Das Gaststättensterben geht weiter

Der vegane Imbiss "Veggie CURRY-Piraten" am S-Bhf-Ausgang Frankfurter Allee. Man sieht den Imbiss frontal ganz, eine Angestellte blickt durchs Fenster, 3 Gäste stehen und sitzen vor dem Imbiss
Das Gaststättensterben geht weiter: Mein veganer Lieblingsimbiss "Veggie CURRY-PIRATEN" am Ring-S-Bahnhof Frankfurter Allee in Berlin-Friedrichshain schließt am 28.1.'23 für immer. Aufnahmedatum 16.1.2023. © Copyright 2023 Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Das Gaststättensterben geht weiter: schon heute und nicht erst am 29. wie aufgrund einer falschen Information in einem anderen Artikel gemeldet worden war (mit einem zwar ähnlichen Titelbild, dass wir auch deshalb diesmal auswählten) schließt „mein veganer Lieblingsimbiss“. Ein kleiner Erfolg ist aber neu zu vermelden: Nachrecherchen zufolge wird in der westlich benachbarten, seit 20 Jahren bestehenden Bude „CURRY-PIRATEN“ wenigstens ein Basis-Veggie-Würstchen-Angebot gebrutzelt werden. Die Chefin hat das signalisiert. In dem älteren Imbiss – die Veggie CURRY-PIRATEN gab es erst seit 2 Jahren, und wie sich herausgestellt hat, ja auch nur zwei Jahre – gibt es zwei Fritierbecken für gutes, heißes Öl und mehrere Bratflächen für Bratgut. Ein Becken wird ausschließlich für Vegetarisches reserviert sein und eine Bratfläche, die obendrein mit einem Spritzschutz versehen wird, ebenfalls. Ein Aus für den beliebten Veggie-Imbiss; aber eine bleibende Möglichkeit für Berufspendler, sich hier mit heißem veganen Essen zu versorgen.

Sorgen macht der Branche auch der Arbeitskräftemangel. Gastronomieverbände wie die DEHOGA schätzen, dass 50.000 Kräfte fehlen. Viele Stellen sind unbesetzt. Die künstlich vom Zaun gebrochene größte Wirtschaftskrise der vergangenen drei Jahre, nicht natürlich entstanden, sondern durch ein von oben verordnetes Ausschalten der meisten Wirtschaftsaktivitäten verursacht, führte naturgemäß zu einem Abwandern vieler Köche und Servicekräfte in andere noch funktionierende Branchen: Bau, Produktion, Testzentren u.ä. Diese Gastronomiearbeitskräfte sind aber, nachdem im Sommer 2022 die Gaststätten wieder von allen zahlenden Kunden besucht werden durften, nicht alle in diesen Wirtschaftszweig wiedergekommen. Viele wanderten ins besser zahlende Ausland ab und einige blieben für immer dort. Andere sind in anderen Berufen geblieben. Ein schwacher „Trost“ bleibt, dass in einer geringeren Zahl von Gaststätten insgesamt auch weniger Personal benötigt wird.

Denn das Gaststättensterben geht weiter.

Das Gaststättensterben geht weiter – ein Block am Kurfürstendamm

Zwischen der Schaubühne am Lehniner Platz, die vielen Lesern vom Theaterbesuch bekannt sein dürfte – ein Bau in einem ganzen Ensemble, einer kleinen Stadt (Wohn- und Geschäftskomplex WOGA Ku’damm 153-156), die 1925-31 von Erich Mendelsohn errichtet wurde – und der weiter westlich gelegenen Nestorstraße gab es etwa ein halbes Dutzend Restaurants. Francucci’s an der Ecke gegenüber des Theaters hat überlebt. Wir wollen gar nicht wissen, wieviel die Inhaber finanziell geblutet haben 2020-2022. Zwar wurden die Folgen des Herunterfahrens fast des gesamten Wirtschaft auf Kosten des Steuerzahlers gebremst, aber anscheinend auch, um Volk und Unternehmen die unglaublich weitreichenden Maßnahmen und Verbote schmackhaft zu machen. Die auch dadurch enorm gestiegene deutsche Staatsverschuldung und anderes führten 2022 zu einer Inflation, die vielen einen Theater- oder Restaurantbesuch verwehrt.

