[Hellas Filmbox] Gewaltiges Werk: Sounds of Vladivostok von Marios Joannou Elia ist ein Filmkonzert

Der griechische, zypriotische oder griechisch-zypriotische Komponist Marios Joannou Elia von
Der griechisch-zypriotische Musikus Marios Joannou Elia am 28. Januar 2018 auf dem griechischen Filmfest Hellas-Filmbox. Er komponierte "Sounds of Vladivostok". © 2018, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Dr. Marios Joannou Elia spricht so gut deutsch, dass man ihn für einen Deutschen halten kann. Beim Boxtalk am Bergfest der Hellas Filmbox brauchte er nicht nur keinen Dolmetscher, sondern konnte sich selbst und andere übersetzen. Das neue Format der griechischen Filmfests „Hellas Filmbox“ beinhaltet Podiumsdiskussionen mit anschließendem Publikumsgespräch. Am 26. Januar ging es um „Zyprisches Kino“. Dr. Elia war dabei, da er auch aus Zypern stammt. Sein Filmwerk Sounds of Vladivostok (Klänge Wladiwostoks) wurde am Eröffnungsabend vorgestellt. Ein kurzes Feuerwerk von Bildern mit realen Klängen. Oder sollte man sagen, ein Feuerwerk von Klängen, die von Bildern untermalt wurden?

Beim „Boxtalk“-Gepräch am Freitag wurde Joannou Elia als „Filmemacher“ bezeichnet. Doch das wollte er sogleich richtigstellen. „Ich bin Komponist“. Und, um die Verwirrung aufzuklären etwas ausholend: „Ich habe aus mehreren Gründen diese Form gewählt. (Film, d. Red.) Einer der Gründe, warum ich meine Komposition filmisch einbinden musste, ist, dass es keine andere Möglichkeit gab, das Projekt umzusetzen“.

Bei diesem Projekt hat Nikolas Kostis gefilmt und als Cutter fungiert. Im Abspann könnte also stehen: Kamera Nikolas Kostis, Schnitt Nikolas Kostis. Oder DoP (Director of Photography). Aber bei diesem Projekt lief umständehalber alles anders. Wer ist der Regisseur? Nicht umsonst war bei dem Podiumsgespräch Dr. Elias Name gefallen. War es Panajotis Kouparanis gewesen, der Gesprächsleiter, der ihn erwähnt hatte? Oder Andreas Pantzis? Elias Demetriou?
Wer immer es war, hatte nicht ganz unrecht. Joannou Elia hatte eine Art Gesamtleitung bei diesem außergewöhnlichen Projekt.

Es kommt darauf an, sich von den Schubladen zu lösen, in denen wir denken.
Regie, Grip, Casting. Bereits, wenn es darum geht, bei einem normalen Film den Unterschied zwischen einem Kameramann und einem DoP zu erläutern, kommen viele in Erklärungsnöte.

Was soll man bei diesem Projekt „Sounds of Vladivostok“ schon sagen? Wo selbst Joannou Elia keine kurzen, eindeutigen Antworten geben kann? Vielleicht ist es zu viel gesagt, dass hier eine neue Kunstform erfunden wurde. Doch ein großer Teil der durchweg positiven Aufnahme dieses Musikstücks beruht auf der Idee.
Die Zuschauer sahen etwas, das es so noch nie gab, und wurden nicht nur unterhalten, sondern waren bei der Geburtsstunde etwas genuin Neuen dabei. Und warum soll das nicht an der Küste des größten Meeres entstanden sein, den unser blauer Planet zu bieten hat?
Auch die Sonne geht im Osten auf.

Einen Künstler, der die Lieder singt, die er verfasst hat, nennt man Singer-Songwriter. Wie soll man einen Komponisten nennen, der sein Stück dirigiert, das aber auch visuell umgesetzt wird? Dirigent-Director? Regisseurdirigent? Komposit-Dirigeur?

In der Sowjetunion hagelte es Kombinationen von Silben in Kurzwörtern. Gazprom ist so ein gebliebenes Beispiel. Es gab sogar den Frauennamen Zheldora, aus der überschwenglichen Begeisterung, die der Eisenbahn (Zheleznaja Doroga) entgegengebracht wurde, in einem Land, das, wie wir noch sehen werden, aus klimatischen Gründen Schwierigkeiten in der Selbstversorgung auf dem Seeweg hat.

