Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Ungefilterte Natur pur. Die Küste der Normandie bildet die Kulisse für einen Film, der nüchtern nicht zu ertragen ist.
Mir war das zu viel des Komischen. Ein Humor wird serviert, der weniger an Monty Python als vielmehr an den Slapstick der Stummfilmzeit erinnert. Wenn sich der Gag auf den komischen Gang reduziert, dann hat der Kopf Pause. Zum Schießen komisch? Sogar zum Morden, denn die armen Leute aus der arbeitenden Unterklasse sind weniger Fischer und Muschelsammler als vielmehr Meuchelmörder. Das ist weniger grotesk als vielmehr ein Witz in Tarantino-Manier mit kannibalistischer Pointe. Wer`s mag.
Immerhin stecken die Leute der Unterschicht im Sommer 1910 an der Küste der Normandie nicht nur in Lumpen, sondern voller Heimtücke. Die Damen und Herren der Bourgeoisie und des Landadels, die sich in feinen Kleidern an der See vergnügen und sich einerseits selbst genug scheinen, aber andererseits langweilen, könnten nicht gegensätzlicher sein. Pittoresk ist sowohl das eine als auch das andere.
Äußerst bizarr die Men in Black, ein polizistisches Duo namens Böswald und Blading, das wie Dick und Doof und mit Bowler durch hohe Dünen und tief in die Story watschelt. Immerhin treiben sie das Abwegige ins Absurde, spätestens dann, wenn der Dicke in die Luft geht.
Die theatralischen Zwei sollen Vermisste suchen. Ins Visier der Watscheleien gerät Fischer Rohbrecht, Vater von vier Jungen, die lausig und wie Lümmel wirken. Mit seinem Ältesten, der auch noch Lümmel genannt wird und dem seine Rohheit, Minderbemitteltheit und Sprachlosigkeit – „wer nicht reden kann, kann auch nicht denken“ (freu sich, wer`s kennt) – ins Gesicht geschrieben steht, verdient er sich zusätzliche Centimes genannte Lohngroschen, indem er die in schönen Kleidern steckenden Ausflügler und reichen Reisenden durchs seichte Wasser trägt oder rudert.
Unter den Touristen befinden sich auch die Töchter der Familie van Peteghem, deren scheinbar herrschaftlich anmutendes Anwesen in ägyptischer Art offensichtlich wie ein Bunker aus Beton wirkt und als solcher die Wacht über die Bucht bietet. Der Bunker erinnert an einen zu groß geratenen Sarkophag, in dem die Dekadenz zuhause ist. Vor allem die Damen pflegen ihre Ressentiments über die Degenerierten, die im Dorf hausen.
Lümmel und die schöne, bisweilen burschikose Billie van Peteghem katapultieren Distinguierte und Depravierte in eine Beziehung voller Basisbanalitäten, bis alle wie die Schwarzen Sheriffs durch die Dünen prozessieren, in denen Nymphomanen, Nudisten und Narzissten sprießen wie Strandhafer. Als auch Billie van Peteghem vermisst wird, vermuten Böswald und Blading, „dass die Rohbrechts nicht nur Muscheln, sondern auch Menschen sammeln“ (freu sich, wer`s kennt).
Dass Bruno Dumont, der das Buch schrieb und die Regie führte, mit seinem gesellschaftskritischen Spielfilm, der voller Groteske, Klamauk und Parodie steckt, das klein- bis großbürgerliche Frankreich attackiert, wie mancher vorlaute Schreiberling posaunt, das scheint weit hergeholt, so wie die Geschichte, die mit eigenwilliger Romeo-und-Julia-Interpretation noch nett umschrieben ist. Diese reine Romanze ist nur ein hingehauchtes Nebengeräusch im Schwirrwarr irrer Persönlichkeiten, die in Kleidern und Etiketten einer formierten, bisweilen feinen Gesellschaft stecken.
Das Ganze ist das Falsche und der eigentliche Streifen, dessen Geschichte zwischen Liebes- und Kriminalfilm steckt, nur stoned zu ertragen.
Der überkandidelte Kinofilm lief übrigens im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes 2016 und war für einen Preis offensichtlich zu surreal.
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Deutscher Titel: „Die feine Gesellschaft“
Originaltitel: „Ma Loute“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2017
Buch und Regie: Bruno Dumont
Darsteller: Fabrice Luchini, Juliette Binoche, Valeria Bruni Tedeschi, Brandon Lavievielle, Didier Desprès
Produktion: 3B Productions, Twenty Twenty Vision Filmproduktion GmbH, Pallas Film
Verleih: Neue Visionen
FSK: ab 12 Jahren
Länge: 122 Minuten
Start: 26. Januar 2017