Das chinesische (Taiwan- oder Hongkong-) Restaurant Lee Wah an der Nordostecke Nestorstraße und Kurfürstendamm (Ku’damm) schloss schon vor vielen Monaten. Der Wienerwald konnte sich vom teuren Ku’damm, dem Weltstadtboulevard, um die Ecke herum auf die andere Seite von Francucci’s in die Seitenstraße am Lehniner Platz retten und machte „1001 Grad“ und einem kleinen Café Platz. Auf der anderen Straßenseite des Ku’damms, also der Südseite, auf der auch die Schaubühne steht, schloss das brasilianische Restaurant Churrascarria mit Rodizio in dem Hause einer Botschaft. Eine Churrascarria „ist ein traditionelles Restaurant aus Süd-Brasilien, in dem es vor allem gegrilltes Fleisch (Churrasco) gibt. In Deutschland werden diese Gaststätten meist Rodizio-Restaurant genannt. Rodizio stammt vom lateinischen Rota (Kreis, Kreislauf), im Sinne, dass die Spieße sich im ewigen Kreislauf vom Feuer zum Tisch und zurück befinden“, erläutert ein Text der deutschen Wikipedia-Website.

Natürlich waren die Gründe für Gaststättenschließungen nicht immer das Ausschalten der Volkswirtschaft 2020. Doch viele Entscheidungen aus (Neben-) Gründen wie Generationswechsel, Altersgründen und geplanten Lokalveräußerungen wurden vorgezogen oder aufgrund der unverhofften Gemengelage neu oder überhaupt erst getroffen.

Das Gaststättensterben geht weiter – eine Ecke in Friedrichshain

Reinhardt’s moderne deutsche Küche, das Eckrestaurant Pettenkoferstraße/ Frankfurter Allee, kann man mit seiner großen verwaisten Terrasse schon sehen, wenn man vom erwähnten Veggie-Imbiss aus die Sackgasse Rigaer verlässt und nach links schaut. Hier lag es nicht ganz am Geld. Der Mietvertrag konnte nicht langfristig verlängert werden. Drei leitende Mitarbeiter verabschieden sich nach einer Ära von 31 Jahren. Es war eine erfolgreiche Neugründung nach der Wiedervereinigung in einem Neubau in prima Lage. Die Bundesstraße mit S- und U-Bahnanschluss und dann das gegenüber entstehende Einkaufzentrum „Ringcenter“. Doch vielleicht ist gerade auch das jetzt einer der Stricke, die mit zum Ende führten. Die Vermieter wollen „eine neues Konzept“. Letzter Öffnungstag war der 30.12.2022. Sogar das Silvestergeschäft wurde vermiest. Anfang Januar haben die Inhaber dann das Inventar verkauft. Traurig. Für deutsche Küche ist in Deutschland anscheinend kein Platz mehr.

Einmal über die Frankfurter und ein paar Schritte von der Bahnbrücke weg nach Westen versteckt sich die Müggelstraße hinter einer Fußgängerunterführung. In der Nummer 9 an der nächsten Ecke überlebte das Barbebu. Vorn das Eckrestaurant, in der Müggelstraße dann der Eingang zu einer Live-Bühne mit Musik und Comedy. Seit 1. Oktober wieder volles Programm. Respekt. Allerdings hat sich die Situation verändert. Rannten einem früher die Indie-Musiker die Bude ein, muss die Agentur den Künstlern heute hinterherlaufen, so der Wirt. Zu tief die Schäden und Gräben, die die Wirtschaftskrise, die größer ist als die Weltwirtschaftskrise 1929, hinterlassen hat. Musiker wechselten den Beruf. Immerhin darf der Zuschauerraum wieder normal gefüllt werden. Die Maßnahmen, Verbote und Verordnungen führten zu einer Lage, dass man den falschen Leuten schon für winzigste Brocken von Normalem dankbar ist.

Wandel

Für den Ort der Veggie-CURRY-PIRATEN ist es „nur“ ein Wechsel. Pächter und Vermieter sind die Gewinner der Verbote von 2020. Die Mieten steigen schneller als die Immobilienpreise. Bis vor zwei Jahren war dort die „Kaffeekiste“, was die Zukunft nach den Veggies bringt, ist unklar. Mitarbeiterin SAY* hat erst vor zwei Wochen realisiert, was das Ende bedeutet und war einige Zeit ziemlich „down“. Inzwischen hat sie sich wieder gefangen, wie sie vor kurzem berichtete, als wir für das notwendig gewordene Update recherchierten.

Wie lange wird der Satz noch gelten: „Das Gaststättensterben geht weiter“?

*Name von der Redaktion geändert

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