In neuer Übersetzung – Menschenkind von Toni Morrison

"Beloved", ein Roman von Toni Morrison. © Rowohlt Verlag GmbH

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „Ein Gesicht, stiller, als einem lieb sein konnte; Augen von der Farbe ihrer Haut, die ihn in diesem stillen Gesicht früher immer an eine Maske denken ließen, der gnädigerweise die Augen ausgeschlagen waren. Halles Frau. Jedes Jahr schwanger, auch in dem Jahr, als sie sich zu ihm ans Feuer setzte und ihm sagte, sie werde weglaufen.“

Die Frau mit den Augen wie Brunnen ist Sethe, die Hauptfigur des nun in neuer Übersetzung vorliegenden Romans „Menschenkind“ von Toni Morrison. 1987 war der vierte Roman der Nobelpreisträgerin bereits in den USA erschienen und gilt als ihr größtes Werk. In ihrem Vorwort schreibt die Autorin, dass sie ihre Teilzeitarbeit als Lektorin aufgab, bevor sie mit der Arbeit an diesem Buch begann, sich also befreite, um die Geschichte der Unfreien zu beschreiben:

„Ich glaube, die Erschütterung des eigenen Befreitseins hat mich zum Nachdenken darüber gebracht, was „Freiheit“ für Frauen eigentlich bedeutet. […] Unter den Bedingungen, wie sie der Logik institutionalisierter Versklavung entsprachen, war das Geltendmachen der eigenen Elternschaft ein Verbrechen.“

Aus dem Nachdenken darüber, dass Schwarze Frauen zwar Kinder gebären sollten, aber sie nicht für sich beanspruchen durften, wuchs der Roman. Toni Morrison entwickelte ihn ausgehend von der authentischen Geschichte Margaret Garners, einer jungen Mutter, die (aus der Versklavung entflohen) eines ihrer Kinder getötet hatte, um es nicht erneut dem Plantagenbesitzer auszuliefern.

Wir lernen Sethe als Mutter einer knapp erwachsenen Tochter kennen. Beide leben in einem Häuschen am Stadtrand Cincinnatis, gequält von Isolation und einem Geist, der das Haus regelmäßig heimsucht. Mit Paul D, der eines Tages vor der Tür steht, kehrt die Vergangenheit der Farm „Sweet Home“ und ihrer Jahre der Versklavung zurück. Es ist große Kunst, wie Toni Morrison die Verletzungen und Narben der Seele und der Körper beschreibt, bezaubernde wie erschütternde Bilder dafür findet und mit den ausgetauschten Erinnerungen immer weiter vordringt zum Kern der Geschichte. Paul D und Sethe erzählen einander behutsam, was war und wissen nicht, was sein könnte. Sie sind in einem Zwischenzustand, der durch Sethes Geheimnis brutal zerschlagen wird.

Die Figuren entwickeln sich, stoßen uns Leser ab und ziehen uns wieder an, wir leiden mit ihnen, verfolgen ihre Fluchten und Entscheidungen mit Anteilnahme, mit Bangen und Stöhnen. Noch weiterer Ebenen, die das Surreale in Form des Mädchens Beloved selbst einbringen, hätte es nicht unbedingt bedurft, um die Wucht des Geschehens, der Sklaverei, zu verdeutlichen. Das Unglaubliche bleibt und frisst sich ins Herz des Lesenden – als Mahnung und Hoffnung zugleich. Großartige Weltliteratur!

Bibliographische Angaben:

Toni Morrison, Beloved, Roman, 448 Seiten, Übersetzung aus dem Englischen: von Tanja Handels, mit einem Nachwort von Bernadine Evaristo, Rowohlt Verlag Hamburg, 2024, ISBN: 978-3-498-00509-2, Preis: 28 EUR (Deutschland), auch als E-Buch für 24,99 EUR erhältlich

Anzeige:

Reisen aller Art, aber nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert und mit Persönlichkeiten – auch Reisen mit Büchern –, bietet Retroreisen an. Bei Retroreisen wird kein Etikettenschwindel betrieben, sondern die Begriffe Sustainability, Fair Travel und Slow Food werden großgeschrieben.

Anzeige

Vorheriger ArtikelMagic Moments – Fotoarbeiten von Norbert Schmelz im Spitäle in Würzburg
Nächster ArtikelAn der Nordseeküste 2025