Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Schon auf dem Weg nach Weimar, von Unterfranken kommend, liegen Städteschönheiten, liegen Kunst und Kultur wie Perlen an einer Kette. Die Theaterstadt Meiningen zuerst, dann das Städtchen und ehemalige Kurbad Ilmenau. Doch wir lassen sie links liegen, denn Weimar im Freistaat Thüringen lockt. Schon viele Jahre waren wir nicht mehr in der Kleinstadt an der Ilm. Kleinstadt? Weimar hat etwa 65.000 Einwohner, doch der Ruf der Stadt strahlt überregional, in die Welt.

Goethe-Schiller-Denkmal. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Weimar, 2024

Weimar ist bedeutend, sehr bedeutend, eine der bedeutendsten Kunststädte Deutschlands. So bedeutend wie seine illustren Besucher und ehemaligen Bewohner. Goethe und Schiller lebten hier, Cranach und Bach, Wieland, Herder, Liszt, Berlioz und Richard Strauss, Nietzsche und Feininger, Gropius und van de Velde – der Gründer der Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule, aus der später das Bauhaus wurde, in dem noch heute studiert wird.

Nietzsche-Archiv in Weimar. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Weimar, 2024

Der belgische Architekt und Designer Henry van de Velde ist eine zentrale Figur in Weimar. 1902 vermittelte ihn der einflussreiche Harry Graf Kessler als Berater für das thüringische Kunsthandwerk nach Weimar. Wir können sein Werk, seine Kunst, seine Möbel, Gebrauchsgegenstände und Raumgestaltungen an verschiedenen Orten erleben, wie etwa im Nietzsche-Archiv, im Museum Neues Weimar, wie auch in seinem eigenen Wohnhaus, dem Haus Hohe Pappeln.

Er entwarf auch das Hauptgebäude der Bauhaus-Universität Weimar und nebenan den nach ihm benannten Van-de-Velde-Bau. Beide dienen noch heute als Ort der Lehre. 4000 Studierende sind hier an dieser UNESCO-Welterbestätte eingeschrieben, welche die Stadt bis heute markant prägt. Weimar ist eine auffällig junge Stadt. 40 Studiengänge gibt es in der Uni Weimar.

Man sollte unbedingt diese beiden Gebäude besuchen und echte Bauhaus-Luft schnuppern – hier entdecken wir sehenswerte Wandreliefs aus der DDR-Zeit, eine Skulptur von Rodin, Wandmalereien von Herbert Bayer oder auch ein Figurenrelief nebst Wandgestaltung von Oskar Schlemmer. Es ist ein mythischer Ort der Moderne, ein Ort, der heute noch lebt, „so praktisch und benutzbar wie am ersten Tag, ohne jede Alterswürde“ wie Günter Metken in seinem Buch „Reisen durch Europa“ so treffend skizziert.

Seit 1919 lehrten hier unter anderem Lyonel Feininger, Johannes Itten, Gerhard Marcks, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy, Josef Albers und Adolf Meyer. Noch mehr Bauhaus gefällig? Das Musterhaus „Am Horn“, 1923 nach einem Entwurf von Georg Muche erbaut, lohnt ebenfalls einen Besuch. Und pünktlich zum 100-jährigen Jubiläumsjahr eröffnete 2019 das neue Bauhaus-Museum am Weimarhallenpark.

Hier, in der Mitte Deutschlands, wurde Geschichte in all ihren Widersprüchen geschrieben. Kunstgeschichte, Kulturgeschichte und auch politische Geschichte. Hier, im Deutschen Nationaltheater, wurde 1919 die Nationalversammlung einberufen. Hier wurde die Weimarer Republik gegründet, die erste Demokratie Deutschlands – und wenige Jahre später wurden hier Tausende von Menschen im NS-Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Die topografische Nähe von Schönheit und Schrecken steht sinnbildlich für die deutsche Geschichte. In Weimar ist der Weg von der Klassik bis zum Zivilisationsbruch des NS-Regimes auf engstem Raum erlebbar.

