„Das achte Leben (für Brilka)“ bei den Berliner Autorentheatertagen 2018

Szene aus dem Stück "Das achte Leben (Für Brilka)" von Nino Haratischwili. Uraufführung, Premiere am 8. April 2017 im Thalia-Theater in Hamburg. © Foto: Armin Smailovic

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Es ist kaum möglich, den zahlreichen Lobeshymnen für Jette Steckels Inszenierung „Das achte Leben (für Brilka)“ etwas noch nicht positiv Hervorgehobenes hinzuzufügen. Allerdings wurde das Werk auch von der Jury des Theatertreffens diskutiert und nicht ausgewählt. Bemerkenswert ist es schon, dass noch keine von Jette Steckels Arbeiten beim TT zu erleben war.

Umso erfreulicher, dass es die Autorentheatertage gibt, wo das Berliner Publikum mit Begeisterungsstürmen und Standing Ovations auf das Gastspiel des Hamburger Thalia-Theaters reagierte.

Nach fünf Stunden mit einer Pause, nach der fast alle wieder ihre Plätze eingenommen hatten, schien es so, als wollten die Zuschauerinnen und Zuschauer die Menschen auf der Bühne gar nicht wieder loslassen. Die waren doch so lebendig aus dem Roman herausgesprungen als wäre es ihnen zu eng geworden zwischen den Buchseiten. Sie hatten ihre Geheimnisse preisgegeben, hatten an ihrem Leid, und manchmal auch an ihrem Glück teilhaben lassen, und sie hatten die Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählt aus georgischer Perspektive, die sich von der des Westens erheblich unterscheidet.

Emilia Heinrich, Julia Lochte und Jette Steckel haben aus Nino Haratischwilis 1273 Seiten-Roman ein Konzentrat erstellt, in dem alles Wesentliche, eng zusammengedrängt, enthalten ist. Manchmal wechseln Zeiten und Schauplätze in rasantem Tempo, aber es gibt auch sehr intensive Szenen, die qualvoll lange dauern oder genussvoll ausgekostet werden.

Wie im Roman gibt es auch im Stück eine Erzählerin, Niza, 1973 geboren, in fünfter Generation der Familie Jaschi. Niza erzählt jedoch nicht sehr viel, der Text ist zum größten Teil szenisch umgesetzt. Die Titel der acht Bücher des Romans erscheinen auf einer Tafel über der Bühne. Jedes Buch behandelt das Leben eines Familienmitglieds und trägt seinen Namen.

Den Anfang macht Stasia, 1900 geboren als Tochter eines Schokoladenfabrikanten. Als alte Stasia reinigt Barbara Nüsse einen Wandteppich und erklärt ihrer Urenkelin Niza (Lisa Hagemeister) Geschichte und Symbolik dieses Familienerbstücks.

Der Teppich wird zum wichtigsten Bestandteil von Florian Lösches Bühnenbild. Ein riesiger Teppich, der über eine Rolle immer ein Stück weiter von oben herabkommt, schließlich die ganze Bühne bedeckt und über die Rampe hinaus bis in den Zuschauerraum flutet, ein Kunstwerk, in das die Geschichte der Familie Jaschi und ihrer Zeit hineingewebt ist.

Barbara Nüsse verwandelt sich in die siebzehnjährige Stasia, ein eigenwilliges, dabei liebenswürdiges Mädchen, das im Herrensitz reitet, die Musik liebt, seit seiner Kindheit nur tanzen wollte und entschlossen ist, nach Paris zu fahren und sich dort beim Ballet Russe zur Tänzerin ausbilden zu lassen.

Aber dann verliebt sich Stasia in Simon Jaschi, Oberleutnant der Weißen Garde, und heiratet ihn. Diesen eleganten Charmeur, der flott auf einem imaginären, fröhlich wiehernden Pferd angeritten kommt, spielt Mirco Kreibich neben zehn anderen Rollen. In immer neuer Verkleidung mit immer anderer Stimme und unterschiedlichster Gestik und Mimik lässt Kreibich Frauen und Männer, gute und böse, lebendig werden, d.h. er tupft sie so hin, skizziert sie ohne ihnen ganz feste Konturen zu geben.

So eine hingetupfte Gestalt ist auch Mirco Kreibichs Brilka, für die Niza die Familiengeschichte geschrieben hat. Das achte Buch ist Brilka gewidmet, und im Roman folgen auf den Titel zwei leere Seiten, denn Brilkas Leben soll von ihr selbst gestaltet werden. Sie ist zwölf Jahre alt, so selbstbewusst und rebellisch wie alle Frauen der Familie Jaschi, und sie will Tänzerin werden wie ihre Ururgrossmutter Stasia. Vor Beginn des Stücks fliegt Brilka, mit einem Tutu über ihren Jeans, tanzend über die Bühne.