Wenn schon eine neue Kunstform erfunden wurde, warum dann nicht auch ein Begriff für den Schöpfer eines Werkes, das in diese Kategorie fällt? Komdirreg, Regdirkom oder Dirregkom? Reg Dir nicht auf, komm und komponier‘ was!
Das reinste Komponiergehabe.

Beim Opening Event am 24.Januar gezeigt, wurde das Musikstück und Filmwerk auf vielfachen Wunsch unplanmäßig an einem späteren Festivaltag wiederholt.

An der Küste des Stillen Ozeans: Sounds of Vladivostok

Die Stadt Wladiwostok (betont auf der letzten Silbe; andere Umschrift des Kyrillischen: Vladivostok) beherrscht den Osten. Die Hafenstadt ist eine mächtige Marinebasis der russischen Pazifikflotte und beherbergt den größten Hafen der Atommacht am Stillen Ozean. Sie ist keine Millionenstadt; es gibt etwa 600.000 Einwohner. Der Name teilt sich auf in wladi und wostok, beides hinten betont, wodurch das vorletzte ‚o‘ nach ‚a‘ klingt. Bei wladi handelt es sich um einen Imperativ von „beherrschen“. Einige kennen vielleicht das Wort „wlast“ mit dem selben Stamm, das unter anderem „Macht“ bedeutet. Zusammen ergibt sich „beherrsche den Osten“.

Russland, obwohl größtes Land der Welt, immer schon knapp an ganzjährig eisfreien Häfen, profitiert möglicherweise vorübergehend von der weltweiten Erwärmung (global warming).

Solange das Eis regiert, werden die Klänge Wladiwostoks, die Sounds of Vladivostok, zu hören sein

In der Zeit der jungen Sowjetunion sollten Expeditionen und Testfahrten mit mehreren Schiffen durch das Eismeer zeigen, dass der Seeweg an der Nordküste Russlands Zeit spart. Doch das Unternehmen stellte sich als zu gewagt heraus. Wetterumschwung führte dazu, dass Schiffe verlorengingen und die Männer gerettet werden mussten, was sich als fast unmöglich erwies. Daraufhin sahen die Verantwortlichen über Jahrzehnte von solchen Vorhaben ab.

Erst die teils atomgetriebenen Eisbrecher schafften den Durchbruch. Ihnen folgten im Schlepptau die Frachter. Doch auch dieses Spielchen kann man im tiefsten Nordhalbkugelwinter nicht ewig durchführen. Abgesehen von den hohen Kosten friert der Kanal im Eis manchmal einfach wieder zu schnell zu, so dass die Frachtschiffe trotz Begleitung verlorengehen können. Oder einfach wochen- oder monatelang festsitzen, was unwirtschaftlich ist.

Solange der Weg „obenherum“ versperrt ist, kommen Murmansk und Wladiwostok höchste Bedeutung zu.

Dr. Marios Joannou Elia hielt sich mehrere Monate in der Stadt an der Ostküste Sibiriens auf. Sibirien, welches in drei große geographische Räume aufgeteilt wird, ist der Grund, dass sowohl die UdSSR als auch die Russische Föderation in etwa neun Zeitzonen unterteilt sind. Nordasien besteht praktisch nur aus Sibirien, das lediglich ein Teil Russlands ist, aber auch noch Platz bietet für die Republik Sacha (Jakutien) und ein jüdisches autonomes Gebiet.

Die Stadt selbst liegt mitten in der Peter-der-Große-Bucht am Südende einer Halbinsel. Vorgelagert die Insel Russki, dazwischen der östliche Bosporus. Die Peter-der-Große-Bucht hat zwei markante Teile, zwischen denen Wladiwostok liegt. Die Amur- und Ussuribucht. Die Stadt orientiert sich eher nach Westen zur Amurbucht.

Zweimal Goldenes Horn

Das Goldene Horn (Zolotoj oder Solotoi rog) ist die mitten in der Innenstadt liegende, gekrümmte Hafenbucht Wladiwostoks und der Hauptexistenzgrund für die Ansiedlung.