Herder-Denkmal auf dem Herderplatz in Weimar. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Weimar, 2024

Ein erster Rundgang durch die Klassikerstadt, die unter Herzogin Anna Amalia und deren Sohn Carl August um 1800 einen sagenhaften Aufschwung erlebte, kann am Herderplatz beginnen. Die „Herderkirche“, die evangelische Stadtkirche St. Peter und Paul aus dem frühen 16. Jahrhundert, birgt einen eindrucksvollen Kreuzigungsaltar, entworfen von Lucas Cranach dem Älteren, ausgeführt von seinem Sohn. Weimar war ein Zentrum der Reformation: Auch Martin Luther ist auf dem Altargemälde dargestellt. Er hat hier, in dieser Kirche, gepredigt. Cranach zeigt ihn selbstbewusst, so groß wie Christus selbst. Die Kirche gehört gemeinsam mit dem Herderhaus zum UNESCO-Welterbe „Klassisches Weimar“. Und hier begegnen wir schon dem ersten der fabulösen Vier der Weimarer Klassik, dem Dichter, Philosophen und Aufklärer Johann Gottfried Herder, der gemeinsam mit Wieland, Goethe und Schiller in Weimar wirkte und hier auch 1803 verstarb.

Ein paar Schritte sind es zum Marktplatz mit seinen Gebäuden aus dem frühen 19. Jahrhundert wie etwa dem neugotischen Rathaus, dessen Glocken aus Meißner Porzellan bekannte Melodien läuten. Gerade in den 1990er-Jahren, aber auch schon zu DDR-Zeiten wurde hier viel saniert. Die Stadt, die 1999 Kulturhauptstadt Europas war, wurde herausgeputzt. Weimar bietet viel, sehr viel: die Hochschule für Musik Franz Liszt, das Deutsche Nationaltheater, mehr als 30 Museen, Schloss und Park Belvedere – ebenfalls Teil des Weimarer Weltkulturerbes. Oder die Herzogin Anna Amalia Bibliothek und Schillers Wohnhaus, die 1998 ins UNESCO-Welterbe aufgenommen wurden. Dazu noch Gartenfestivals, Konzerte, Theateraufführungen, Ausstellungen, das Kunstfest Weimar, ein internationales Theater-, Ballett- und Musikfestival mit Gastspielen aus aller Welt: In diesem Städtchen sind Kunst und Kultur nicht Beiwerk, sondern wichtigster Teil der DNS. Eine Kulturstadt von europäischem Rang. Womöglich sogar die deutsche Kulturhauptstadt.

Immer wieder fühlen wir uns nach Italien versetzt. „Weimar zählt zu den Residenzen im deutschsprachigen Raum, in der die Kunst des Klassizismus, das mediterrane Erbe und die Antike am längsten prägend waren“, schreibt der Kunsthistoriker Hermann Mildenberger. Und diese lange Blüte des Klassizismus reicht bis heute. Die ganze Stadt ist ein Traum, übertrifft fast alles, was man nördlich der Alpen an Stadtschönheit erleben kann, ist voller kunsthistorischer und architektonischer Perlen: das Weimarer Stadtschloss mit seinem Rundturm, das im 18. Jahrhundert erbaute Wohnhaus Johann Wolfgang von Goethes, heute Goethe-Nationalmuseum, Schillers Wohnhaus, das Wittumspalais, Anna Amalias Witwensitz, das ehemalige Hofgärtnerhäuschen, in vielen Sommern bewohnt vom Komponisten Franz Liszt, der ebenfalls in Weimar wirkte, der historische Friedhof mit den Gräbern von Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Großherzog Carl August und seiner Frau Maria Pawlowna.

