Immer wieder ein schöner Ausflug nach Chorin – Der Choriner Musiksommer begeht 2023 sein 60jähriges Bestehen

Am Ort des Musiksommers in Chorin. Quelle: Pixabay

Chorin, Brandenburg; Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). »Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen, / Und haben sich, eh man es denkt, gefunden», schrieb einst der Dialektiker Johann Wolfgang von Goethe. Wer schon mal beim Choriner Musiksommer war, kann das bestätigen. Schon der Weg dorthin führt durch die charakteristischen märkischen Landschaften und endet in der Kühle der Klosterkirche oder auf dem sanften Rasen im Innenhof des Klosters Chorin. Schon seit 60 Jahren führt der Weg viele Tausende Konzertbesucher zu den Konzerten des Choriner Musiksommers, und der Ehrgeiz der Veranstalter lässt nicht nach, und schon gar nicht die Begeisterung des Publikums für die Musik an diesem Ort.

1964 entstanden aus einem Betriebsfest des Instituts für Forstwissenschaften Eberswalde, entwickelte sich der Choriner Musiksommer zu einem der größten Klassikfestivals im Osten des Landes. Seitdem liegt bereits der größere Zeitabschnitt in der Bundesrepublik, und der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Dietmar Woidke (SPD), ist genau so stolz darauf wie einst der Vorsitzende des Rates des Bezirks Frankfurt/Oder. Waren es am Anfang vier Konzerte pro Saison, so finden 2023 vom 23. Juni bis zum 27. August 20 Konzerte statt, dazu ein »Geburtstagskonzert« am 25. August in der Märchenvilla Eberswalde.

Ein vielfältiges und spannendes Programm

Im Programm stehen bekannte und bewährte Orchester aus Brandenburg (das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus und das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt), das Philharmonische Orchester Gorzow und die Szczeciner Philharmonie, und aus der Hauptstadt das Rundfunk-Sinfonieorchster Berlin, die Berliner Symphoniker und das Konzerthausorchester Berlin. Dem künstlerischen Leiter Peter Sauerbaum ist es gelungen, dass zum ersten Mal Musiker aus allen drei Berliner Opernhäusern auftreten: das Orchester der Komischen Oper (sogar zweimal), das Orchester der Deutschen Oper mit einer Operngala und Mitglieder der Staatskapelle Berlin. Neu in Chorin sind die »lautten Compagney Berlin» und das Dudelsack-Orchester »The Berlin Pipe Company». Als altbewährte Gäste treten auf das German Brass Orchester, das Ensemble Jacaranda, die 14 Berliner Flötisten und Andrej Hermlin and his Swing Dance Orchestra, dies in großer Besetzung mit eigenen Kompositionen und neuen Arrangements. Eine große Entdeckung wird das Ensemble BachWerkVokal Salzburg sein, das sich auf die wunderbaren Lieder, Arien und Choräle von Johann Sebastian Bach spezialisiert hat.

Zur Eröffnung am 23. Juni (ausnahmsweise um 19 Uhr, alle anderen Konzerte beginnen um 15 Uhr) spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Leitung von Karina Cannelakis. Anna Rakitina wird das Violinkonzert von Johannes Brahms darbieten. Das Abschlusskonzert am 27. August übernimmt das Orchester der Komischen Oper unter Leitung von Peter Gülke, unter anderem mit Vier letzten Liedern von Richard Strauss, gesungen von Penny Sofroniadou, sowie mit der Vierten von Johannes Brahms. Im Familienkonzert am 15. Juli 12 Uhr spielt das Konzerthausorchester nicht, wie weit verbreitet, »Peter und der Wolf» oder »Der Karneval der Tiere», sondern Ausschnitte aus »Bilder einer Ausstellung» von Modest Mussorgski, sowohl mit Klavier (Daniel Lebhardt), wie der Komponist sie ursprünglich geschrieben hatte, als auch in der Orchesterfassung von Maurice Ravel.

Das Programm wird in jüngerer Zeit nicht allein mit klassischer Musik, sondern auch mit populären Formen wie Swing, Welt-, Jazz- und Improvisationsmusik oder Dudelsackmusik gestaltet, mit gutem Erfolg. Doch der Kern ist und bleibt das klassische Repertoire. Den Stab führten in Chorin bedeutende Dirigenten wie Claudio Abbado, Kurt Sanderling, Otmar Suitner, Waleri Gergijew, Christoph Eschenbach, Jonathan Stockhammer, Peter Schreier, Eliahu Inbal,Tugan Sochiew, Ivan Fischer, Christian Thielemann, Michail Jurowski und viele mehr.

