Mit den Verrückten in einer Welt der Ware und des Spektakels rennen? – Zum Film „Stillstehen“ von Elisa Mishto muß man sich bewegen!

Szene aus dem Film "Stillstehen". © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „Ich erinnere mich daran, als ich zum ersten Mal einen Ameisenhügel gesehen habe“, sagt Julie. Mit diesen Worten und welchen über „eine endlose Choreographie“, „Unersättlichkeit“, „das taube Bedürfnis zu Rennen, Suchen, Finden, Beschützen“ und langen Beinen beginnt der Film „Stillstehen“. Es folgt eine Erklärung über das diese Ekelhaftigkeit, das Anzünden des Haufens, das Weiterrennen der Ameisen, die scheinbar „unsichtbaren Anweisungen folgten, obwohl es keine Zukunft mehr gab“ und darauf das Motto: „Was immer auch passiert, ich werde stillstehen.“

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo

Bilder wie Blaubeeren in gelben Gummihandschuhen und Schnecken in einer Welt der Ware und des Spektakels runden die eingangs eingänglichen Bilder mit Weihnachtsmann ab. Erst ein Fick im Fahrzeug, dann wagt sie es, den Wagen abzufackeln. Phantastisch!

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

In einer Klapse, vom Doktor Direktor Zoo genannt, werden bunte Smarties verteilt. Hinzu kommt das üblich Blabla. Großartig jedoch die Szenen als einer, der Luftgitarre raucht, hustet oder der Haufen bei der Draußen-Gymnastik im Wald den Körper kreisen läßt während eine Irrenhaus-Schwester Agnes in einer Disse hüpft. Wer sind hier und heute eigentlich die Heilen und die Kaputten?

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

Quacksalber, Pillenverteiler, Autoausleiher. Ameisen. „Jede Ameise macht genau das, was von ihr erwartet wird“, sagt Julie nach einer knappen Dreiviertelstunde und: „Wenn sie das richtig macht, bekommt sie ihre Belohnung.“ Agnes, Mutter mit Tochter und Mann, fragt: „Was für eine Belohnung.“ Julie, die Dr. Herrmann und Herrn Schmidt hat, antwortet: „Sie darf dazugehören.“

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

Millionen Menschen werden zwischen den Mahlsteinen von Anpassung und Isolation zerrieben wie Max und Moritz. Streiche führen offensichtlich nicht zum Ziel. Julie Mutter habe bis 40 gearbeitet und sich dann selbst getötet und ihr Vater noch länger gearbeitet, bis er starb. Arbeitsameisen.

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

Ein paar Weisheiten wie „echte Stille kann man nur allein erreichen, weil jede menschliche Beziehung früher oder später laut wird“, werden auch mitgegeben und wohlweislich am Beckenrand eines leeren Schwimmbades platziert.

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

Nachdem erst ein Auto brannte, brennt auch noch ein Haus. Und dann ist da noch Branntwein. Am Ende verliert die eine ihre Lohnarbeit in der Klapsmühlte und die andere ihr bisherigen Leben, weil sie ihre relative Freiheit in gelben Gummihandschuhen völlig zu verlieren scheint.

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

Zu ihrem Spielfilm teilt Elisa Mishto, die das Buch schrieb und die Regie führte, mit: „Vor ein paar Jahren, während ich eine Dokumentation über psychiatrische Kliniken drehte, bin ich auf etwas gestoßen, was mich tief berührte: Menschen, die nichts tun. Die Patienten in den Kliniken verbringen ihre Tage damit, zu warten: auf ihre Medizin, auf das Mittagessen, auf Familienbesuche, oder einfach nur darauf, dass es ihnen besser geht.

Szene aus dem Film „Stillstehen“. © CALA Filmproduktion GmbH_Francesco di Giacomo, BU: Stefan Pribnow

Während sie warten, tun sie nichts. Einige von ihnen möchten etwas tun, können es aber nicht, während andere sich hartnäckig weigern, sich den produktiven Mitgliedern der Gesellschaft anzuschließen. An den Rand gedrängt, sind sie gezwungen, die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen. Sie beginnen, sich Fragen zu stellen. Ist Arbeit ein Privileg oder eine Verpflichtung? Was ist unser Wert als menschliches Wesen, wenn wir nichts tun – und einfach nur sind? 

Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie schmerzhaft und beunruhigend, aber auch wie befreiend und politisch radikal der Akt des Nichtstuns in einer von Konsum und Leistungsfähigkeit geprägten Gesellschaft sein kann. Julie und Agnes sind Rebellen – weil sie sich weigern, etwas zu tun, auch wenn sie alles haben könnten. Sie sind die unverschämten Ameisen, die aufgehört haben, den Befehlen zu folgen. Die aus der Reihe tanzen und abwarten, was passiert.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Punkt.

Filmographische Angaben

  • Titel: Stillstehen
  • Genre: Spielfilm. Drama
  • Staat: Deutschland, Italien
  • Jahr: 2019
  • Regie: Elisa Mishto
  • Buch: Elisa Mishto
  • Kamera (Bildgestaltung): Francesco di Giacomo
  • Musik: Sascha Ring
  • Darsteller: Natalia Belitski (Julie), Luisa-Céline Gaffron (Agnes), Giuseppe Battiston (Rainer), Katharina Schüttler (Katrin), Martin Wuttke (Dr. Hermann), Ole Lagerpusch (Jan), Matthias Bundschuh (Herr Schmidt), Hildegard Schroedter (Luise), Kim Riedle (Caroline), Torben Krämer (Paul), Edda Brockmman (Marlene), Regine Hentschel (Kindergärtnerin), Julia Elting (Antonia), Phileas Heyblom Markus, Leslie Malton (Katrins Mutter) und Jürgen Vogel (Herr Vogel), Tim Kalkhof (Weihnachtsmann)
  • Produktion: „Stillstehen“ sei laut Presseheft „eine deutsch-italienische Ko-Produktion von CALA Filmproduktion GmbH, Berlin und PMI, Rom in Koproduktion mit farbfilm produktion und Cineplus. Gefördert durch das BKM, die FFA, das Medienboard Berlin-Brandenburg, den Deutschen Filmförderfonds, dem MIBAC, und von LOOKS Filmproduktionen mit Mitteln des MEDIA Programms der EU und dem deutsch-italienischen Co-Development Fond der FFA und MIBACT entwickelt“.
  • Produzent: Martina Haubrich
  • Ko-Produzent: Andreas Stucovitz
  • Dauer: 90 Minuten
  • Format: 16:9

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