Politische Geschichte vermittelt das Haus der Weimarer Republik, wo die Ausstellung „Zwei Welten – eine Republik“ bis zum 29. September die Lebenswege der Reichspräsidenten Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg in all ihren Gegensätzen erzählt. Zwei Männer an den Schalthebeln der Macht. Die Stadtgeschichte ist im Stadtmuseum Weimar erlebbar. Auch ein Museum für die Ur- und Frühgeschichte Thüringens gibt es. Und natürlich den weltberühmten Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek im Grünen Schloss. Ebendort, im Renaissancesaal, präsentiert die Klassik Stiftung unter dem Titel „Cranachs Bilderfluten“ in einer Dauerausstellung die Kunst von Lucas Cranach dem Älteren, dem Jüngeren und ihrer Werkstatt.

Die Schau „Sophie. Macht. Literatur“ stellt bis zum 15. Dezember im monumentalen Bau des Goethe- und Schiller-Archivs die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach vor, Alleinerbin des handschriftlichen Nachlasses Goethes, Gründerin des ersten Literaturarchivs Deutschlands. Die Ausstellung spannt den Bogen bis in die Gegenwart und fragt kritisch nach der Verbindung von Literatur und Politik.

Die Höhepunkte sind vielfältig – alles zu sehen dauert mehrere Tage. Am besten bleibt man eine ganze Woche. Wir logieren in einem gemütlichen Apartment direkt am Herderplatz, buchbar über www.goethezimmer.de. Der sympathische Vermieter und Eigentümer einiger Ferienwohnungen ist ein stadtbekannter Mann: Anselm Graubner. Investor, Aktivist, Fotograf, ehemaliger Hausbesetzer, Mitinitiator der ACC-Galerie – dazu später. Ulrich Brinkmann hat in der „Bauwelt“ ein schönes Porträt über den überaus rührigen Graubner geschrieben, das auch viel über die jüngere Geschichte der Stadt Weimar erzählt.

Erwähnt sei auch das Kirms-Krackow-Haus mit seinem Biedermeiergarten in der Jakobstraße. Es ist eines der ältesten Häuser Weimars und ein anmutiges Beispiel für die Wohnkultur der Goethezeit. Zu Gast waren hier etwa Franz Liszt, Johann Nepomuk Hummel oder Hans Christian Andersen. Ein Kleinod unter Kleinoden! Hier hat auch eines der schönsten der vielen Lokale in Weimar seinen Ort gefunden, das Café Lieblingsgarten. Wir genießen einen Espresso und eine Limonade in der Morgensonne und stärken uns für den nächsten erlebnisreichen Tag.

Immer wieder gibt es in Weimar hochinteressante Sonderausstellungen zu sehen, ab Mai etwa „Bauhaus und Nationalsozialismus“. Die Jahresausstellung der Klassik Stiftung Weimar ist verteilt auf das erst 2019 eröffnete Bauhaus-Museum, das überaus lohnenswerte Museum Neues Weimar und das Schiller Museum: Es ist die erste Schau, welche sich den Verbindungen zwischen dem 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten Bauhaus und der Nazi-Diktatur widmet. Zum ersten Mal werden Kontinuitäten deutlich. Die Schau folgt den Spuren der Bauhaus-Künstler im totalitären Herrschaftssystem: eine überaus komplexe politische Geschichte mit einer unbequemen Wahrheit, wie die Ausstellungsmacher betonen: „Eine innovative künstlerische Haltung allein, so zeigen die Schicksale vieler Bauhaus-Angehörigen, schützt noch nicht gegen die Verführbarkeit durch den Faschismus.“

Die Residenzstadt Weimar, von der UNESCO gleich mehrfach geadelt (insgesamt sind es elf Weltkulturerbe-Stätten „Klassisches Weimar“ und das in Weimar befindliche „Bauhaus-Welterbe“), ist zu jeder Jahreszeit eine Reise wert. Und vor allem in diesen hochsommerlichen April-Tagen ist man von dieser kleinen, aber überaus jung und international anmutenden Stadt gleichsam berauscht.

Wir begeben uns auf die Suche nach der Gegenwartskunst. Und werden fündig. Seit 1988 gibt es die ACC-Galerie in Weimar schon. Ein Ort von besonderer Bedeutung für die Stadt, für ganz Thüringen, ein Ort auch, der weit über das Lokale hinaus strahlt. Die Ausstellungsräume des ACC sind in vier ehemaligen Wohnungen zweier miteinander verbundener Renaissance-Wohnhäuser beherbergt. In einem davon lag Goethes erste Wohnung in Weimar. Ein Ort mit Geschichte.

