Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). 1946 wurde das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) auf amerikanische Intiative als RIAS-Symphonie-Orchester gegründet. 1956 in Radio-Symphonie-Orchester Berlin umbenannt, erhielt es 1993 seinen heutigen Namen. Seit seiner Gründung kann es eine Phalanc von Chefdirigenten internationalen Ranges aufweisen: Ferenc Fricsay, Lorin Maazel, Riccardo Chailly, Wladimir Ashkenazy, Kent Nagano, Ingo Metzmacher, Tugan Sochiew und seit 2017 Robin Ticciati. Gewachsen ist seine Popularität in Berlin durch die »Erfindung» des »Symphonic Mob» – nach dem Beispiel einer Intiatve von Musikern in Toronto. Alljährlich ruft das DSO alle, vornehmlich Laien, die ein Instrument beherrschen oder gern singen, zu einem spontanen Konzert an einem zentralen Ort wie der Mall of Berlin, auf. Waren es am Anfang 400 Musiker, die mitmachten, so wuchs ihre Zahl 2016 auf 1.000 Instrumentalisten und Sänger an., verstärkt auch durch den Rundfunkchor Berlin. Angesichts dieser »Macht» bekannte sogar Kent Nagano, er habe Herzklopfen gehabt. Mit derselben Begeisterung macht Robin Ticciati weiter. Sogar im Pandemie-Jahr 2021 spielten – unter allen Vorsichtsmaßnahmen – 250 (zugelassene) Musiker, weniger als sonst, aber mit mehr Zuschauern als sonst. Dem Beispiel des DSO folgen inzwischen Orchester in 12 deutschen Städten, die sich auch methodisch und mit Notenmaterial austauschen. Eine andere volkstümliche Form hat das Orchester auch für seine Silvesterkonzerte entwickelt. Gemeinsam mit dem Circus Roncalli bietet es im Tempodrom ein Programm mit stimmungsvoller Musik und Artistik.
Das Orchester kann doppelt feiern, nämlich außer 75 den 12. Jahrestag seiner Rettung. 2009 hatte der damalige Intendant des Deutschlandradio, Willi Steul, die Idee, den Haushalt des Senders mit der Schließung des DSO und der Überleitung einiger Stellen an das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin zu entlasten – gepaart mit dem Ehrgeiz Marek Janowskis, das einzige Rundfunkorchester Berlins führen zu können. Ganz im Unterschied zu anderen tragischen Beispielen verhinderten das zum einen die Solidarität und der Aufruhr von Abonnenten und Konzertbesuchern sowie der Presse, zum anderen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Trägern der Rundfunkorchester und -chöre-GmbH. Politisch war schon der Plan falsch. Denn nach den Berliner Symphonikern wäre das zweite West-Orchester gestrichen worden und das Ost- Orchester wäre geblieben. Aber politische Weisheit ist ein knappes Gut.
Obwohl es gutging – die Warnung bleibt: Wachsamkeit und Widerstand sind überall nötig, wo Landesregierungen, Oberbürgermeister oder Rundfunkintendanten Kosten sparen wollen. Ein Orchester mit 70 bis 150 Stellen, faktisch ein mittelgroßer Betrieb, bietet sich den Sparkommissaren als ein sehr brauchbares Objekt an, das gleich mal vier bis sechs Millionen Einsparung bringt. Das passiert den besten und begehrtesten Orchestern mit jahrelang erarbeiteter hoher Klangkultur.
Wie viel schöpferisches Potential ein bewährtes Orchester entfalten kann, beweisen die vielfältigen Erfahrungen des DSO mit der kleinen Form und Lifestream-Darbietungen während der Aussetzung der Konzerte infolge der Pandemie. Darin sieht Robin Ticciati einen neuen Aufbruch, zum Beispiel mit den kammermusikalischen Konzerten an vielen Orten der Stadt oder durch Konzerte mit dem Titel »Neues vom Tage», deren Programme laut Spielplan »kurzfristig auf aktuelle Themen reagieren». Mehr weiß man noch nicht, aber auf das erste Konzert dieser Art darf der Interessent am 19. Dezember gespannt sein (wie wäre es mit »Nord Stream 2 ja oder nein?» oder »Cuba si – Yankee no»?).
Eine besondere Ehre wurde dem DSO am 6. Oktober zuteil, als es vom »Babyn Yar Holocaust Memorial Center» eingeladen wurde, auf der Gedenkveranstaltung in Kiew zum 80. Jahrestag der Ermordung von 34.000 Juden zu spielen. Unter der Leitung von Thomas Sanderling führte das DSO in Anwesenheit der Staatspräsidenten der Ukraine, Israels und Deutschlands die 13. Sinfonie Dmitri Schostakowitschs, die »Babi-Jar-Sinfonie», auf. Der Ort und die Athmosphäre der Feier hinterließ bei den Musikern einen nachhaltigen Eindruck, was auch bei jedem das Verständnis des Werks von Schostakowitsch vertiefte.
Für das Jubiläumskonzert am 19. und 20. November hat Ticciati ein Programm ausgewählt, das ein weites musikalisches Panorama eröffnet – von der Renaissance bis in die Gegenwart, mit Seitenblicken auf Improvisation und Jazz. Besonderen Glanz verleihen dem Konzert die Geigerin Lisa Batiaschwili, der Pianist Rolf Zielke und der Cellist Stephan Braun.