Houellebecq holt zum letzten (?) Schlag aus – Zum Roman „Vernichten“ von Michel Houellebecq

"Vernichten", ein Roman von Michel Houllebecq. © DuMont-Buchverlag

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Es ist wie es ist, oder eben nicht. Auf den letzten Seiten von Vernichten verkündet Houellebecq sinngemäß, dieses könnte sein letztes Buch sein. Das wäre schon ein bisschen schade und ich kann es mir auch nicht vorstellen. Was soll er denn sonst machen außer Bücher schreiben? Sterben. Ja, das wäre wohl seine einzige Alternative.

In Vernichten fährt er jedenfalls zu absoluter Hochform auf. Michel H. lässt seinen Hauptheld Paul, einen Mann ohne Eigenschaften und näheren Interessen, seinem Halbfreund Bruno dienen, seines Zeichens Wirtschaftsminister. Paul hat was mit Wirtschaft studiert, vögelt seine Frau (auch was mit Wirtschaft) seit zehn Jahren nicht und hat eine schöne Wohnung inkl. zweier Schlafzimmer im Zentrum von Paris.

Sein Leben schnurrt langweilig dahin, als plötzlich eine seltsame Terrorgruppe (sehr geschickt und mies im Abgang) erst virtuelle und später wirkliche Terrorakte verübt. Eine familiäre Tragödie sorgt für weiteren Stoff in diesem Werk, in dem Michel Houellebecq abermals nichts weniger als den Niedergang Frankreichs beschreibt. Der Kapitalismus ist am Ende und was kommt danach?

Manche vergleichen Michel Houellebecq mit Balzac, ja, kann schon sein, aber es steckt mehr dahinter. Natürlich ist er ein bürgerlicher Moralist, der immer noch super gern provoziert und es liebt, sich (Literarisch und bestimmt auch in echt, Spoiler!!!: es ergeben sich auch neue eheliche Perspektiven für Hauptheld Langweiler Paul) einen Blasen zu lassen. Der Mann ist alt und hat alles gesehen und gehört, er hasst die Menschen, die er als Romanfiguren leider braucht und sie geradezu bis in den Tod begleitet.

Das Buch ist große Erzählkunst und bietet alles was wir benötigen. Michel Houellebecq ist ein Prophet, ein wahrer Menschenfreund (nur wer sie eigentlich hasst, liebt die Menschen). Vernichten ist ein endgeiler Gesellschaftsroman, der ironisch, verliebt, melancholisch, hoffnungslos und hoffnungsfroh vom Niedergang der alten westlichen Werte erzählt, ohne länger als nötig (immerhin aber 624 Seiten) auf ihren Gräbern zu tanzen.

Bibliographische Angaben

Michel Houellebecq, Vernichten, Roman 624 Seiten, Verlag: DuMont-Buchverlag, Köln 2022, ISBN: ‎978-3-8321-8193-2, Preise: 28 EUR (Deutschland)

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