Und ein Galerie-Ort, der selbst Geschichte geschrieben hat. Werke des französischen Künstlerpaars Pierre et Gilles waren schon 1996 hier zu sehen, auch Schöpfungen des Bauhaus-Lehrers Paul Klee wurden ausgestellt. Wichtig ist auch das „Internationale Atelierprogramm“, das für Austausch und neue Befruchtung sorgt. Es ist, betonen die ACC-Macher, das einzige seit den frühen 1990ern konstant betriebene Artist-in-Residence-Programm in Thüringen.

Eigentlich ist die Galerie ACC gar keine Galerie, sondern ein Kunstverein. Und als ein solcher wurde ihm auch schon der „Preis für Kunstvereine“ der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine verliehen. Als „Hort der Gegenwartskunst“ sieht sich ACC: Man veranstaltet Lesungen, Konzerte und Vorträge. Auch ein Restaurant-Café – mit empfehlenswertem wechselndem Mittagstisch – und Übernachtungsmöglichkeiten gibt es hier.

Weiterhin sehenswert sind die Ausstellungen der Galerie Eigenheim, die im Gärtnerhaus des Weimarhallenparks residiert. Auch hier finden neben Solo- und Gruppenausstellungen Konzerte und Lesungen statt. Man versteht sich als „Schnittstelle zwischen Hochkultur und Subkultur“, als „Multifunktionsraum“ und organisiert ebenfalls ein jährliches Residenzprogramm für Künstler und Künstlerinnen. Bis zum 11. Mai ist die Gruppenausstellung „Air Between The Light“ zu sehen.

Einen Besuch lohnt auch die Galerie Profil Weimar, die bereits 1990 gegründet wurde. Ausgestellt werden Malerei, Grafik und Skulptur zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Vom 27. April bis zum 13. Juni zeigt die Galerie Bilder und Objekte von Ruth Tesmar.

Schon jetzt darf man sich auf die Ausstellung „Deutschstunde“ von Olaf Metzel freuen, die am 6. Juni eröffnet wird. Der 1952 in Berlin geborene documenta-Teilnehmer wird bis zum 1. November Schloss Belvedere und das Liszt-Haus bespielen und dabei wichtige Fragen stellen: „Was lernen wir aus der Geschichte? Lernen wir tatsächlich etwas daraus für die Gegenwart? Und wer ist überhaupt dieses Wir?“ Noch später im Jahr, am 22. November, wird die Schau „Caspar David Friedrich, Goethe und die Romantik in Weimar“ im Schiller-Museum eröffnen.

Wir durchstreifen die Weimarer Gassen und Plätze am Abend. Das Angebot an Bars, Restaurants und Cafés ist grandios. Wir haben selten in Deutschland eine so lebendige, charmante Stadt erlebt. Es gibt eine hervorragende Gastronomie, ergänzt um Clubs und Kneipen wie etwa den C. Keller & Galerie direkt am Marktplatz, wo Konzerte und Ausstellungen stattfinden. Oder die kleine Henry’s Bar unweit des autonomen linken Zentrums Gerberstraße 3, wo wiederum inmitten der Klassik-Stadt am frühen Sonntagabend Black-Metal-Bands aufspielen. Das Angebot thüringischer Restaurants mit viel Tradition und Flair ist groß, wir entscheiden uns für das historische „Siechenbräu“, wollen aber auch den „Weißen Schwan“ empfehlen. Auch das „Mascha“ ist ein besonderer Ort, ein kulturelles Zentrum ebenfalls im Herzen der Altstadt, direkt neben dem Goethe-Schiller-Standbild am Theaterplatz. Hier kann man Konzerte erleben, Diskoabende, Theateraufführungen und Stand-up-Comedy. Auch das Kulturzentrum und Kommunale Kino Mon ami lohnt unbedingt einen Besuch.

