Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Eine Patientin sprich. Nun, ein Text wird zeitgleich von vier Frauen, die graue Bademäntel tragen, weiße Turnschuhe und große Brillen, allesamt auf der Bühne des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin hinter einem Keybord stehend, vorgetragen.
„Guten Abend, ich bin die Verrückte mit der Bombe“, verstehen wir noch. Dann gluckert der Rotwein aus der Flasche ins Glas der Redaktionsstube. Richtig, wir sitzen vor der Glotzt. Das Bühnenstück wird via Video präsentiert. Gemeint scheint die Bombe in den Köpfen der „Marktradikalen“, „libertärer Vordenker“ und so weiter. Auch heute Abend scheint das Gorki-Gesinnungstheater seinem Ruf alle Ehre zu machen.
Während Bergs Stück immer anstrengender wird, schmeckt der Rote immer angenehmer. Wohlsein auf den von vier Frauen nach gut und gerne zehn Minuten vorgetragenen Satz: „Hier im Saal ist viel von dem, was ich verachte.“
Die Anklage zieht sich in die Länge wie ein Kaugummi. „Ich habe eine Wut auf die Welt oder das System oder mich, weil ich alles verraten habe, woran ich nicht geglaubt habe, oder haben wir wirklich einmal daran geglaubt, die Welt zu retten? Die lagen doch nur dekorativ herum, die Bücher, die feministischen, marxistischen, queeren, die lagen herum, mit ihren Überschriften, über die wir nicht hinausgekommen sind, während wir lieber Serien geschaut haben“, tragen die vier Schauspielerinnen Anastasia Gubareva, Svenja Liesau, Vidina Popov und Katja Riemann unter der Regie von Sebastian Nübling vor.
Ich genieße den Moment, den Roten aus Marken, Italien, und blicke auf die von Magda Willi gestaltete Bühne und sehe die Kostüme von Ursula Leuenberger und höre die Musik von Lars Wittershagen. Ich „genieße den Moment“.
Daß Stück über das Zauberwort „bewaffneter Widerstand“ kann man nicht genießen, aber dafür wurde es auch nicht geschrieben und auf die Bühne gebracht, aber wofür?
In einem mit Sternchen durchseuchten Textchen heißt es: „Eine Sprecher*in – _Ich bin in dem Alter, in dem sich Ärzte gegen meine Beatmung entscheiden, wenn auf der Nachbarliege ein aufstrebender Port-folio-Manager liegt.‘ – zieht schonungslos Bilanz ihres Lebens und dem einer ganzen Generation im Neoliberalismus.“ Kurze Zeit später liegen drei der vier Frauen auf dem Boden, statt in ihm zu versinken. Lange halten sie es dort nicht aus.
Nach einer halben Stunde verschwinden „die kleinen Saug- und Fickroboter aus dem Gorki“-Gesinnungstheater von der Bühne, aber nur kurz. Wenig später müssen ein paar Dichter und Denken aufgesagt werden.
Und weiter: „Ich hatte erwartet, dass mir in Erwartung des Todes das Unterbewusste faszinierende Bilder meines gelungenen Lebens zeigt. Und dass ich sie nur verdrängt hätte, die einzigartigen Momente voller Erfüllung, Liebe und Exotik. Aber was sich da einstellt, kann nur als unterdurchschnittlich bezeichnet werden. Immobilien und Kühlschränke, triste Reisen und die Abwesenheit von Liebe.“
„Hat uns – bitte schön – irgendjemand auf diese Kränkung vorbereitet? Dass wir plötzlich unwichtig werden? Unsichtbar, auch wenn wir uns an die Regeln halten? Die es für Frauen gibt.“
Ja, nein, ich weiß nicht. Noch ein Glas!
Liegt’s am Roten oder am „Moin, ich bin der Tod“? Mit jedem Schluck wird dieses Bademanteltheater lustiger! Fehlt nur noch Heidi Kabel und was in Lila, ein lila-lustiges Trauerspiel. Eine Souffleusen-Möse wird beschimpft. Das böser Wort Schlabberfotze fällt nicht. Eine halbe Stunde später fällt der Vorhang auch für die 140-Euro-Karten in dieser Kopfbombenwerkstatt. Eine Badebombe wäre billiger gewesen.