
Berlin/ Dassow, Deutschland (Kulturexpresso). Barockschloss, Baudenkmal und Filmkulisse – Schloss Johannstorf ist abgebrannt. Die Polizei vermutet Brandstiftung. Ein Millionenschaden, der ideelle Schaden weitaus höher, denn das aus dem Barock stammende Gebäude ist natürlich nicht 1:1 wieder aufbaubar. 1743 von Baumeister Rudolph Matthias Dallin errichtet. Aufgeführt oder aufgeführet sagte man im frühen 18. Jahrhundert. Der Deutschschwede Dallin wurde um 1680 in Schwedisch-Vorpommern geboren. (Wir erinnern uns: ein Teil Rügens war auch lange schwedisch, wie das Theater in Puttbus beweist.) Architekten hießen noch nicht so und hatten auch wenig Ansehen, das änderte sich erst mit dem Klassizismus. Doch Dallin war auch Militär. Als Offizier genoss er damals Ansehen und hatte einen gewissen Einfluss. Schweden war eine Großmacht. Da, wo St. Petersburg steht, war früher Schweden.
Und erst nach dem Großen Nordischen Krieg, nachdem die Schweden bei Poltawa eine wichtige Schlacht und damit letztlich 1721 den Krieg verloren, schwand die schwedische Macht. Poltawa ist übrigens weit weg von Vorpommern und Johannstorf. Es liegt zwischen Dnjepr und Charkow. Gehört heute zur Ukraine. Damals zum Russischen Reich.
Rudolph Matthias Dallin wurde 1715 Offizier, noch während der Großen Nordischen Krieges zwischen Dänemark, Russland und Schweden (später nur noch zwischen Russland und Schweden). Offizier wurde er automatisch, weil der schwedische König ihn zum Capitain des mineurs ernannte. Dallin baute 1707 Schloss Gottorf bei Schleswig, Kuhhäuser, Scheunen, Torhäuser von Gütern in Gremersdorf, Belau und Lammershagen. Das ist in Ostholstein und bei Plön. Nach dem Krieg baute er Preetz, auch im Raum Plön, die evangelische Stadtkirche um. Das prächtige Eutiner Schloss. Er baute das Kieler Schloss um. Und das Quedlinburger. Gutshäuser. Und zu guter Letzt, Sie ahnen es: das Herrenhaus in Johannstorf. Im selben Jahr starb er.
Das Schloss war lange Wohnhaus und nach der Enteignung 1945 auch.
Menschen kamen nicht zu Schaden, weil das teilsanierte Schloss gerade leerstand.
Filmkulisse Barockschloss Johannstorf – „Das weiße Band“ wurde hier gedreht
der in München geborene Filmemacher Michael Haneke (geboren 1942) schrieb das Drehbuch für den 144minütigen Spielfilm „Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“ und führte Regie. Der oscar-nominierte deutsche Film „Das weiße Band“, eine deutsch-österreichisch-französich-italienische Gemeinschaftsproduktion, wurde nicht umsonst hier in der Gegend gedreht. Die Lage ist kein Zufall. Der location manager des Films „machte einen guten Job“.
Zur Lage des Barockschlosses Johannstorf – bitte Mecklenburg richtig aussprechen mit langem ‚e‘
Das am 1.März abgebrannte Schloss Johannstorf im gleichnamigen 65-Seelen-Ort gehört heute Stadt Dassow im Landkreis Nordwestmecklenburg.
Mecklenburg spricht man „Meeklenburg“, das ‘c’ ist ein Dehnungs-C. Statt des ‚h‘, das in Wörtern wie ‚Hahn‘, ‚Bahn‘ und ‚Kahn‘ die größere Länge des Selbstlauts, also des Vokals, anzeigt, gibt es im Deutschen auch andere Dehnungsbuchstaben je nach Region. Am Rhein, besonders am Niederrhein, kennen wir das Dehnungs-E. Kevelaer wird nicht „Kevelär“ ausgeprochen, sondern Kevelaar oder Kevelahr.