Goethes Gartenhaus an der Ilm. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Weimar, 2024
Goethes Gartenhaus in Weimar. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Weimar, 2024

Auf dem Ilmradweg lassen sich Kultur- und Naturschönheiten gleichermaßen erfahren: Bei herrlichstem Wetter radeln wir zu Goethes Gartenhaus im Ilmpark und nach dessen Besichtigung weiter nach Oberweimar, wo das Bienenmuseum lockt. Unterwegs passieren wir die Villa Haar, die nach dem Vorbild der Villa d’Este in Tivoli im Stil der Neo-Renaissance gebaut wurde. Am nächsten Tag geht es auf dem Radweg in die andere Richtung, durch den romantischen Tiefurter Schlosspark, vorbei an Schloss Kromsdorf und Schloss Denstedt zum Wielandgut in Oßmannstedt – und wieder retour. Das Wielandgut in Oßmanstedt war der Ort, an dem Christoph Martin Wieland von 1797 bis 1803 lebte. Ein barockes Gutshaus und auch hier wieder ein prächtiger Park. Die historischen Wohnräume sind nun ein Museum, das sich darum bemüht, Wieland als ersten Schriftsteller der Moderne zu präsentieren, denn, so die Ausstellungsmacher, nach dem Dreißigjährigen Krieg war jede literarische Tradition in Deutschland abgebrochen. Die Literatur begann neu – unter anderem mit Wieland, der den deutschen Bildungsroman begründete. Arno Schmidt wurde im 20. Jahrhundert sein größter Fan und Wiederentdecker. Ein lohnendes kleines Spezialmuseum, das ebenfalls der Klassik-Stiftung angegliedert ist.

Kirche St. Christophorus in Tiefurt. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Tiefurt, 2024

Wir radeln, wo einst Lyonel Feininger radelte und zeichnete. Wie etwa die Kirche des idyllischen Tiefurt. Seit 1906 arbeitete Feininger in Weimar und erkundete mit seinem damals hochmodernen Sportfahrrad das Weimarer Land – und zeichnete. Diese Skizzen wurden später die Grundlage seiner großen, weltbekannten Gemälde. 1919 wurde er von Walter Gropius zum ersten Meister des neugegründeten Weimarer Bauhaus berufen und blieb bis zu dessen Auflösung im Jahr 1925 hier.

Zurück im Park an der Ilm, der grünen Oase am Rand der Weimarer Altstadt. In diesem sommerlichen April ist der Park voller Menschen, die das verheißungsvolle Wetter genießen. Die Vorfreude auf den Sommer ist spürbar. Dieser Landschaftspark wurde 1778 bis 1828 angelegt – unter der Mitwirkung Goethes, dem das weltberühmte Gartenhaus von Herzog Carl August im Jahr 1776 geschenkt wurde. Damit wurde der gebürtige Frankfurter Goethe im Alter von 26 Jahren Weimarer Bürger – und blieb es bis zu seinem Tod 56 Jahre später. Ja, man möchte verweilen in dieser Stadt der Klassik und des Klassizismus.

Hier in Thüringen, an der Ilm, dem Nebenfluss der Saale, denken wir schon an die nächste Station unserer Reise. Nach Brandenburg geht es nun, ins Havelland, in eine ganz und gar wasserreiche Region. Brandenburg an der Havel ist eine Stadt am Wasser, im Wasser. Seen, Kanäle und historische Flutgräben gliedern die Landschaft.

Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Die Havel mit ihren verschiedenen Armen ist die Lebensader der dreiteiligen Stadt. Der älteste Bezirk ist die Dom-Insel mit ihrer mehr als 1000-jährigen Geschichte. Alt- und Neustadt wurden jeweils im 12. Jahrhundert gegründet und 1715 vereinigt. Die ehemalige Hansestadt ist noch ein touristischer Geheimtipp. Überall sehen wir Boote – Segler, Fahrgastschiffe nach Werder, Ketzin, Rathenow oder Potsdam, Kanus, Kajaks, Flöße und Hausboote. Auch verschiedene Ausleihstationen gibt es, von hier aus kann man Brandenburgs Wasserlandschaft erkunden.

