Geschmückt mit Helgas Tränensäcken – Der Punk-Poet Jan Off schenkt uns neue Aufzeichnungen aus der Vorhölle

© Unsichtbar Verlag

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „Seine Hoden fühlten sich an, als wären sie auf die Größe von Weintrauben geschrumpft, in seinem Magen blubberte und brodelte es wie in einer Schwefelquelle.“

Was hält Sir Jan Off diesmal für Offenbarungen bereitet? Nachdem der Meister bisher die Punkszene, die Autonomen und immer wieder sich selbst durch den Kümmerling gezogen hat, steht diesmal nichts weniger als das Ende der Welt vor der Tür.
„Es war ein Meteorit ausgemacht worden, der sich auf die Erde zubewegte. Zwar besaß dieses Exemplar eine nie dagewesene Größe, aber das stellte keinen Grund zur Beunruhigung dar, schließlich hatte man die Abwehr derartiger Bedrohungen in den letzten Jahren zu genüge durchgespielt.“

Wer das Glück hat, Deutschlands berühmtesten Punk-Barden einmal öffentlich erlebt zu haben, kennt den Charme seines professionellen Vortrags, die Kraft seiner Stimme. Und liest Sätze wie den eingangs zitierten im getragenen Tempo des Autors, „Hoden“ etwas höher gejauchzt, folgend der leicht absinkende Tonfall bis hin zum letzten gedehnten Wort. Und schon ist man hinein gebeamt in ein rasantes Untergangsszenario, welches sich auf knackigen einhundertsechzig Seiten entfaltet. Jan Offs Stimme im Ohr. Jedes Sprachbild schlüssig, jedes Fortschreiten der Handlung atemberaubend und abgrundtief böse.

Die Rettung der Welt hatte irgendwie nicht geklappt: „Das Manöver war schiefgelaufen.“ Marek, ein knapp vierzigjähriger und ziemlich einsamer Looser, begibt sich nach draußen. Wenn schon alles gleich vorbei ist, könnte man ja schnell noch ein paar Drogen nehmen, oder ficken. Kaum der Wohnung entwichen, ereilt ihn eine Einladung zum Umtrunk, mit dem alten Herrn Harnleitner von gegenüber.

„Allerdings sah der heute deutlich anders aus als gewohnt. Er trug Strapse, eine längere, silberne Perlenkette und sonst …nichts. Aber halt, Letzteres stimmte nicht ganz. Da war noch ein Accessoire, ein Detail, das Marek erst jetzt auffiel, obwohl es eigentlich nicht zu übersehen war. An Harnleitners Ohren hingen, wie ganz normaler Schmuck befestigt, zwei ausgefranste, blutige Hautlappen in der Größe von Spielkarten. Was bitte schön war das? Schlachtereiabfälle? Der Alte bemerkte Mareks Blick und sagte: »Helgas Tränensäcke.« Nun war Marek erst recht verwirrt. »Wie bitte? Was?« »Na, die Tränensäcke von Helga, meiner Frau.«“

Marek flieht hinaus in das Chaos, erst mal René besuchen, seinen Dealer. Der ist hin, wie sich bald herausstellt, gemetzelt von einer wikingergleichen Wilden, schwanger und schön obendrein. Die kettenrauchende Kira geleitet unsern trottligen Marek in die Apokalypse, gemeinsam schlingert das ungleiche Pärchen durch den entfesselten Nahkampf. Apotheke, Spielhalle, Schwimmbad. Dazwischen ein Ausflug Mareks zu einem entzückenden Rockabillygirl mit Pferdeschwanz und Pony. Dies ließ jedenfalls das Profilbild Kats in seiner Thunder-Dating-App vermuten.

„Es empfing ihn tatsächlich ein Schlafzimmer, es empfing ihn tatsächlich ein Bett, es empfing ihn tatsächlich eine Frau. Aber diese Frau hatte mit dem Bild von Kat so viel zu tun wie Prinzessin Lillifee mit einem Orkweibchen. Ein Trumm von einem Körper; eine Walküre mit massigen, welken Oberarmen; die Haut teigig; die Haare fettig. Wenigstens war sie nicht nackt, wenigstens ersparte sie ihm den Anblick ihrer klatschnassen …“

Lesen Sie selbst, wie sich Mareks Weltuntergang gestaltet. Dass Jan Off uns letztlich die Sympathie mit dem Anti-Helden aus den Herzen sprengt, ist das Mindeste, was wir von diesem Autor erwarten durften. Fulminant und überraschend bis zur letzten Zeile!

* * *

Jan Off, Die Helligkeit der letzten Tage, Roman, 160 Seiten, Hardcover, Unsichtbar Verlag, 2016, ISBN: 978-3-95791-055-4, Preis: 12,99 Euro

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1 Kommentar

  1. Wohl kein Werk des Meisters hat die Kreuzberger Szene so zerstritten und abweisend hinterlassen wie dieses. Da konnten auch die Outtakes wenig retten. Mit meiner wenn auch leicht verstörten positiven Einschätzung dieses „Zombie-Romans“ stehe ich ziemlich allein da. Schade, vieles in dem Buch hat Erinnerungsmomente. Allein das geniale Spiel um Pep dubioser Qualität, das der jämmerliche Held gewinnt, um doch zu verlieren. So wie alle Versuche an ernsthafte Drogen zu kommen in Erwartung der Apokalypse elendig scheitern. Und der Mensch des Menschen größter Feind bleibt. Da braucht es keine Himmelskörper. Starkes Buch!