In der Türkei, die erst nach dem ersten Weltkrieg unter Kemal Atatürk auf lateinische Buchstaben umgestiegen ist – im Osmanischen Reich waren es noch arabische – gibt es Dehnungs-G. Im Gegensatz zum echten ‚G“, das man auch so spricht steht das Dehnungs-G immer nach einem Vokal und nie am Anfang. Das ‚G’ in Gaziantep ist also ein echtes, nach ‚G‘ klingendes. Das Dehnungs-g hat noch einen kleinen nach oben offenen Halbmond oder Lächel-Mund obendrauf. (Ein sogenanntes diakritisches Zeichen.) Das Dehnungs-g wird natürlich logischerweise normalerweise kleingeschrieben, da es nicht am Wortanfang stehen kann. Der Familienname Erdogan ist ein Beispiel. Man spricht ihn Erdo-Ahn. Ein ‚g‘ hört man da gar nicht.
Schlechte Aussichten für die DDR-Bewohner – gute Aussichten für das Schloss als Filmkulisse
Johannstorf liegt also im Nordwesten Mecklenburgs (wer hat da „Mac“ vorgelesen?). Mee-cklen-burg wie in Me-262, lang und betont!
Die Kleinstadt Dassow ist ein bisschen weg. Das nächste Dorf ist Volkstorf in etwa einem Kilometer Entfernung. Die deutsche Teilung brachte schlechte Aussichten nach Johannstorf. Südlich des Dorfes liegt der Dassower See. Der gehört aber trotz seines Namens zum Stadtteil Priwall von Lübeck-Travemünde, der großen und riechen Hansestadt. Von Osten kommend mündet die Stepenitz, ein Flüsschen, in den See. An der Mündung gibt es eine Brücke, einen Anleger für Fischerboote und da hat sich Dassow gebildet.
Deutsche und Wenden leben zusammen
Wir sind ja hier in einer Gegend, in der Slawen und Germanen, namentliche Deutsche und Wenden friedlich nebeneinander wohnten. Bis westlich der Elbe, bei Lüneburg zum Beispiel, gibt es Orte wie Deutsch Evern und Wendisch Evern. Der Stadtteil Wilmersdorf von Berlin, vor 1920 eine Stadt, war bis oin den Barock ein Dorf. Die Ehre, die drei Lilien als Wappen zu tragen erhielt Deutsch-Wilmersdorf, wie es bis ins 20. Jahrhundert hinein hieß, nur, weil ein Wilmersdorfer in einem Feldzug dem französischen König das Leben rettete. Das Wappen blieb bis heute. Die deutsch-französische Freundschaft war beim Alten Fritz, also im Barock, und bei Bismarck (2. Reich) nicht so stark, nachdem Frankreich zum Beispiel 1870 Preußen und dem Norddeutschen Bund den Krieg erklärt hatte. Die Sache mit den Allianzen, der Alptraum Bismarcks, zieht sich durch die Geschichte. Zeit, die Kriege jetzt mal abzuschaffen.
Doppelt irreführender Name – Dassower See
Dassow ist zwar heute eine Kleinstadt und hat über 4000 Einwohner. Aber nur, weil es nach der Wiedervereinigung so geschaffen wurde wie das in etwas anderen Grenzen ebenfalls wiedergeschaffene Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Damit wurden die vielen DDR-Bezirke abgelöst. Dassow besteht aus 20 Teilen mit durchschnittlich 200 Einwohnern. Neben Dassow selbst mit dem Vorwerk sind das viele ehemalige Dörfer wie das kleine Johannstorf mit seinem Gut und Gutshaus.
Der Name Dassow stammt wohl aus dem Altpolabischen, das ist westslawisch. Dartzowe heißt soviel wie Ort, wo die Dornensträucher wachsen. Aus Darsowe Anfang des 15. Jahrhunderts wurde ein paar Jahrzehnte später „Dassow“. Das „w“ der Endung „ow“ spricht man auch nicht mehr, o weh. Stadtrecht erhielt Dassow erst im Deutschen Reich, als der Reichskanzler Hitler hieß. Das war, kein Aprilscherz, am 1. April 1938.
Ein See? Nee.
Der Dassower See ist nach Dassow benannt, gehört aber zu Lübeck-Travemünde. Und ein See ist es auch nicht, sondern eine Bucht. Teil der Traveförde. Deshalb ist das Wasser Brackwasser. Es ist noch nicht so salzig wie die Ostsee hinter der Halbinsel Pitwall, aber das Süßwasser endet an der Flussmündung bei Dassow.
