Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „De-heimatize it!“ war das Motto des gerade beendeten 4. Berliner Herbstsalons. Das Maxim-Gorki-Theater lud ein zu einem interdisziplinären Festival mit Theater, Kunst und Diskurs.
Bei freiem Eintritt konnte eine Ausstellung mit Werken von 40 internationalen Künstler*innen besichtigt werden. Vor dem Theater mahnt eine Installation von Regina José Galindo mit dem Gebot: „Du sollst nicht vergewaltigen!“
Widerstand gegen die Vaterländer von Rassisten und Sexisten ist angesagt. Das Festival gab Anregungen zu neuen Interpretationen von Zugehörigkeit und Gemeinsamkeit, dekonstruierte einen Heimatbegriff der, aus der Mottenkiste gezerrt, wieder Hochkonjunktur hat. Heimat als verlogene Idylle, die gegen Fremde abgegrenzt und verteidigt werden muss.
Fremde, das sind auch alle Frauen im Patriarchat.
„Wir Frauen sind Fremde. Deshalb dürfen wir nicht bei uns sein“ sagen die Frauen in Marta Górnickas feministischem Manifest. Die Performer*innen sagen auch: „Die Fremden sind immer die größte Gefahr für die Frauen“.
Das Chorstück „Jedem das Seine“ ist eine Koproduktion der Münchner Kammerspiele mit dem Maxim-Gorki-Theater. Im Mai letzten Jahres war die Uraufführung in München, und die Berlin-Premiere gab es zur Eröffnung des 4. Berliner Herbstsalons.
Der Titel des Stücks ist doppeldeutig. „Jedem das Seine“ war in der Antike ein Begriff aus der Rechtsprechung und bezog sich auf die gerechte Verteilung von Gütern.
Im Nationalsozialismus erfuhr dieser Satz eine pervertierende Umdeutung. Er wurde über dem Eingang zum Konzentrationslager Buchenwald zitiert als Verhöhnung der Opfer, die bekommen sollten, was sie angeblich verdienten.
Marta Górnickas Inszenierung ist ein Protestschrei gegen den immer stärker werdenden Rechtspopulismus mit seinem zynischen Gedankengut und gegen die wachsende Macht kapitalistischer, rassistischer und sexistischer Patriarchen.
In ihrem Libretto hat Marta Górnicka Zitate von Politikern mit Werbetexten kombiniert, dazu neue Texte von Katja Brunner und Auszüge aus neuen und alten feministischen Manifesten, darunter auch das „SCUM Manifesto“ von Valerie Solanas.
Auf der Bühne agieren, sprechen, flüstern, schreien, singen und tanzen 23 Personen, vorwiegend Frauen. Dabei sind auch ein kleines Mädchen und ein paar Männer. Sie sind unterschiedlich angezogen, tragen Kleider, kurze Hosen oder knappe Trikots. Sie zeigen viel Haut, denn sie sind Frauen, Ware, zum Kauf angeboten, angehalten, sich selbst feil zu bieten. Sie sind aber auch Rebellinnen, Kämpferinnen gegen Unterdrückung und Entwürdigung.
Dieser Chor erscheint niemals als Masse. Auch wenn sich alle in der hervorragenden Choreographie gleich bewegen, bleiben sie Individuen, Persönlichkeiten. Manchmal schließen sie sich zusammen, manchmal agieren sie auch ganz für sich, einsam, ausgeliefert und verloren.
Alle sind Frauen auf der Bühne, auch die Männer. Die Trump-Parodie übernimmt eine Frau. Sie hat den kennzeichnenden blonden Wischmopp auf dem Kopf und präsentiert sich mit nacktem Oberkörper, als Anspielung auf die Femen. Trump wird auf Schultern getragen, brüllt, er sei Gott und ruft den totalen Sexismus aus. Der Zorn der Performerin ist spürbar, während sie die größenwahnsinnigen Phrasen des mächtigsten Mannes der Welt herausblubbert.
Marta Górnicka steht während der Aufführung im Publikum und dirigiert, gibt Einsätze, steuert Tempi und Lautstärken, feuert die Akteur*innen an, markiert Akzente und Pausen.
Am Ende singen die Frauen die Bach-Kantate „Nur jedem das Seine“ mit hellen Stimmen wie ein Engelschor. Eine der Performer*innen lacht über die kunstvoll verpackte Verlockung zur totalen Hingabe.
Marta Górnicka hat sich mit ihren Chören zu unterschiedlichen, brisanten politischen Themen international einen Namen gemacht. 2018, beim 28jährigen Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung, unterzog Górnicka mit einem Ensemble aus 50 Performer*innen das Grundgesetz einem Stresstest. Die Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor erreichte eine breite, begeisterte Öffentlichkeit.
Im September 2019 gründete Marta Górnicka am Maxim-Gorki-Theater „Das Political Voice Institute“, mit dem sie ihr nächstes Projekt vorbereitet.
Fascism, das englische Wort für „Faschismus“, schreibt sich mit „SC“ (wie Sportclub; nur eine Eselsbrücke), die im Gorki-Theater gezeigte Schrift enthält also einen Fehler.
Vielleicht wäre es einfacher gewesen, gleich deutsch zu schreiben; manchmal entstehen dann weniger Fehler und das Verständnis wird sowieso erhöht. In das Unterbewusstsein dringen die Wörter anders ein und es gibt viele Missverständnisse auch bei Wörtern aus der Fremdsprache, die man glaubt zu verstehen.