Köln/ Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Die Berliner Künstlerinnen Rosaana Velasco und Liliana Cobos Pineda gestalteten einen Altar, der seit dem „Tag der Toten“, der in Mexiko die Friedhöfe heiter belebt, im Kölner Museum Rautenstrauch-Joest steht. Einen kunstvoller Totenaltar. Ein neuer Disneyfilm, der am 30. November bundesweit in die Kinos kommt, erhellt die Bedeutung eines solchen Altars. Doch dann wird er bereits abgebaut sein. Der 26. des Monats ist der letzte Schautag, gleichzeitig Totensonntag und Thementag Lateinamerika in Köln.
Die Deutschmexikanerin war bei der Eröffnung und auch zwischendurch in Köln anwesend.
Alles gerät in Vergessenheit, wenn es nicht erinnert wird
Erinnerung ist eine zentrale Funktion der Seele, der Geschichte und sogar der Politik. Das aus Indien stammende Wort „Yoga“ bedeutet unter anderem auch Erinnerung und Verbindung. Erinnern wir uns an etwas, verbinden wir uns damit; erinnern wir uns an jemanden, verbinden wir uns mit ihm.
(Für genderkorrekte-Leser: mit ihm oder ihr, doch darum ging es gerade nicht.)
Yoga schafft eine Verbindung, auch zu Gott, wenn man ihn denn kennt.
Wie soll man sich an jemanden erinnern, den man nicht kennt?
Strautenrauch oder Rautenstrauch? Das Museum, in dem der Totenaltar steht
1901 wurde ein Völkerkundemuseum in Köln gegründet, das noch zu Preußen gehörte. Preußen endete durch das zögerliche Verhalten Max von Badens und des deutschen Kaisers im Verlauf der Ereignisse von 1914/1918/1919 und folgende. Die Weltkriege zerstörten nicht nur Feld und Flur, Gesundheit und Menschenleben von Tausenden und Abertausenden, sondern auch Preußen.
Köln gibt es noch, obwohl es im 20. Jahrhundert auch Zerstörungen erlitt und eine Teil-Zwangsevakuierung stattfand.
Alles geht um Erinnerung
Das Völkerkundemuseum darf jetzt „Ethnologisches Museum“ heißen. Im Zuge der Entdeutschung, Entwurzelung?, Korrektur: freiwilligen Internationalisierung der deutschen Sprache werden die Wörter teils immer länger. Statt eines international untauglichen „ö“s enthält das politisch korrekte Wort für das Museum jetzt zwei „o“.
Erinnerung an Wörter
Auch bei den Wörtern kommt es eben auf die Erinnerung an. Das „Oberhaupt“ und die Wendung „erhobenen Hauptes“ erinnert uns an ein altes Synonym für Kopf (das Haupt), das andernfalls wohl schon der Vergessenheit anheimgefallen wäre. Sprichwörter wie „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“ an ausgerottete Währungen. Doch dazu muss man sie ab und zu benutzen. Wenn „die junge Generation“ mit dem Handy kommuniziert, chattet, gamet, sich Apps downloaded (schreibt man das ‚auf deutsch so?), bleibt wohl wenig Platz für „alte“ Wörter, die bis vor kurzem über Generationen weitergegeben wurden. Jetzt veralten sie anscheinend in Windeseile. Oder sie werden veraltet. Indem neue Wörter und Begriffe schnell und in großer Zahl auftauchen.
Erinnerung an Verstorbene
Der Disneyfilm „Coco“ stellt es so dar, als ob alles darauf ankäme, das ein Photo des geliebten verstorbenen Menschen, zum Beispiel eines Verwandten, auf dem Altar stehen müsse, auf dem Totenaltar. Kein Photo, kein Friedhofsbesuch.
Die zweite Stufe des Todes, der endgültige Tod, ist der durch das Vergessen. Filmisch dargestellt durch die Auflösung in – nichts. Wer von niemandem mehr erinnert wird, muss auch aus dem Jenseits verschwinden.
Auf den Wortschatz übertragen bedeutet das: Jahrzehntelang unbenutzte Begriffe werden erst als „veraltend“, dann als „obsolet“ bezeichnet und verschwinden letztlich aus dem Duden. Für Wörter gibt es keinen Totenaltar, außer ab und zu z.B. im Kultuexpresso.
Ein Film über Erinnerung
In dem in Kürze in die deutschen Kinos kommenden Spielfilm „Coco“ – in Mexiko läuft der Film zurzeit schon – gibt es einen Ohrwurm „Recuerda me“, zu deutsch: Erinnere Dich an mich. In der deutschen Fassung des Zeichentrickfilms heißt das umgedichtete Lied „Denk stets an mich“. Es geht um die Erinnerung.
Zeichentrickfilm
Heute wird so ein Film Animationsfilm genannt, in Anlehnung an den englischen Terminus „animation“. Dieses Wort ist zwar im deutschen unverständlicher, hat sich jedoch bereits und wurde eingebürgert. Verwendet jemand das Wort Zeichentrickfilm, wird er belehrt, dass „Zeichentrick“ ja etwas anderes sei als „Animation“. In der Tat, Animation findet im Urlaub in Tunesien statt. Unterhaltung gibt es woanders. Trotz neuer Technik und neuer Computerprogramme wird immer noch gezeichnet; ob nun am Bildschirm oder Zeichenbrett, who cares?
