Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Endlich einen Supererfolg kann der neue Intendant des Berliner Staatsballetts feiern, der preisgekrönte, ordenbehängte Madrilene Nacho Duato! Erfolge auch bei den Kritikern, die ihm anfänglich den Einstand in sein neues Amt als Intendant mit massiv schlechten Kritiken in unverständlicher Art und Weise vergällten. Alle hatte sich irgendwie gegen ihn verschworen – zu Unrecht! Duatos Weg ist voller Fußfallen und Steine – das Leben als Haifischbecken!
Nicht nur mein Sitznachbar ergeht sich ständig in „wunderbar, wunderbar!“ Rufen! Das Ballett in Berlin müsse sich nicht verstecken, so der weltgereiste Connaisseur in anerkennendster Weise!
Nacho Duato ist mit der Aufführung der Werke dreier der renommiertesten zeitgenössischen Choreografen ein Bravourstück gelungen, in denen es um menschliche Emotionen, Ängste und Leidenschaft geht.
„Castrati“ von Nacho Duato
thematisiert die grausame Art im 16. Jahrhundert, jugendliche Waisen in der Pubertät zu kastrieren, um die charakteristischen Klangqualitäten der kindlichen Stimme zu bewahren. Sie waren nicht nur Stars in ihrer Zeit, sondern hatte oft mit zerstörtem (Privat-)Leben zu kämpfen. Das Stück dreht sich um die Furcht eines angehenden Kastraten vor der Kastration und zeigt in einprägsamer Art die Einsamkeit und Verstörtheit des in einen weißen Tanzsuit gekleideten Jugendlichen, der von dynamischen Tänzern in schwarzen, langen Roben umtanzt wird, die wie Samurai wirken. Ein weinroter Samtvorhang (Bühne: Nacho Duato) auf schwarzem Tanzboden erfährt sein Pendant durch rote Sonnen auf den Rücken der „Samurai“. Das minimalistische Bühnenbild wird durch Musik (vom Band) Antonio Vivaldis (u.a. Stabat Mater RV 621), der für Kastraten komponierte und des zeitgenössischen Karl Jenkins untermalt und versetzt atmosphärisch nach Italien, wo in Bologna, Venedig und Neapel reiche Mäzene in Konservatorien diese bestialische Methode der Verstümmelung finanzierten. Mit korsettähnlichen Kostümen tanzen Cherubim-ähnliche Tänzer phantastische Pas-de-Deux in Abwechslung mit den „Samurai“ – ein Hochgenuss! Vor dem Kastrationsakt tanzt der Élève ein Solo, in dem er wunderschön tanzt, wie er unbeschwert das Leben genießt. Die Schwarzroben tanzen wie die jungen Stiere, dynamisch, kraftvoll. Dann der Akt der Akt der Kastration, der auch auf der Bühne dargestellt wird – verdeckt hinter den schwarzen Roben der „Samurai“, aus deren Fängen sich der blutverschmierte junge Kastrat entwindet.
„Secus“ von Ohad Naharin
ein abstraktes Werk, zeigt eine junge, begabte, in bunte T-Shirts und Tanzhosen gekleidete große Tanztruppe. Eine chaotisch durcheinander tanzende Gruppe wird abgelöst von geordnetem Chaos mit Improvisationen, zu denen Symbolzeichen wie auf die Stirn klopfen, Handstände machen, die Hände zeigen – das Publikum ist nach der Pause leicht alkoholisiert und lacht desöfteren, obwohl dieses Stück nicht auf Lacher ausgelegt ist. Auch stellen sie sich in Reihen auf und zeigen dem Publikum den nackten Hintern durch spontanes Herunterziehen der Hosen.
Ohad Naharin, Leiter der Batsheva Dance Company in Tel Aviv, gehört zu den wichtigsten Protagonisten zeitgenössischer Choreographie und wird weltweit eingeladen, seine Werke mit renommierten Compagnien einzuarbeiten. Zum ersten Mal arbeitet er nun mit dem Staatsballett Berlin zusammen, das sich dafür mit „Gaga“, dem von Naharin entwickelten Bewegungskonzept beschäftigt hat. „Gaga“ sucht nach der Interaktion zwischen den Beteiligten, die sich gemeinsam einen Bewegungsraum von Freiheit und Wohlbehagen erarbeiten. „Secus“, das Stück des Abends für 16 Tänzer mit Musik von „The Beach Boys“ oder auch aus dem Hindi-Film „Kaho Naa… Pyar Hai“, wurde 2005 mit der Batsheva Dance Company uraufgeführt. „Ich mag es, mit Grenzen zu spielen. Leidenschaft und Extreme, Reduktion, herausbrechende Kraft, rohes Fleisch, saftiger Körper, es ist die Lust des Moments, wie beim Essen“, beschreibt der israelische Choreograph selbst die Arbeit.
„Petite mort“ Jiří Kyliáns
La petite morte (der kleine Tod) bezeichnet im Französischen poetisch den Akt der sexuellen Vereinigung, den Orgasmus. Das Werk beschäftigt sich mit den aggressiven wie auch den verletzlichen Seiten von Macht und Sexualität.
Die Choreografie für sechs Männer und sechs Frauen beruht auf zwei langsamen, populären Adagio-Sätzen der berühmtesten Mozart-Klavierkonzerte Nr. 21 und 23. Kylián hat sie abgetrennt, so dass sie als Torsi zurückbleiben. Es geht Kylian darum, darzustellen, dass seit der Zeit Mozarts viele Kriege ausgefochten wurden, „überwiegend von Männern, die die Schwerter schwangen, um Macht und Potenz zu demonstrieren.“
So beginnt das Stück denn auch mit einer Art Schwertertanz der sechs Tänzer mit einem Schwert, dem Symbol für Krieg und Tod. Sie verschwinden unter einem Tuch und sechs „Eva’s“ kommen darunter hervor in hautfarbenen Stretchkostümen. Es beginnen bezaubernde moderne Pas-de-deux’s der sechs Paare. Das verdeckende Riesentuch kommt wieder ins Spiel und Ballerinas in schwarzen Rokoko-Spitzentütüs tanzen spitzenmässigen Spitzentanz.
In einem Pas-de-deux à deux tanzt ein Paar in hautfarbenen Kostümen rund um das Schwert in ausgefallenen Stellungen und Positionen eine abstrakte Visualisierung des Liebesaktes – einfach hervorragend und genial! Ein Hochgenuss!