Die Namensgebung geschah in Anlehnung an das Goldene Horn in Kleinasien. Es ist ein gekrümmter Wurmfortsatz, der vom Bosporus abgeht. Das ursprünglich byzantinisch-griechische Goldene Horn wird heute von der Galatabrücke überquert und ist nach Keroessa, einer Nymphe und Mutter des Stadtgründers Byzas benannt. Byzas, Sohn des Poseidon, nannte den Meeresarm nach ihr Chryso Keras, was heute zusammengezogen geschrieben wird: Chrysokeras. Im Deutschen, Englischen und Russischen bedeutet Goldenes Horn das Gleiche. Im Türkischen heißt die innerstädtische Bucht im europäischen Teil des heutigen Istanbuls einfach nur Halic, „Mündung“.

Keroessa wurde von Zeus gezeugt, von Io auf der Landzunge Keras bei Byzantion zur Welt gebracht und von der thrakischen Nymphe Semystra aufgezogen. Nach Keroessas Mutter ist das Ionische Meer benannt. Byzas verwendete das Wort Horn/ Keras nicht für eine Landzunge oder Seezunge, sondern für die berühmte etwa 7 Kilometer lange Bucht, die Keimzelle Konstantinopels.
Die Yin-Yang-Beziehung von Wasser und Land wird durch die Mythologie deutlich.

Griechenland und Russland verbindet unter anderem das vorherrschende orthodoxe Christentum und das nichtlateinische Alphabet.

Ein Grund mehr, die Meerengen Wladiwostoks nach denen zwischen Schwarzem und Marmarameer zu benennen. Geographisch bietet es sich einfach an, einen nach zwei Seiten offenen, schiffbaren Meeressund (englisch: Sound) Bosporus zu nennen. Zudem, wenn eine gekrümmte, geschützte Meeresbucht abgeht, die einen idealen Naturhafen bildet: Das Goldene Horn.

„Sound of Vladivostok“ im Singular könnte auch ein Name für den östlichen Bosporus sein. Bedeutend: Der Sund von Wladiwostok.

Die Goldene Brücke überspannt es in Wladiwostok und verstärkt den Namen.

Gern erinnert man sich hier im Fernen Osten, wo es viele Monate bitterkalt ist, in der Nachbarschaft Koreas und Chinas, an Europa. Viele Stadtbewohner sind nur wegen der Arbeit hier und sehnen sich zurück in die Heimat. Nach Sankt Petersburg, einem anderen höchstwichtigen Hafen und Hort der Kultur, sind es 9522 Kilometer. Mit dem Auto dauert das zum Beispiel 122 Stunden.

Zum Stadtgebiet Wladiwostoks gehören auch vier Dutzend Inseln und der immerhin 257 Meter hohe Berg Cholodilnik (Kühlschrank).

Sounds of Vladivostok – Eine ungewöhnliche Komposition

Der griechisch-zypriotische Komponist schuf mit diesem Konzertfilm etwas höchst Ungewöhnliches.

Ihn faszinierten die Klänge so sehr, dass er sie aufnahm, den Bildern zuordnete und ein „Stück“ schrieb.

Der Komponist ist wie ein Dirigent, der jetzt gerade den Jagdflugzeugen zuwinkt, dann den Friedenstauben und anderen Vögeln und auf dessen Befehl das Wasser an den Schiffen (er-)plätschert.
Ganz verstehen wird man das wohl erst, wenn man es sieht. Und hört.

Beim Publikum löste der Film, den man entfernt mit einem Musikvideo vergleichen könnte, Begeisterungsstürme aus.

Wäre er bei der Berlinale im Wettbewerb gezeigt worden, hätte er den Alfred-Bauer-Preis gewinnen können.-

PS: Die Rinderfurt

Bosporus ist „natürlich“ ein griechisches Wort.

Es bezeichnet eine Meerenge, die Teil des Meeres ist. Zweimal im Atlantik beziehungsweise seinen Nebenmeeren, einmal im Pazifik.

Neben dem bekanntesten Bosporus, der 30 Kilometer langen Straße von Konstantinopel, gibt es am Schwarzen Meer noch einen zum Asowschen Meer: Die alten Griechen nannten die Straße von Kertsch zwischen den Halbinseln Krim und Taman „Kimmerischer Bosporus“. Er ist mit 40 Kilometern länger und an seiner schmalsten Stelle immer noch fast doppelt so breit wie der „Originalbosporus“ im Stadtgebiet von Byzanz, heute Istanbul.

„BOSPORUS“ bedeutet Rinderfurt oder Ochsenfurt. Das Huftier ist altgriechisch Bous, poros ist der Weg (russ. doroga). Führt der Weg durch flaches Wasser weiter, ist er eben eine Furt.

http://www.hellasfilmbox.de/

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