Frankfurt am Main, Deutschland (Kulturexpresso). Als Max Hollein im Sommer dieses Jahres den mit 20.000 € dotierten Binding-Kulturpreis erhielt, kündigte er an, dieses Preisgeld in die digitale Vermittlungsarbeit der von ihm geleiteten Museen zu investieren. Zur Finanzierung des jetzt vorgestellten Projektes „Zeitreise“ wird die Summe nicht ausgereicht haben, aber seine Spende ist ein Indiz, mit welcher Konsequenz die Museumsmannschaft sich den Formen digitaler Vermittlung zugewandt hat.
Immer wenn es am Frankfurter Museumsufer ein besonderes Ereignis zu feiern gilt, wird auf die starke Frankfurter Tradition verwiesen, nach der das kulturelle Leben besonders durch Bürgerengagement belebt und gefördert wird. Der quasi „Urvater“ dieser Tradition ist Johann Friedrich Städel, der seine Gemäldesammlung nebst zugehörigem Privatvermögen schon Anfang des 19. Jahrhunderts in eine Stiftung einbrachte und damit zum Begründer des heutigen „Städelschen Kunstinstituts“ wurde. Seine Büste steht also nicht zu unrecht gleich links in der Eingangshalle des Hauses.
Aber wie muss man sich eine solche „bürgerliche“ Kunstsammlung vorstellen? Was unterschied sie von den Galerien der Fürsten und Könige? Was wurde gesammelt und wie wurde es präsentiert – denn Städel hatte seine Sammlung schon frühzeitig öffentlich gemacht?
Ab sofort lassen sich als Ergebnis eines eindrucksvollen Projektes die historischen Standorte des Städel Museums in den Jahren 1816, 1833 und 1878, die jeweiligen Präsentationsformen der Sammlung und damals ausgestellte Werke online betrachten und nachvollziehen. Das Privathaus des Museumsstifters Johann Friedrich Städel am Rossmarkt im Jahr 1816 wurde ebenso aufwendig rekonstruiert (es steht ja nicht mehr) wie das 1833 als erstes eigenes Museumsgebäude bezogene Palais in der Neuen Mainzer Straße (auch verschwunden). Auch der 1878 eröffnete Neubau am Schaumainkai – bis heute Standort des Städel Museums – wird architektonisch in damaliger Form mitsamt seiner ursprünglichen Sammlungspräsentation visualisiert. Zu jedem der sich damals im Bestand befindlichen Gemälde sind ausführliche Provenienzangaben, Informationen über die Verkaufs- bzw. Verlustgeschichte sowie relevante Inventareinträge und Texte aus ausgewählten Gemäldekatalogen des 19. Jahrhunderts verfügbar. Inventarbücher, Galerieführer und Kataloge zeigen anschaulich, wie die Sammlung in den Jahren 1816, 1833 und 1878 präsentiert wurde. Die Website stellt des Weiteren wichtige Quellen digitalisiert zur Verfügung.
Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die Räume von 1878 aus der Innenperspektive virtuell zu durchlaufen. Dies kann entweder über ein kostenloses Programm für PC´s oder über eine App für die Virtual-Reality-Brille „Samsung Gear VR“ geschehen (Ergebnis der Tatsache, dass sich die Firma Samsung als Sponsor an diesem Projekt beteiligt hat), welche völlig neue Einblicke ermöglichen. Wer sich die Brille nicht selbst kaufen will, findet Exemplare im Media-Raum des Museums zur freien Nutzung.
Die Rekonstruktion der historischen Hängungen der Städelschen Sammlungen unter http://zeitreise.staedelmuseum.de ist Teil des vielschichtigen digitalen Angebots des Städel. Die Frankfurter Institution setzt innovativ Kernaufgaben des Museums wie Vermittlung und Forschung mit den Möglichkeiten der Digitalisierung um, nicht als Marketinginstrument, wie der für diesen Bereich zuständige Pressechef Axel Braun betont, sondern unter dem Anspruch erweiterter Vermittlungsformen. Auf diese Weise wird mit neuartigen Technologien und Erzählformen parallel zum physischen Museumsbesuch ein frei zugängliches Angebot entwickelt und stetig ausgebaut, das den Wirkungskreis der Institution unabhängig vom Ort beträchtlich erweitert.
Ein Blick auf die Homepage des Städel, Menüpunkt „Museum/Städel digital erleben“, zeigt die Vielfalt weiterer Angebote. So wurde beispielsweise zuletzt Mitte März 2016 auf http://onlinekurs.staedelmuseum.de ein umfassender Onlinekurs zur Kunstgeschichte von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zugänglich gemacht, der neue Akzente im Bereich Bildung im Netz setzt. Daneben gibt es Digitorials zu den Ausstellungen, eine „Digitale Kunstkammer“ und die „Digitale Sammlung“.
All dies ersetzt nicht den Besuch im Museum und die Begegnung mit den Originalen – soll es auch nicht. Die Angebote können helfen, einen Besuch vorzubereiten, sie können Impulse für vertiefende Studien geben oder auch einfach die Neugierde und Lust auf „Mehr“ wecken – und das ortsunabhängig und kostenfrei.