Weil die Planungen zur Aufteilung des deutschen Reiches schon 1943 auf der Krim weit gediehen waren (Dreiteilung), Roosevelt und Churchill besuchten Stalin im Bade- bzw. Kurort Jalta in der Sowjetunion, und nach dem Kriegsende in Europa 1945 das Potsdamer Abkommen geschlossen wurde, gehörte Lübeck-Travemünde den Briten und Johannstorf den Sowjets. Deutschland, das Deutsche Reich, wurde viergeteilt. Nach Bi- und Trizone entstanden ja 1949 zwei Staaten mit Teilsouvernänität, der Luftraum zum Beispiel war nicht deutsch. Nach der Abwanderung von Millionen in den neuen Weststaat Bundesrepublik wurde ab 13. August 1961 die Mauer gebaut. Und die innerdeutsche Grenze. 28 Jahre mit Mauer und Zäunen. Es dauerte ein bisschen, bis die verbliebenen Bauarbeiter alles soweit hatten, wie man es 1989 kannte und sehen konnte.

Ein Nachteil wird zum Vorteil – „Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“ wird gedreht
Da Stadtgrenzen plötzlich Landesgrenzen und Staatsgrenzen wurden, entstand am Nordufer (englisch North Shore) des Dassower Sees an der Hochwassergrenze eine Mauer. Mehrere Meter hoch. Von Johannstorf, das am Nordufer der Bucht liegt, die See heißt, konnte man das Wasser also nicht sehen. So, wie man aus dem Potsdamer Neuen Garten mit dem Schloss Cecilienhof die Havelseen wie den Jungfernsee nicht sehen konnte. Richtung Glienicker Brücke und Pfaueninsel stand am Ufer ein Zaun. Grün angestrichen. Davor meist Bäume und Sträucher. Kein Blick aufs Wasser. Keine Orientierung. Stalin und der US-Präsident beschlossen mit Briten und Franzosen die Vierteilung Deutschlands in Cecilienhof. Warum dort? Weil Berlin zerbombt und zerstört war. Man fand dort keinen einzigen Tagungsort mehr. Hard work für den location manager oder scout.
Beim Film sucht der die Drehorte aus oder schlägt sie vor. Drehbuchautor und Regisseur Haneke brauchte Kopfsteinpflaster. Es konnte keinen Straßenlärm in der Nähe gebrauchen, kein Martinshorn von Feuerwehrwagen. All das fand er in Mecklenburg. Anschließend wurde das Kopfsteinpflaster, das man im Film sieht, herausgerissen und verkauft. Die Dörfler waren um ein Stück Heimat ärmer. In Schloss Johannstorf drehte man. Weniger als hundert Einwohner heute, das kam gelegen. Das Barockschloss auch.
Die Grenze zwischen Deutschland und Deutschland führte in den 60er, 70er und 80 Jahren seitens der DDR zu einer militärischen Sperrzone. Da wurde auch nicht gebaut. Johannstorf blieb von DDR-Architektur so verschont. Wat den een sin Uhl, is den annern sin Nachtigall.
Johannstorf und Dassow im „Osten“ – und im Westen Mecklenburgs – eine Reise wert
Eine Reise in den Landkreis Nordwestmecklenburg an der Ostsee lohnt heute allemal. Ruhe, Vögel und viel, viel Wasser. Süßwasser, Brackwasser und Salzwasser. Flaches Land und die Marzipan-Großstadt Lübeck im Westen mit Bahnhof und allem drum und dran nicht weit. Auch wenn nach der Brandstiftung an Schloss Johannstorf nun erstmal eine Attraktion weniger vorhanden ist. Nichtsdestotrotz ist Schloss Johannstorf der Ort, an dem „das weiße Band “ gedreht wurde.
Schloss Johannstorf ist abgebrannt. Nicht hingegen „Das weiße Band“.
Zum Trost sei gesagt, dass das Barockschloss sowieso nicht zugänglich war. Wenn Sie mal ein Auto mit dem Kennzeichen NWM sehen, grüßt es von dort.