„Anime“ ist ein japanisches Wort und der Duden verzeichnet für die Bezeichnung „Animation“ an zweiter Stelle folgendes: „(Film-) Verfahren, das unbelebten Objekten im Trickfilm Bewegung verleiht“. Wie das geschieht, dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Neu in der deutschen Sprache ist unter anderem der „Stop-Motion-Film“.
Passender als mit einem Zeichentrickfilm hätte man die Problematik wohl kaum darstellen können.
Jeder Film ist ein Trick, da er zwei Dutzend statische Bilder zur Illusion einer lebenden Szene erweckt.
Dieser Trickfilm ist gezeichnet, da man so ganz genau sowieso nicht weiß, wie es „da drüben“ aussieht und auch keine Fotos schießen kann.
Nebenbei wird dabei das belebt, was bereits tot ist. Im Film wirkungsvoll: die Skelette.
Die Animation führt zu einer Reanimation.
Die Vorstellungswelt der Mexikaner und Mexikanerinnen ist besonders reich und bunt, genannt seien vor allem die Geisttiere, die die Seelen führen sollen. Sie sind sehr bunt und ähneln lebenden Tierarten nur bedingt. Die in allen Farben schillernden Fabelwesen bereichern einen Trickspielfilm ungemein.
(Gezeichnete) Totenaltare kann man dort auch bewundern.
Übrigens sind die Lieder in der deutschen Fassung des Animations-/ Zeichentrickfilms „Coco“ sehr gut gelungen, genauso wie die Songs in der Originalfassung. Das Original des Disney-Pixar-Films ist auf englisch.
Kalendertage und die Mitternachtsgrenze
Der Dia de los Muertos (Tag der Toten) ist am 1. November. Allerdings führt eine kurze Antwort auf die Frage des „Wann?“ in die Irre.
Anders als der Volkstrauertag (19.11.2017) und der Totensonntag (2017 am 26.11.), die nicht nur immer an einem Sonntag liegen, sondern auch mit Mitternacht abgeschlossen sind, ist der Tag der Toten, der „dia de los muertos“, zwar am 1. November; doch gefeiert wird vom Abend durch die Nacht bis hin zum Sonnenaufgang. So, wie der Sabbat (Schabbat) zum Sonnenuntergang beginnt und am Samstag bei Sonnenuntergang endet, überschreitet auch der „Dia de los muertos“ die Mitternachtsgrenze.
Ein Totenaltar steht mitunter länger.
Ist er besonders aufwendig oder künstlerisch gestaltet, bleibt so ein Totenaltar umso länger aufgestellt in der Ausstellung, Kirche oder im Museum. Ca. einen Monat, könnte man denken, da der Totenaltar zum November samt Nordhalbkugelwetter und seinem vielfachen Gedenken an Menschen, die unsere Welt ins Jenseits verlassen haben, passt.
Tag und Nacht
Wir haben uns daran gewöhnt, das Zweigespann von Tag und Nacht als „Tag“ abzutun und die Nacht dabei zu vergessen. Nur im Reisebüro interessiert noch, wieviele TAGE und wieviele NÄCHTE bei einer Reise vergehen. (Die Anzahl kann durchaus abweichen.)
Dadurch gerät die Nacht in Vergessenheit. Da nachts weniger zum Bruttosozialprodukt beigetragen wird und viele sie ohnehin verschlafen, ist sie weniger wichtig und wird seltener erwähnt.
Jede Nacht enthält ein „Ach“
Trotzdem wird es immer wieder Nacht, am Südpol seltener, in Mitteleuropa häufiger, am Äquator abrupter.
Es ist Zeit, im Bewusstsein eine Synthese zu finden. Genau, wie die mexikanische Art und Weise, Allerheiligen und Allerseelen freudig auf dem Friedhof zu feiern, beim Verständnis des Welt, des Lebens und eines harmonischen Zusammenlebens über alle Generationen hinweg helfen kann, kann man Zeit anders sehen. Die Hautfarbe des Menschen ist nicht wichtig; warum sollte die Farbe der Tageszeit/Nachtzeit, das hell/ dunkel so wichtig sein, so getrennt wahrgenommen werden?
Eine andere, ganzheitlichere oder ganzheitliche Wahrnehmung ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Tage und Nächte werden zur Zeit
„Tage und Nächte werden zur Zeit“.
So eine tieffühlende Kapitelüberschrift aus einem Walter-Bauer-Buch („Folge dem Pfeil„).
Dieser nachwirkende Satz soll das Schlusswort sein.
Tage und Nächte werden zur Zeit.
Anschrift, Anfahrt, Öffnungszeiten
Dieser Totenaltar steht im:
Rautenstrauch-Joest-Museum, Kulturen der Welt
Cäcilienstraße 29-33
50667 Köln
Telefon: (0221) 221 313 56
eine leicht zu merkende Nummer.
Öffnungszeiten: Di.-Sonntag 10- 18 Uhr, donnerstags 10-20 Uhr (1. Donnerstag im Monat bis 22 Uhr)
Anfahrt: Bahnlinien 1, 3, 4, 7, 9, 16 und 18, Haltestelle Neumarkt, Bus 136 und 146, dito.
Querverweise zu weiteren Info. über Totentag und Totenaltar
Ein Pdf zum mexikanischen Totentag findet man online unter
http://www.museenkoeln.de/Downloads/rautenstrauch/Flyer_Mex_Totentag%202017.pdf
Helmut Frangenberg schrieb am 30.10.2017 im Kölner Stadtanzeiger den Artikel „Mexiko-Tag im Rautenstrauch-Joest-Museum. Ein buntes Fest für die Toten“. Dieser ist auch online abrufbar unter https://www.ksta.de/28741552 .