Dom Sankt Peter und Paul zu Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024
Krypta im Dom Sankt Peter und Paul zu Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024
Im Dom Sankt Peter und Paul zu Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Wie beziehen eine geschmackvolle Ferienwohnung, die wir bei Betterbeds gefunden haben. Zuerst besichtigen wir den Dom St. Peter und Paul auf der pittoresken Dom-Insel zwischen dem Beetzsee und der Havel. Das Wahrzeichen der Stadt ist ein Schlüsselbau der Backsteingotik, auch der Domschatz ist zu besichtigen. Das Dommuseum zeigt bis zum 31. Oktober 2024 die Schau „Keine Frau. Nirgends“, welche die Unsichtbarkeit von Frauen im Domstift Brandenburg zum Thema macht. Denn Frauen haben hier auf der Dom-Insel durchaus auf vielfältige Weise Spuren hinterlassen.

Das Archäologische Landesmuseum Brandenburg, das die Kulturgeschichte des Landes auch in ihren frühesten Spuren präsentiert, ist im St. Paulikloster untergebracht. Das Kloster selbst mit seinem Kreuzgang ist ebenfalls ein bedeutender Bau der Backsteingotik in Norddeutschland, genauso wie die spätgotische Gotthardtkirche mit ihrer großartigen Ausstattung und die Katharinenkirche. Seinen Kaffee trinkt man besonders schön am Wasser im Brückencafé am Heineufer, als Restauranttipp empfehlen wir das Parduin im Sorat Hotel. Man kocht bodenständig märkisch. Hier herrscht gediegen-gemütliche, britisch anmutende Atmosphäre mit Blick auf die Backsteinfassade des Altstädtischen Rathauses. Hier steht der auch „Roland“, eine monumentale Sandsteinfigur von 1474 – der Patron der Stadt, der die städtischen Freiheiten symbolisiert.

Ein anderer, sehr besonderer Ort ist das Stehachterl, ein Feinkostladen mit angeschlossener Bar, wo man Gutes aus der Steiermark und aus Brandenburg probieren und kaufen kann. Es ist ein Treffpunkt für ein Achterl Glas Wein im Stehen, für einen Aperitiv, aber auch für eine ausgedehnte Weinprobe – hier genießt man das Leben. Unprätentiös und supersympathisch.

Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Die Industriegeschichte der Region lässt sich – normalerweise – im Industriemuseum Brandenburg an der Havel erkunden, das im faszinierenden Brennabor-Werk, dem ehemals größten Stahlwerk der DDR untergebracht ist. Hier findet sich unter anderem der „Siemens-Martin-Ofen XII“ ein gewaltiger Schmelzofen, ein Gigant des Industriezeitalters, der heute unter Denkmalschutz steht. Leider ist das Museum derzeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.

Auch Brandenburg an der Havel ist eine Kulturstadt. Das Brandenburger Theater ist ein weiterer kultureller Anziehungspunkt. Das Theater ist auch Veranstalter des Kultursommers, bei dem etwa die „Wassermusiken“ zu erleben sind – Musik auf der Regattastrecke am Beetzsee.

Eine Loriot-Büste in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024
Waldmöpse in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Auch ein Stadtmuseum gibt es – aufgeteilt auf das barocke Frey-Haus, das Gotische Haus und den mittelalterlichen Steintorturm, wo vor allem die Geschichte der Havelschifffahrt und der Spielzeugindustrie zum Thema gemacht wird. Noch bis zum 31. Mai ist eine Sonderausstellung zum 100. Geburtstag von Vicco von Bülow alias Loriot zu sehen, der in Brandenburg an der Havel geboren wurde. Titel der von Undine Damus-Holtmann und Wulf Holtmann kuratierten Schau: „Heile Welt“. Überhaupt begegnet Loriot uns oft in der Stadt, vor allem auch in Form der bronzenen „ausgewilderten Waldmöpse“, die seit 2015 überall im Stadtzentrum zu finden sind. Diese lebensgroßen Hundefiguren mit kleinen Kopfgeweihen entdeckt man immer wieder in den drei historischen Stadtkernen – auch eine Führung wird angeboten. Die Nachbildungen der 1972 in einem Sketch erschaffenen Kunstfigur Loriots (von der er behauptete, sie sei eine überformte Züchtung, die vom Elch abstamme) wurden von der Berliner Künstlerin Clara Walter geschaffen.

