Sein oder nicht sein – Kritik zum Berlinale-Beitrag „24 Wochen“

© Friede Clausz

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Als bei der Vorstellung der Berlinale-Jury um Meryl Streep die Frage gestellt wurde, welcher Film den Jury-Mitgliedern einfalle, wenn sie das Stichwort Deutscher Film zugeworfen bekämen, fiel den Mitglieder nicht viel ein.

Nur Meryl Streep nannte den in Deutschland spielenden Film „A Most Wanted Man“ mit dem vor zwei Jahren verstorbenen Philip Seymour Hoffman, obwohl die Produktion lediglich eine deutsch-amerikanische Co-Produktion war.

Bleibt zu hoffen, dass die Jurymitglieder nach der Sichtung des deutschen Berlinale Wettbewerbsfilms „24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached ihre Meinung ändern werden. Denn „24 Wochen“ setzt sich auf sehr intensive und mutige Weise mit dem Thema Abtreibung im sechsten Monat auseinander.

Im Kern steht das Paar Astrid (Julia Jentsch) und Markus (Bjarne Mädel). Astrid ist Kabarettistin, also eine Person des öffentlichen Lebens und Markus ist ihr Manager. Astrid erwartet ihr zweites Kind. Die moderne Technik macht es mittlerweile möglich, schon das Geschlecht und den Gesundheitszustand des Kindes vorab zu kennen. Astrid und Markus erfahren früh, dass ihr Kind mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird. Viele Fragen, eine Antwort. Beide entscheiden sich klar für das Kind. Als kurz danach herauskommt, dass ihr Kind zusätzlich mit einem Herzfehler geboren werde und das Leben und dieser die Gesundheit ihres Kindes massiv prägen wird, wird das Paar in einen schweren Entscheidungskonflikt gestürzt: Geburt oder Abtreibung.

Die Regisseurin Anne Zohra Berrached legt mit ihrem zweiten Spielfilm ein mutiges und starkes Werk vor. Ihre Motivation, sich auf dieses Thema einzulassen, waren neben einer eigenen Abtreibung auch die statistischen Zahlen zur Abtreibung in Deutschland, bei der 90 % der Frauen im dritten Monat abtreiben, wenn bei dem Kind eine Fehlbildung bzw. Behinderung zu erkennen ist. Sie befasst sich mit ihrem Film also auch um die Angst, ein „krankes“ Kind, ein beschädigtes, ein beeinträchtigtes, ein behindertes Baby in die Welt zu setzen.

Anne Zohra Berrached ist bestrebt, kein eindeutiges Urteil zu diesem streitbaren Thema abzugeben. Sie wolle nach eigenem Bekunden keinen Gallileo-Beitrag herstellen. Für ihren Film interviewte sie mehrere Paare, die sich für eine Abtreibung entschieden hatten, um über deren Erfahrungen und moralischen Konflikte mehr zu erfahren. Dies macht sich in dem Film klar bemerkbar.

Die Kamera begleitet die beiden Protagonisten in ihrem Entscheidungsprozess, in ihrer verzweifelten Suche nach Antworten, wo es keine gibt, und lässt den Zuschauer die ganze emotionale Bandbreite im Falle eines Falles miterleben. Die Streitereien und Konflikte zwischen den Erwachsenen, mit ihrer neunjährigen Tochter, mit der Familie und die Reaktion der Öffentlichkeit, das alles kommt im Film vor. Am Ende aber ist es Astrid selbst, die die Entscheidung über Leben und Tod ihres ungeborenen Kindes fällt. Wer sonst?!

Alles wird intensiv miterlebt und die Entscheidung der Regisseuren Anne Zohra Berrached, in ihrer Inszenierung Realität und Fiktion ineinander verschmelzen zu lassen und nichts vorgefertigtes auf die Leinwand zu bringen, geht auf. Deswegen ist „24 Wochen“ einer der überzeugendsten und kontroversesten Wettbewerbsbeiträge dieser 66. Berlinale. Kontrovers vor allem, weil der Film ein scheinbares Tabuthema anpackt (Abtreibung im sechsten Monat) und darauf keine eindeutige Antwort gibt, letztendlich nicht geben kann. Der Stärke des Films liegt zugrunde, dass wir den Konflikt und die Auseinandersetzung um Abtreibung und Geburt intensiv, fast dokumentarisch miterleben und wir ertappen uns dabei, wie wir für beide Positionen unweigerlich eintreten.

„24 Wochen“ so intensiv erlebt wird, liegt zum einen an den beiden Hauptdarstellern Bjarne Mädel und Julia Jentsch, die durch ihr klares, ungekünsteltes Spiel deutlich den dokumentarischen Charakter des Films mittragen, allen voran Julia Jentsch, die hier wahrscheinlich ihre beste schauspielerische Leistung seit Jahren abliefert und damit durchaus eine Chance auf den Darstellerpreis hat – verdient hätte sie ihn allemal, zum anderen ist es der gekonnte Mix aus Profi- und Laiendarsteller, der funktioniert und zum Gelingen beiträgt (Die Ärzte und das medizinische Personal spielen sich im Film weitestgehend selbst).

Schlussendlich zeigt „24 Wochen“ den Abtreibungskonflikt einer Frau, wie er so in dieser Weise noch nicht im Kino zu sehen war. Und doch wird der ein oder andere hier aufschreien, denn „24 Wochen“ ist letztlich auch wieder deutsches, ernsthaftes und tiefgreifendes Kino. Das könnte man meinen. Nur, dass bei den meisten der Kinogänger am Ende des Films kein Auge trocken bleiben wird.

* * *

Titel: 24 Wochen
Land/Jahr: Deutshland 2016
Regie: Anne Zohra Berrached
Darsteller: Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Johanna Gastdorf, Emilia Pieske, Maria Dragus
Dauer: 102 Minuten

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