Junge europäische Klassiker in Berlin – Das Festival Young European Classic 2016

Das Konzerthaus auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Quelle: Pixabay

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Alljährlich heißt es im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt „Hier spielt die Zukunft!“. 1.500 Musiker aus über 25 Nationen präsentierten 18 Tage lang in 24 Veranstaltungen ihr Können. Rund 26.000 Besucher bestaunten die Crème de la Crème der Jugendorchester beim international renommierten Festival, dass für viele junge Künstler als „Sprungbrett“ in eine große Karriere gilt. Wurden in den Anfängen seit 2000 ausschließlich europäische Orchester geladen, wurde der Radius ab 2005 auch auf andere Kontinente erweitert, so dass man eigentlich schon von einem Young-World-Classic-Festival sprechen müsste.

Vor vielen geladenen Botschaftern und Bundestagspräsidenten Lammert sagte der Regierender Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, dass das Festival schon in der Vergangenheit mit rund 28.000 Besucher Rekordzahlen verzeichnete habe. Es zeige,00 wie friedliche Toleranz der Kulturen funktioniere. Professor Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, betonte: „Hier spielt die Zukunft – gegen den Trend von Abgrenzung.“ Schon Sophie Scholl sei der Überzeugung gewesen, merkte Grütters an, dass Musik die Herzen aufmache. Entsprechend begann der Abend mit einem Geburtstagständchen des String Orchesters, welches alles an Pferdestärken, die in den Pferdehaarenbögen stecken, in wildem Galopp rasant inszeniert.

40-jähriges Jubiläum feierte beim Eröffnungskonzert das 140-köpfige „Young European Orchestra“ (EUYO). Mit seinem Ensemble aus 28 europäischen Ländern ist es ein prototypisches Symbol für ein gelungenes europäisches Projekt. Ihr Können stellen sie an diesem Abend mit einem breiten zeitlichen Spektrum unter Beweis: Wolfgang Amadeus Mozart‘s Klavierkonzert für 2 Klaviere Es-Dur KV 365 (316a) (1779) und Gustav Mahler‘s Symphonie Nr. 1 D-Dur (1885-88). Die beiden international renommierten franzöischen Pianistinnen und Schwestern Katia und Marielle Labèque waren hinreißend im Frage-Antwort-Spiel auf zwei Klavieren und Outlook: lange schwarze Haare, lange schwarze Kleider, weiße Gesichter mit roten Mündern – zwei Schneewittchens bezaubern das Publikum. Eine hatte sogar Stöckelschuhe an: cherchez la femme!

Ein Zauber springt über, Magie ist im Spiel beim leisen, tirrilierenden Spiel der Tasten. Dirigent Vasily Petrenko (nicht verwechseln mit unserem zukünftigen Berliner Philharmoniker Dirigenten Kirill Petrenko) lässt das Riesenorchester EUYO mit seiner gesamten Wucht brillieren. Mahler: Ein Meer von Violinen, Geigen, Bratschen, schallenden Trompeten, Hörner, Tuba – klezmerartige Variationen von Frère Jacques werden gefolgt von aus der Stille herausbrechender „Hölle“ wie in einem Hitchcock-Krimi. Das Orchester spielt leidenschaftlich und überzeugend: der Funke springt über! Dann hängt der Himmel auf einmal wieder voller romantischer Geigen – wie in einem Grace Kelly Liebesfilm! Spannungsbögen werden durch Violinen aufgebaut, dann ein „Gewitter“ mit „Sturm und Hagel“ verursacht durch tosende Geigen, Schlagzeug und Pauke. Es folgen gewaltige Klänge wie in „Star Wars“ – Gustav Mahlers Musik zu beschreiben – unmöglich, man muss ihn hören und das YEUO hat ihn bravourös gespielt mit versunkenen, hingebungsvollen Gesichtern der vereinten europäischen Jugend (sie fallen sich hinterher auch in die Arme – ein emphatisches Team). Das Schlusscrezendo Mahlers ist gigantisch und fulminant.

Der Beifall will nicht enden und als Zugabe wird ein Werk von Philip Glass von einer der Labèque-Schwestern auf dem Piano gespielt.
Ein sehr angeregender Auftaktabend, der einen beschwingt nach Hause gehen lässt – einer Metropole mehr als würdig – in dem herrlichen dekorierten großen Saal des klassizistischen Schinkel-Bauwerks Konzerhaus am Gendarmenmarkt.