André Szymanski verkörpert drei Generationen der Familie Eristawi, beginnend mit Stasias Freundin Sopio, einer geheimnisvoll faszinierenden Dichterin, die durch einen Genickschuss endet. Ihr Sohn Andro, der einen Film über seine Mutter drehen wollte, kehrt als gebrochener Mann aus einem Arbeitslager zurück, und sein Sohn Miqa wird in einem Gefängnis zu Tode geprügelt.

Die Politik greift nicht nur von außen in das Leben der Menschen ein. Stasias lebensfroher Halbschwester Christine (Karin Neuhäuser) wird ihre Schönheit zum Verhängnis, aber sie nutzt die ihr brutal aufgezwungene Verbindung zum Geheimdienst, um ihre Familie zu schützen. Stasias Sohn Kostja (Sebastian Rudolph) wird vom sensiblen kleinen Jungen zum Helden im 2. Weltkrieg, entwickelt sich nach einer verlorenen Liebe zu einem verbitterten, bösartigen Menschen, der das Leben seiner Tochter Elene (Cathérine Seifert) zerstört, und als Mitarbeiter des Geheimdienstes dafür sorgt, dass seine Schwester Kitty (Maja Schöne), nach London übersiedelt nachdem sie Mittäterin bei einem Mord war, für den Kostja verantwortlich ist.

Es gibt viele Tote in diesem Stück. Kitty macht als Sängerin Karriere, begeht aber am Ende Selbstmord, vereinsamt und von traumatischen Erinnerungen verfolgt. Viel später bringt ihre Großnichte Daria (Franziska Hartmann) sich um, eine nach Anfangserfolgen gescheiterte Schauspielerin mit einer unglücklichen Liebe. Sie ist Nizas Halbschwester und die Mutter von Brilka.

Trotzdem wird gelebt, gefeiert, herumgealbert, gesungen und getanzt. Kinder bekunden mit Quäkstimmchen ihr Erscheinen auf der Welt, wachsen heran und werden unglücklich. Manches erscheint komisch, obwohl es entsetzlich ist wie Elenes Verführung des arglosen Miqas oder ein Totschlag mit einer Toilette zu Walzerklängen.

Pauline Hüners hat wundervolle Kostüme gestaltet, manche die unterschiedlichen Zeiten nur andeutend, aber auch so prachtvolle wie die roten Gewänder bei Christines Fest, bei dem sich das Leben der Gastgeberin erschreckend verändert.

In Filmeinblendungen sind die Machthaber zu sehen, deren Namen nicht genannt werden. Es geht nicht um sie, es geht um ihre Opfer, um Menschen, die in einem Jahrhundert leben mussten, „das alle betrogen und hintergangen hat, alle die, die hofften.“

Zusammengehalten werden diese Menschen durch Stasia, auch eine Betrogene, aber tanzend bis ins hohe Alter, manchmal resigniert, weltabgewandt, Geister sehend, dann jedoch plötzlich immer noch kämpferisch und pragmatisch. Und wenn Barbara Nüsse, völlig unsentimental in einem trockenen Ton, liebevoll zu Niza sagt, sie sei etwas ganz Besonderes, dann bleibt die Zeit stehen, einen unvergesslich schönen Augenblick lang.

Das Publikum zu Tränen zu rühren, wie es den Schauspielerinnen und Schauspielern in Jette Steckels Inszenierung einige Male gelingt, geschieht selten auf deutschen Bühnen.

Gefühle sind dort seit langer Zeit in Misskredit geraten. Theater gibt sich intellektuell und gesellschaftskritisch und grenzt sich, zugunsten der Ratio, gegen Emotionen ab, zumindest gegen das Mitleiden. Coolness ist angesagt, mit flotten Sprüchen lassen sich Tragödien kommentieren, und weil das Theater einen Bildungsauftrag hat, muss das Publikum aufgerüttelt und zum Denken gezwungen werden. Wut und Ekel sind erlaubt, aber nicht Empathie. Tränen der Freude oder der Trauer dürfen, auch von harten Männern, nach Fußballspielen vergossen werden, aber nicht im Theater.

Dabei sind coole Zyniker keine angenehmen Zeitgenossen, Schocks lähmen das Denken statt es zu beflügeln, und Ekel ist nicht der Kitt, der eine erlebenswerte Gemeinschaft zusammenhalten könnte.

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