Der Erfolg und seine Mühen

In der Festveranstaltung am 25. August wird an den Gründer des Choriner Musiksommers, Professor Dr. Gunther Wolff (1930 – 2013), erinnert und gleichwohl seine »rechte Hand», Irene Vahl, gewürdigt werden. Das heutige Festival mit 20000 bis 25000 Besuchern jährlich fing ganz einfach an. »Machen Sie mal was mit Musik», beauftragte der Institutsdirektor Prof. Albert Richter den damaligen Oberassistenten Wolff mit der Vorbereitung eines Fests im Jahre 1964. Dann wurde es 1965 wiederholt, in das Kloster Chorin verlegt und von Jahr zu Jahr größer gestaltet. Einen nachhaltigen »Zwischenfall» gab es 1968, als die Stettiner Sängerknaben wegen der plötzlichen Einführug von Visagebühren an der polnischen Grenze nicht kommen konnten. In seiner Not rief Wolff beim Berliner Sinfonieorchester an, und Kurt Sanderling sagte sofort zu. Von daher rührt die Freundschaft mit dem heutigen Konzerthausorchester, das seitdem Jahr für Jahr (mit einer Ausnahme) in Chorin auftritt. Naturgemäß waren viele Schwierigkeiten zu überwinden, zum Beispiel mit den Holzbänken, die die Feuerwehr nicht mehr gestatten wollte, oder mit der Undichte von Dach und Fenstern. Ich sehe noch den Intendanten der Nordwestdeutschen Philharmonie, Andreas Kuntze, vor mir, wie er anklagend die Arme ausstreckte, als das Regenwasser vor das Orchester stürzte. Oder Guy Braunstein, der mit den Berliner Symphonikern das Violinkonzert von Brahms spielte und nicht oft genug seinen Bogen nachspannen konnte, der in der feuchten Luft nachgab. Das Dach wurde 2012 instandgesetzt. Ein Problem waren die sowjetischen Düsenjäger, die im Diensthabenden System über das Kloster hinwegdonnerten. Wolff sprach nach umständlichen Prozeduren mit den sowjetischen Kommandeuren, und der Krach hörte auf (merke: mit »dem Russen» kann man erfolgreich verhandeln).

Wolff ließ es sich angelegen sein, regelmäßig die Berliner Symphonlker einzuladen, weil ihnen der Berliner Senat die Zuschüsse gestrichen hatte und weil sie gemeinsam mit Lior Shambadal weiter arbeiten wollten. Sie waren auch zuverlässig zur Stelle, als 2022 die Tschechische Kammerphilharmonie Pardubice wegen Corona ausfiel und Ersatz her musste. Am Rande erlebt der BeobachterTragödien wie bei den Musikern der Staatskapelle Halle, die in Chorin von neuen Stellenstreichungen erfuhren und tief erschüttert ihr Konzert spielten. Auch bei Festspielen spielt die rauhe Wirklichkeit hinein.

Die Kosten und ihre Finanzierung

Keine Kleinigkeit war und ist nach 1990 die Finanzierung des Musiksommers. Hatte in der DDR so oder so der Staat das Musikfest finanziert, so musste in der Bundesrepublik eine neue, »freie» Finanzbasis geschaffen werden. Eine große Hilfe leisten die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Sparkasse Barnim, die Feuersozietät sowie Sponsoren wie EWE. Das Land Brandenburg gewährt keine institutionelle (stabile) Förderung, beteiligt sich aber mit 30.000 Euro an der Finanzierung. Dem Team um Gunther Wolff und Peter Sauerbaum gelang und gelingt es, die Kosten zu 80 Prozent aus Eintrittsgeldern zu decken. Eine Schar von rund 20 ehrenamtlichen Helfern (Schüler, Studenten, musikbegeisterte Bürger aus der Umgebung) leistet einen großen Dienst nicht nur an der Kunst, sondern auch an der Leistungsfähigkeit des Trägervereins Choriner Musiksommer e.V. Ihren Teil tragen auch die treuen Stammkunden bei. Der Choriner Musiksommer hat Bestand, aber nicht ohne Risiken.

Die Eintrittspreise betragen 12 bis 36 Euro – nach des künstlerischen Leiters Peter Sauerbaums Meinung im Vergleich mit anderen Open-Air-Musikfestivals in der Bundesrepublik sehr günstige Preise. Doch für das Einkommensniveau im Barnim kein Pappenstiel. Freilich ist die Klosterkirche inzwischen mit erträglichen Stühlen ausgestattet, aber warum die Preise der Rasenplätze im Innenhof, wo der Zuhörer seine Decke oder seinen Klappstuhl mitbringen muss und die Bühne nicht sieht, von fünf auf zwölf Euro erhöht wurden, ist nicht untermauert. Die Konzerte sind gut besucht, oft ausverkauft, aber man sieht eben jene nicht, die es nicht mehr bezahlen können. Nach wie vor kommen 60 Prozent der Besucher aus Berlin. In Chorin treffen sich viele Freunde und Bekannte. Wer nicht mit dem Auto kommen will, hat gute Zugverbindungen mit dem Regionalverkehr und wird mit einem Shuttle vom Bahnhof Chorin zum Kloster und zurück befördert.

Anzeige

Vorheriger ArtikelDie Seele über den Schlüsselbeinen – Annotation zum Buch „Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht“ von Radmila Petrovic
Nächster ArtikelRappelvolle Kiste in der Berliner Trattoria a Muntagnola zur Vernissage der Fotoausstellung von Marco Innocenti