„Ein kleiner Prinz“ – Bundesjugendballett

Wer kennt ihn nicht, den weltberühmten, zu Herzen gehenden Roman „Der kleine Prinz“ von Antoine de St. Exupéry?! Ein Junge begegnet in der Wüste einem notgelandeten Piloten, erzählt ihm von seinem Heimatplaneten und stellt ihm scheinbar einfache Fragen… Die märchenhafte Geschichte vom kleinen Prinzen begeistert nicht nur Kinder. «Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar», heißt es in dem Buch.
Das Auge verbindet sich mit dem Ohr in dem vom 8-köpfigen Bundesjugendballett getanzten Roman. Ein Meisterstück der Inklusion ist auch die Darstellung des kleinen Prinzen durch den 17-jährigen Morbus Down-Patienten Julius, der bezaubernd spielt. Auf der Bühne musiziert und agiert auch das Ensemble der Lucerne Festival Alumni und des Podium Festivals Esslingen, die Werke von Edward Elgar, Maurice Ravel, Leoš Janáček, Wolfgang Erich Korngold, Max Reger, Anton Webern u.a. spielen.

Witzig, wie das abstürzende Flugzeug durch das Ballett gekonnt dargestellt wird – für St. Exupéry nahm sein Absturz in der Wüste leider keinen glücklichen Ausgang.

Seit 2012 überrascht das Bundesjugendballett unter der Leitung von John Neumeier und Kevin Haigen bei Young Euro Classic jedes Jahr aufs Neue.

Choreografen wie John Neumeier, Natalia Horecna, Yuka Oishi, Zhang Disha oder Joseph Toonga haben ihre Arbeiten für das Projekt zur Verfügung gestellt und zur weiteren Bearbeitung freigegeben.

Nationales Jugendorchester der Niederlande (NJO)

Rolf-Dieter Krause, der scheidende Leiter des Brüsseler ARD-Studios ist Pate des Abends, der das mit guten Kritiken versehene Orchester auf Niederländisch begrüßt.

Gespielt wurde als Erstes eine neuzeitliche, teils atonale Komposition von Joey Roukens: „Chase“ (2013, Deutsche Erstaufführung). Sie simuliert eine wilde Jagd durch die Straßen von Paris. Es folgen Johannes Brahms Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83 (1881), Richard Strauss Suite aus „Der Rosenkavalier“ op. 59 (1911/1944) und Maurice Ravel „La Valse“ (1920).
Üppige Orchesterklänge lässt im zweiten Klavierkonzert von Johannes Brahms das Orchester mal dramatisch und wuchtig aufrauschen, dann wieder zieht es sich zu zarten, melancholischen Tönen zurück. Und während das Klavier dem begnadeten Solisten Hannes Minnaar technisch und musikalisch alles abverlangt, darf das Violoncello im langsamen Satz in einer wunderschönen Melodie schwelgen. In der Rosenkavalier-Suite von Richard Strauss rauscht es sehr viel wienerischer, üppig, vital, brillant vom ersten bis zum letzten Takt. Und dann gibt es da noch den brodelnden Abgesang auf den Wiener Walzer, La Valse von Maurice Ravel, mit dem das NJO den fulminanten Schlusspunkt seines Konzertes bei Young Euro Classic setzt. Auch in diesem Konzert will der Beifall nicht enden und es gibt natürlich eine Zugabe in Form eines kleinen Klavierspiels.

Orchestra Français des Jeunes (OFJ)

Farben der Spätromantik, rätselhaft, elegisch und nervös zeigen sich am letzten Abend in der Reihe allabendlicher, sich über fast drei Wochen hinziehenden Festival-Konzerte. Das OFJ stimmt das Publikum mit Raritäten ein:

Claude Débussy „Marche écossaise“ (1891/1908), Henri Dutilleux „Tout un monde lointain…“ Konzert für Violoncello und Orchester (1970) und Sergei Rachmaninow Symphonie Nr. 3 a-Moll op. 44 (1935). Der vitale 80-jährige Chefdirigent Zinman holt das Optimum aus dem engagierten Jugendorchester heraus, die vollen Einsatz zeigen. Beim Klassiker der Moderne Dutilleux spielt ein Hexenmeister des Cellos, der international gefragte französische Cellist Gautier Capuçon. Man weiß überhaupt nicht, wohin man zuerst schauen soll beim Tanz seiner Hände über die Seiten seines „Zauber-Cellos“, einem kostbaren Gauffriller-Cello von 1701, dem er magnetisierende Töne entlockt. Er ist ein Star, der mit seinem Bruder zusammen mit vielen Stars zusammen spielt wie Barenboim und Dudamel. Noch nie klang ein begleitendes Meer von Cellos beseelter gespielt von den jungen Franzosen wie in dem Rachmaninow – orchestrale Brillianz zeigt das OFJ durch und durch. Schlussapplaus ohne Ende und eine Zugabe von Gautier Capuçon lassen das Festival besinnlich stimmungsvoll ausklingen und entlässt das Publikum beschwingt in die laue Berliner Sommernacht.

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