Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Die Berlinale positioniert sich gern als Filmfestival mit politischen Inhalten. Höchst unterschiedlich die Blickwinkel und Sichtweisen. „Fuocoammare“ beispielsweise ist im Wettbewerb ein fulminanter Film auch über die Flüchtlingstragödien vor und auf Lampedusa – aber nicht nur.
Der italienische Beitrag von Gianfranco Rosi zeigt beide Welten, die traditionelle wie aktuelle auf der abgelegenen Insel zwischen zwei Kontinenten. Dr. Bartolo praktiziert als Arzt mit genau gleicher freundlich fachlicher Hingabe gegenüber den Patienten einer ihm unverständlich gebärenden Hemisphäre wie dem kleinen Hypochonder Samuele. Der Schlingel jagt Singvögel bis er, halb blind, einsichtig wird und sie im Lichtschein streichelt. Alltagserleben hier, Asylantendasein dort – gleich nebenan. Aber gefühlt meilenweit voneinander entfernt. Das Wunschkonzert mit herzzerreißenden Schnulzen im lokalen Radio – das vielstimmige Lamento der weithin Vertriebenen aus dem Lager: Lampedusa als ein Beispiel für bereits bestehende Parralelwelten.
Krieg, Flucht, Vertreibung, Integration sind bestimmende Themen der Berlinale. „Havarie“ von Philip Scheffner öffnet die Sinne, da er den Blick nicht einengt auf eine vorher festgelegte Richtung oder die Story nur einspurig erzählt. Basismaterial ist ein drei Minuten kurzes Video von Bord der „Adventure of the Seas“ auf Kreuzfahrt. Zu sehen ist ein Boot mit Menschen auf dem Wasser. Hinterfragt werden unsere voreiligen Zuordnungen. Wer sagte uns denn dies seien Flüchtlinge? Zu erkennen ist es aus dieser Entfernung nicht. „Meteorstraße“ dagegen will von vornherein geradlinig aufzeigen, befördert deshalb leider nur Vorurteile der rechtsradikalen Szene. Mohammed genannt Mo wohnt mit dem älteren Bruder Lakhdar, einem Kleinkriminellen, am Rande des Flughafens Tegel und der deutschen Gesellschaft. Sein Versuch sich in der Männerwelt der Motorradwerkstatt zu integrieren scheitert – trotz guten Willens. Wie er sich im Wald aus einem weggeworfenen Pappkarton den Gebetsteppich formt ist mit die beste weil überraschendste Szene. Zerrissen zwischen Beirut und Berlin flieht er zur neuen Familie – in die Fremdenlegion.
„Meteorstraße“ von Aline Fischer war dieses Jahr Eröffnungsfilm der „Perspektive Deutsches Kino“. Darin liefen aber auch Werke wie „Agonie“, die Zuschauer verstört und verunsichert und somit nachhaltig in die Realität abseits der Leinwand entließen. David Clay Diaz schildert in seinem Film das Lieben und Leiden von zwei jungen Österreichern in Wien, welche sich nicht begegnen. „Jede Zusammenführung währe konstruiert, und ich sah darin keinen Mehrzweck, außer die Erwartungshaltung des Zuschauers die aus seiner Sehgewohnheit entsteht, zu befriedigen. Die Figuren treffen sich nie und genau das finde ich spannend“ meinte der Regisseur im Interview zum Presse-Briefing. „Das heißt aber nicht, dass sie (Christian und Alex) nichts miteinander zu tun haben, oder sich gar widersprechen. Ich denke, dass sich beide auf fruchtbare und spannende Weise ergänzen. Sie erweitern das Spektrum.“ Wobei die Geschichte von Christian der seine Liebhaberin, chronologisch betrachtet, völlig unerwartet den Hals durchschneidet, ihre Leiche in Einzelteile zerstückelt welche er in diverse Müllbehälter wirft – wohl leider allein wegen der Sensationsgier mehr Interesse findet. Wobei die Agonie von Alex noch beängstigender ist.
Ins Leitthema der 66. Berlinale passten auch der serbische Beitrag „Dubina Dva“ und „Yarden“ aus Schweden im Forum, „Mariupolis“ aus der Ukraine und „Europe, She Loves“ im Panorama. Und „Soy Nero“ natürlich, der in wüsten Grenzregionen spielte, am Zaun in Mexiko und einem Posten im arabischen Niemandsland – mit dem Motto im Abspann. Generell blieb der Wettbewerb um die Bären, den goldenen wie die silbernen, so doch eher schwach besetzt. Da war man als Macher der Berlinale wohl wie bei der misslungenen Literaturverfilmung „Alone in Berlin“ gern kulant bei der Auswahl. Genial dagegen „Genius“, ein Wunschkandidat für mehrere Bären, und „A Quiet Passion“ im Berlinale Special. Furios zugleich kurios – aber immer mit großem Herzen und gut gespieltem erstaunten Blick wieder die Sichtweise von Michael Moore, diesmal in „Where To Invade Next“. Als ein Eroberer reist er von Land zu Land und pflanzt die amerikanische Flagge wo er friedlich Besitz nimmt von herausragenden Ideen um diese zu Hause in den USA auszusäen. Manche würden wir wohl auch gerne bei uns Frucht tragen sehen. Wo doch unsere Idee für viele wieder nur Unkraut zu sein scheint.