Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Wir finden, Rathausumfeld ist ein tolles Wort. Schließlich gibt es seit der Bezirksreform 2001, die die einst 20 Bezirke Groß-Berlins und dann 23 der „Hauptstadt der DDR“ plus West-Berlin auf handlich-unhandliche 12 zusammenschmelzen ließ, sowieso kein richtiges Rathaus Wedding mehr.
Berlins Bezirke: Das neue Jahrtausend begann mit einem runden Dutzend teils eckiger, sperriger Begriffe. Bezirke heißen jetzt lang Kreuzberg-Friedrichshain – die einzige gleichberechtigte Ost-West-Zusammenführung – oder „Steglitz-Zehlendorf“. Manchmal blieb ihnen ob ihrer Größe eine Vereinigung oder ein Verschlucken erspart. Wo soviele Menschen wohnen wie in Island, in Berlin-Neukölln, bleiben Name und Bezirksgrenzen erhalten. Der Staat im nordwestlichen Atlantik soll 2018 um die 350.000 Einwohner haben, Neukölln hatte 2016 etwa 330.000. Bei beiden gab es Zuwachs.
Auch die Bezirke Reinickendorf (ehemals französisch) und Spandau (britisch) gibt es immer noch.
Wo ist das Weddinger Rathausumfeld?
Der andere ehemals zum französischen Sektor gehörende Bezirk hieß „Wedding“. Er durfte kleiner sein, da er auch vor 1920 schon zum Stadtgebiet Berlins gehörte (seit 1861), genau wie Friedrichshain, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Tiergarten mit Moabit (auch seit 1861).
Der sechste im Bunde durfte nicht mehr Berlin heißen, umfasste die Altstadt mit (dem anderen) Neukölln und Friedrichswerder sowie die kurfürstlichen Privatstädte Dorotheen- und Friedrichstadt. Er hieß kurz „Mitte“ und trug sinnvollerweise die Nummer 1.
Mitte gibt es immer noch, hat aber genau wie „Pankow“ gewaltig zugelegt. Erst gab es einen Ortsteil Pankow, dann einen Bezirk. Ob es Udo Lindenbergs Sonderzug dorthin ist oder die (Zu-) Vielsilbigkeit der Namenskonkurrenten vom Prenzlauer (Nicht-)Berg wissen wir nicht. Jedenfalls ist Pankow heute gegenüber 1921 ein Superbezirk mit kurzem Namen. Nur Spandau und Neukölln können – außer Mitte – auch noch mit Zweisilbigkeit aufwarten. Je kürzer zum Stadtzentrum, desto weniger Buchstaben, könnte man vermuten. Nicht ganz.
Nicht einsilbig.
Zweisilbig mindestens – Silbenzählung der Namen Berliner Bezirke – Exkurs
Das Doppel-L des heutigen Ortsteils und Bezirks lässt eine klare Rangfolge der Kürze unter den Zweisilbigen entstehen: Mitte, Pankow, Spandau, Neukölln. 5, 6, 7 und 8 Buchstaben. Ein Drittel der Verwaltungs-Groß-Stadtteile hat zum Aufatmen aller Beteiligten die Würze der Kürze.
Dreisilbig ist (leider) nur Lichtenberg, um die Jahrhundertwende bereits Stadt und im Namen unverändert, an Fläche gewachsen.
Viersilbig ist das ebenfalls alte Reinickendorf, der Nordbezirk in Berlin (West) mit viel CDU und Platz für den Flughafen Tegel (TXL). Die historisch erste Fußgängerzone Berlins gibt es hier in der Gorkistraße und Bäume so groß, alt und bedeutend, dass sie im Stadtplan auftauchen. Dafür mussten sie erstmal die kalten Winter der Blockade überstehen.
Die Bezirke mit Doppelnamen sind Verwaltungsdeutsch, die im Sprachgebrauch der Berliner seltenstmöglich auftauchen.
Dabei ist nicht immer das kürzere Wort an erster Stelle, wie die Bindestrich-Ortsnamen „Charlottenburg-Wilmersdorf“ und „Friedrichshain-Kreuzberg“ beweisen.
Die Hälfte der Bezirksnamen ist lang – zu lang?
Wer will da noch zählen? Zu lang ist zu lang. Prompt stellte die Verwaltung gelbumrahmte grüne Schilder auf, um die Verbundenheit der Berliner mit ihrem Bezirk oder Kiez zu stärken.
Bei Nummernschildern an Kraftfahrzeugen funktioniert das wunderbar. Oranienburg musste sich schon in den 90ern von OR- verabschieden. Nachdem in manchen Landkreisen alte Kennzeichen wiedereingeführt wurden, werden sie verstärkt nachgefragt. Und plötzlich gibt es sie wieder, die Autos mit verschwunden geglaubten Kennzeichen. Wer die Umstellung nicht mitbekommen hatte, fragte sich schon, wie so mancher Kleinwagen in so gutem Zustand durch die Zeit gekommen war.
Um die Zählung zu vervollständigen: Friedrichshain-Kreuzberg, Marzahn-Hellersdorf, Steglitz-Zehlendorf und Treptow-Köpenick schaffen es mit 5 Silben. Dieses Drittel Viertel zählt zu den kurzen unter den langen.
Das letzte Sechstel ist abgeschlagen kurz vor dem Besenwagen: „Tempelhof-Schöneberg“ bringt es auf 6 Silben, „Charlottenburg-Wilmersdorf“ auf 7; kann sich so wenigstens am Längenrekord erfreuen. 1920 bis 2001 trug Charlottenburg die Bezirksnummer 7.