Friedenswarte in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024
Steintorturm in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Auf dem Marienberg besteigen wir die 1974 zum 25. Jahrestag der DDR errichtete Friedenswarte – von diesem Turm hat man einen schönen Ausblick auf die drei Stadtkerne Altstadt, Neustadt und Dom-Insel. Teile der mittelalterlichen Wehranlage haben sich erhalten – der monumentalste Torturm ist der Neustädter Steintorturm. Nur wenige Schritte sind es von dort zum Sowjetischen Ehrenmal mit Ehrenfriedhof, das an die Befreiung der Stadt durch die Rote Armee am 24. April 1945 erinnert.

Sowjetisches Ehrenmal in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024
Sowjetisches Ehrenmal in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Die ganze Region ist nicht nur ein Eldorado für Wassersportler – auch mit dem Fahrrad lässt sie sich durchstreifen. So verläuft etwa der Havelradweg an den Ufern der Havelseen. Der längste Radweg der Region ist die „Tour Brandenburg“ mit 1.000 Kilometer Länge. Wir aber bleiben in der Nähe von Brandenburg an der Havel, beradeln den Storchenweg und machen die 7-Seen-Tour mit Einkehrmöglichkeiten im Buhnenhaus und im Gasthaus Malge am See.

Kunsthalle Brennabor in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Eine hochkarätige Ausstellungshalle hat Brandenburg an der Havel auch zu bieten. Die Kunsthalle Brennabor ist ein außergewöhnlicher Ort für Kunstpräsentationen. Die 600 Quadratmeter große Ausstellungshalle liegt im 1. Obergeschoss der ehemaligen Brennabor-Werke, wo früher Kinderwägen, Fahrräder und Autos produziert wurden. Ab Juni wird hier das Werk der Berliner Künstlerin Rubica von Streng gezeigt. „Um zu verstehen, wie die Welt tickt“, so sagt die Künstlerin, „ist es hilfreich, ihre Mechanismen so gut es geht zu ergründen. Ich blicke lieber tiefer in die Materie, anstatt mich mit Oberflächlichem zufrieden zu geben.“ Einer der interessantesten Künstler der Stadt ist übrigens Jan Beumelburg. Sein Atelier mitten im Zentrum kann man nach Terminvereinbarung besichtigen. Jeden ersten Samstag im Monat öffnet er es von 14 bis 18 Uhr regelmäßig der Öffentlichkeit. Auch sein Werk war schon in der Kunsthalle Brennabor zu erleben.

St. Gotthard in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024
St. Gotthardt in Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Direkt neben der Gotthardtskirche, im ältesten Schulgebäude der Stadt, der Alten Lateinschule, hat die Galerie Sonnensegel ihren Sitz. Hier befindet sich eine Kunstschule für Kinder und Jugendliche, zudem aber auch eine Galerie mit Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst. Derzeit zeigt Frank Eisner bis zum 28. Juni seine grafischen Arbeiten – mehrfarbige Holzschnitte, präsentiert in einem wunderschönen historischen Ambiente.

Brandenburg an der Havel. © Foto/ BU: Marc Peschke, Ort und Datum der Aufnahme: Brandenburg an der Havel, 2024

Brandenburg an der Havel ist ein guter Ausgangspunkt für weitere Stationen im Umland. Und dieses lässt sich von hier aus auch mit dem Schiff erkunden, etwa in Form einer Havelrundfahrt. Verschiedene Fahrgastschiffe starten in der Saison mehrmals täglich.

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