Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Wenn die Panorama und Forum genannten Sektionen der Berlinale bezeichneten Internationalen Filmfestspiele Berlin nicht wären, dann wäre dort gar nichts los. Das Forum steht unter der Leitung von Barbara Wurm und gönnt sich einen von Kennern und Kritikern als kritisch angesehenen Appendix. Das Forum Spezial solle dabei zum Hauptprogramm passen wie die Faust aufs Auge.

Auf welche postadoleszenten Filmemacher mit ihrem juvenilen Scheibenkleister Kenner und Kritiker draufhauen müssen, das werden wir sehen, nachdem wir die im Forum und Forum Spezial präsentierten Film gesehen haben. Zum Forum Spezial ist in einer Berlinale-Pressemitteilung vom 9.1.2025 wie folgt die Rede: „’Offene Wunden, offene Worte‘ zeigt anknüpfend an das letztjährige Programm ‚Relations & Resistance‘ eine Filmauswahl, die sich der politischen Gegenwart über den Blick in die Vergangenheit stellt. Im Fokus diesmal: die junge Generation und die Prägung durch Normen, Ungleichheit und Unrecht – im Bewusstsein unverwirklichter emanzipativer Potenziale damals wie heute.“

Aha! Wenn das mit „Offene Wunden, offene Worte“ betitelte Programm nicht nach Werbenutten und Trendhuren in einer Welt der Ware und des Spektakels klingt, wonach dann? Für den einen oder anderen anscheinend nach einer „Gelegenheit, einmal mehr über das heute den gesamten geopolitischen Globus prägende Missverhältnis von (niedergeschlagenen) Volksaufständen, Zivilaktivitäten, Solidaritätsaktionen und Bürgerrechtsbewegungen einerseits und autokratisch-diktatorischen Personen, Institutionen, Strukturen und Herrschaftssystemen andererseits nachzudenken – im Bewusstsein der unverwirklichten emanzipativen Potenziale damals und heute.“

Richtig, dafür hätte auch der Titel „Offene Beine, offene Fragen?“ gewählt werden können oder auch nicht. Egal! Scheißegal!

Die Liste der Filme, die in der Sektion Forum Spezial gezeigt werden sollen:

Das falsche Wort (The Lie)
von Katrin Seybold
Bundesrepublik Deutschland 1987
Forum Special | Dokumentarische Form | Weltpremiere der digitalen Restaurierung
Den „Faden der Wahrheit“ hält hier Melanie Spitta fest, Kind von Überlebenden der Sinti-Verfolgung in der NS-Zeit. Es gab keine
Wiedergutmachung: „Die Gerichte glaubten den Tätern, nicht uns“. Schock, Beweisführung, Mahnung, Anklage.

Guochang (Fruit Farm)
von Nana Xu | mit Mu Luoyuan, Gao Zijun, Wang Wentong, Nana Xu
Deutschland / Volksrepublik China 2025
Forum Special | Weltpremiere | Dokumentarische Form
Zum „Obsthof“ reist Nana Xu, an den Ort, den ihr Vater als Häftling während der Kulturrevolution baute. Erst Arbeitslager, dann
Gefängnis, Bauernhof, Behandlungszentrum. Gespräche mit letzten Zeugen in ihrer von verdrängter Vergangenheit geprägten Heimat.

Iracema, uma transa amazônica (Iracema)
von Jorge Bodanzky, Orlando Senna | mit Edna de Cássia, Paulo César Pereio, Conceição Senna
Brasilien / Bundesrepublik Deutschland 1975
Forum Special | Weltpremiere der digitalen Restaurierung
Aufbruch einer jungen Indigenen vom Dorf in die Stadt. Cinema Novo, Hybrid-Fiktion, Roadtrip, Öko-Avantgardeblick – schon vor 50
Jahren zeigt Iracema kristallklar die Verwüstungen des extraktiven Kapitalismus: von Baum, Tier und Mensch.

The Long Road to The Director’s Chair (The Long Road to the Director’s Chair)
von Vibeke Løkkeberg | mit Claudia von Alemann, Helke Sander, Nurit Aviv, Anabella Miscuglio, Alice Schwarzer
Norwegen 2025
Forum Special | Weltpremiere | Dokumentarische Form
1973 filmte Vibeke Løkkeberg den Aufbruch der feministischen Filmbewegung beim Ersten Internationalen Frauenfilm-Seminar im Kino
Arsenal. 50 Jahre lang blieb das Material verschollen. Heute konfrontiert es uns mit den unerledigten Kämpfen von damals.

Mes fantômes arméniens (My Armenian Phantoms)
von Tamara Stepanyan | mit Vigen Stepanyan
Frankreich / Armenien / Katar 2025
Forum Special | Weltpremiere | Dokumentarische Form
Zärtlich-posthumer Brief an den Vater, der im sowjetischen Armenien Filmschauspieler war. Schon als Kind sieht Tamara ihn im TV,
später setzt sie sich als Regisseurin durch. Betörendes Schlafwandeln in den Landschaften der armenischen Filmgeschichte.

Nagota (Nudity)
von Sabina Bakaeva | mit Zamira Bakaeva
Usbekistan / Frankreich 2025
Forum Special | Weltpremiere | Dokumentarische Form
Schmerzhaft offen ist dieses Mutter-Tochter-Gespräch: übers Aufwachsen als Frau in Usbekistan, damals – heute. Selbstbekenntnisse
zu Sex, den niemand so richtig wollte, zu erfahrener Misogynie und Geschlechter-Asymmetrie. Nackte Wahrheiten als Therapie.

Scars of a Putsch
von Nathalie Borgers | mit Abidin Ertuğrul, Nathalie Borgers, Cahit Akçam, Perihan Akçam, Yeter Güneş
Österreich / Belgien 2025
Forum Special | Weltpremiere | Dokumentarische Form
Seine Narben sind Ausgangspunkt ihrer Recherche- und Zeitreise zu jener Jugend, die am Militärputsch des 12. September 1980
zerschellte. Der Traum einer türkischen Demokratie – geplatzt. Der Weg zu autoritärem Regime und politischem Islam – geebnet.

Shinagani gazapkhulebis q’vaviloba (Inner Blooming Springs)
von Tiku Kobiashvili | mit Tina Matchavariani, Luka Chibukhaia, Taka Tavartkiladze, Lazare Eliozashvili, Giorgi Gelashvili
Georgien 2025
Forum Special | Weltpremiere | Dokumentarische Form
2024 Auf den Straßen von Tbilissi protestiert man gegen das so genannte „ausländische Agenten“-Gesetz. Auch Tina, Luka,
Regisseurin Tiku und Freund*innen. Ihr Widerstand ist ihre Art füreinander da zu sein – um Mut zu fassen für das, was noch kommt

Wenn das im Vorfeld der Vorführungen nicht spezial klingt…

Anmerkung:

Siehe die Beiträge

im KULTUREXPRESSO.

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