Mehr Rathäuser als Städte
Berlin ist mit Rathäusern geradezu vollgestopft. Während es in Pritzwalk, Wittstock/ Dosse oder Lüneburg gerade mal eines gibt, und zwar an zentraler Stelle, meist am Marktplatz, strotzt die heutige Wieder-Hauptstadt nur so von Rathäusern. In vielen wird allerdings nicht mehr Rat gehalten. Das Rathaus Schmargendorf bietet einer Bibliothek und dem Standesamt Platz; auch Ratskeller gibt es noch mancherorten.
In Wedding („im Wedding“ ist Umgangssprache) wurde das Rathaus 1928-30 gebaut, im Stil der Neuen Sachlichkeit.
Dem selben Stil wie Erich Mendelssohns Wohn- und Geschäftskomplex WOGA am Kurfürstendamm mit dem damals größten Kino Berlins, dem „Universum“ (1927-1930). Einst an der Bezirksgrenze, heute an der Nahtstelle zwischen Halensee, Wilmersdorf und Charlottenburg gelegen und durch die Schaubühne am Lehniner Platz bekannt, die die Räume des ehemaligen Kinos nutzt.
Das schmuckloseste Berliner Rathaus hat stilentsprechend nur den Schriftzug „Rathaus Wedding“ über dem Eingang und ein graues Wappen aus Stein über dem Erdgeschossbereich an der Ecke.
Welches Umfeld, wenn es kein Rathaus mehr gibt? Das Rathausumfeld!
Dort Ecke Limburger Straße beginnt heute der Elise-und-Otto-Hampel-Weg, der ehemals nördlichste Teil der Limburger. Im Brüsseler Kiez, der auch Belgisches Viertel genannt wird, gibt es naturgemäß viele Straßennamen aus dem westlichen Nachbarland, den ehemaligen österreichischen Niederlanden. Gent, Antwerpen, Lüttich und Ostende sind Namensgeber aus Benelux. Die Luxemburger Straße bildet den südöstlichen Abschluss des Kiezes und die Grenze zum Sprengelkiez.
Es gab vorübergehend Bestrebungen, die Fläche vor dem Rathaus nach Elise und Otto Hampel zu benennen. Das misslang. Gut für die einen, schlecht für die anderen. Ausdruck eines demokratischen Prozesses.
Dafür hat man den Teil der Limburger Straße, der bis an die Müllerstraße reichte, nach dem Weddinger Arbeiterehepaar benannt. Der Weg ist heute ein Fußweg, wird aber auch von Radfahrern rege benutzt. Zählungen ergaben ohnehin, dass Hunderte Menschen pro Stunde in der Verlängerung der Nazarethkirchstraße die Müllerstraße nach Süden überqueren. Darunter Radfahrer, die eine Alternative zur Trasse Schul- und Luxemburger suchen.
Straßenumbenennungen können auch rückgängig gemacht werden!
Der Kaiserdamm sollte in Adenauerdamm umbenannt werden. Berlin (West) gehörte noch nicht einmal zur Bundesrepublik Deutschland, obwohl das gleiche Geld genutzt wurde und es fast die gleichen Geschäfte gab. Die Straßenbenennungsschilder hingen schon, darunter das durchgestrichene, „alte“ „Kaiserdamm“. Die Hauptstraße zwischen Theo und Ernst-Reuter-Platz, westliche Verlängerung der Bismarckstraße, schien den Berlinern ans Herz gewachsen. Jedenfalls gingen sie auf die Straße. Nicht auf irgendeine: Zum Kaiserdamm. Einige versuchten, die neuen Schilder abzumontieren, andere wollten beschmieren.
Das Ende vom Lied: Die Verwaltung machte einen Rückzieher, West-Berlin blieb eine neue Straße erspart. Schließlich wurde der Knubbel, der dadurch am Kudamm entstand, dass die Wilmersdorfer zur neuentstandenen Lewishamstraße geleitet wurde, damit sich nur zwei Straßenführungen kreuzen, in Adenauerplatz benannt. Das Konrad- schenkte man sich, der Familienname ist ja auch schon lang genug.
Am Rathausumfeld und anderswo – Veränderungen sind möglich, sich wehren lohnt sich
Manch einer feixte und frohlockte, dass der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik in Berlin nur „klein“ verewigt wurde. Christdemokraten konnten sich damit trösten, dass der neue U-Bahnhof auch den Namen des Kanzlers tragen durfte. Einen U-Bahnhof „Kurfürstendamm“ gab es schließlich schon.
Es ist gut, dass nicht bei allen das Gefühl entsteht, dass ständig über ihre Köpfe hinwegentschieden wird. In der DDR geschah das zu oft. Innere Kündigung, Flucht ins Private oder anderswohin und letztlich Auflösung waren die Folge.
Heute versucht man, die Bevölkerung intensiv in Planungen einzubeziehen. Vom Weddingplatz im Süden bis fast zum U-Bahnhof Rehberge im Nordwesten verläuft das „Aktive Zentrum Müllerstraße“ links und rechts eben dieser Magistrale. Die Müllerstraße verlängert die Chausseestraße im Bezirk Mitte, die wiederum die Fortsetzung der Friedrichstraße ist, die bis nach Kreuzberg reicht.
Falls das Gelände an Rathaus, Jobcenter und Konditorei wirklich benannt werden „muss“, dann hat das auch noch Zeit. Rathausumfeld ist jedenfalls eindeutig.