was kostet das? Was nehme ich mit?

Letzteres stand bei der Journalistin und Photographin Dagmar Gester in doppelten Sinn im Fokus. Die Ausstellung „Was bleibt. Fluchtgepäck“ zeigt Stillleben von Dingen, die Menschen auf ihrer Flucht mitgenommen haben. Dass die Gegenstände, die ausgewählt wurden, nicht immer praktisch sind oder „logischen“ Kriterien standhalten, versteht sich von selbst. Dennoch überrascht der Gegenstand auf dem Photo häufig. Einerseits denkt man, wie unwichtig ein bestimmtes Ding sein kann. Zum anderen erkennt man bei manchen Dingen eine Motivation, die der eigenen ähnelt.
Jedes Photo sitzt mit einem kleineren Passepartout im Rahmen und hebt, grenzt sich noch einmal vom Rand ab.
Der bekannte Gegenstand, seine Auswahl, kann rein emotionale Gründe haben.
Anderes wird im Alltag benutzt, wieder anderes als Schmuck oder doch ständig bei sich getragen. Wie ein Amulett, wie eine Rückfahrkarte in die einst gewisse Sicherheit.

Meine Geschichte, deine Geschichte, unsere Geschichte – es geht immer um menschliche Schicksale, wenn wir über Migration reden. „Was kann künstlerische Fotografie zeigen und wie kann ein guter Dialog mit dem Publikum entstehen?“
Für ihr Werk wählt Gester die extreme Reduzierung auf das materiell Essentielle des Heimat- und Identitätsverlusts; sie konzentriert sich auf das, was bei den Menschen bleibt: ihr Gepäck, ihr Fluchtgepäck. Die Photographien zeigen durch Erinnerungen oder anderes personalisierte Objekte. Gester sagt, dass diese „eigene Assoziationsräume eröffnen“.
Dagmar Gester lebt und arbeitet als Photografin und Journalistin in Berlin und Sofia. In ihrem photographischen Werk thematisiert sie die sich ändernden sozioökonomischen Lebenswirklichkeiten und die Strategien der Menschen im Umgang damit. Vor ihrer photographischen Karriere war sie für internationale Hilfsorganisationen im ehemaligen Jugoslawien tätig. Seitdem gilt ihr besonderes Interesse den Menschen, die einen Heimatverlust erleiden.

Kurz vor dem Ende der Schau steht am 24. 11. noch die Finissage auf dem Programm, nonvisuell umrahmt von Weltmusik der Ohrpiraten; das ist leisere Musik. Passend zu dem leisen Thema, das nachdenklich macht.
Gefördert wurde die Photoausstellung durch die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und die Bürgerstiftung Neukölln.

„Was bleibt. Fluchtgepäck“ – Fotografien von Dagmar Gester
+ Gespräch mit der Künstlerin/ „Artist Talk“: 16. November 2016, 17 Uhr
+ Finissage: 24. November 2016, 19 Uhr
Ausstellungsdauer: bis 30. November 2016
Ort: „Nachbarschaftstreff im Schillerkiez“, Mahlower Straße 27, 12049 Berlin (Neukölln)
Öffnungszeiten: Mo bis Fr 12 -20 Uhr, Sa und So auf Anfrage
Anreise: Bahnhof Boddinstraße an der U-Bahn-Linie U8, Busse 104 und 166

Mehr Infos zur Ausstellung im Katalog des EMOP und im Netz:
http://www.emop-berlin.eu/de/ausstellungen/ausstellung/was-bleibt/#Was_bleibt

Eine Ausstellung in Koffern, die Fluchtgepäck aus den 30er Jahren symbolisiert:

Letzte Chance. Ausstellung „Letzte Zuflucht Mexiko“ im Rathaus Kreuzberg an der Yorckstraße endet

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