Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Ein Mann auf einem Stuhl, mit der Gitarre in der Hand. Mehr gibt es nicht zu sehen beim Auftritt des Blues-Musikers Matt Andersen. Und doch langweilt man sich keine Sekunde, so echt und tief empfunden ist die Musik des Kanadiers. Meilenweit entfernt von all den in Deutschland gesuchten Superstars, die sich auf der Bühne selbst feiern.
Die hätten an Matt Andersens Stelle auch längst aufgegeben, denn sein Erfolg kam zäh. Schon um die Jahrtausendwende gründete der Songwriter eine eigene Band im heimischen New Brunswick an der kanadischen Ostküste; seither tourt er unermüdlich. Immerhin sieben Alben hat er im Selbstverlag, ohne großes Label im Rücken, in die Läden gebracht, bis endlich der Durchbruch kam.
Inzwischen jedoch hat der bärtige Kanadier alle Preise abgesahnt, die es in seiner Zunft zu holen gibt; von der International Blues Challenge in Memphis bis zum European Blues Award.
Vor zwei Jahren kam Matt Andersen für ein paar kleine Club-Gigs nach Deutschland. Nach einem Beitrag im ARD-Morgenmagazin musste sein Konzertveranstalter in größere Säle ausweichen. Bei der aktuellen Tournee stand nun sogar die Elbphilharmonie auf dem Plan. Zum Finale ging es nach Berlin ins Astra auf dem RAW-Gelände, wo Matt Andersen sein neues Album „Halfway Home by Morning“ präsentierte, eine bodenständige Mischung aus Blues, Folk und Roots-Rock.
Das nunmehr zehnte Album des Sonwriters wurde in den legendären Southern Ground Studios von Nashville, Tennessee, aufgenommen. Die feuchte, aromatische Südstaatenluft scheint den Sound infiltriert zu haben: schweißgetränkten Soul, mitreißenden Rhythm and Blues, leidenschaftlichen Folk.
Im Mittelpunkt steht Andersens warme, beseelte Stimme, die bestimmt fünf Oktaven umfasst; vom höchsten Wimmern bis zum rabenschwarzen Gegrummel. Auch seine Bühnenpräsenz ist grandios. Wie ein Spielzeug wirkt die Gitarre in der Hand des massigen, schwergewichtigen Sängers.
Live-Auftritte sind für Andersen seit jeher wichtiger als die Arbeit im Studio. Umso mehr wundert man sich, wie er es bei rund 200 Konzerten im Jahr schafft, auch noch ein hochwertiges Album einzuspielen. Wobei sogar alle Text von ihm selbst stammen.
Während Andersen in Berlin allein auf der Bühne saß, kommt man beim Album auch in den Genuss von einer vierköpfigen Band, dem satten Sound dreier Extra-Bläser sowie stimmungsvoll säuselnden Background-Damen.
Die Platte startet mit dem schlüpfrigen Groove „What Would Your Mama Say?“. In „Something to Lose“ bietet Andersen ein inniges Duett mit der Sängerin Amy Helm. Der Song „Gasoline“ brennt ein Bläser-Feuerwerk über schlurfendem Schlagzeug ab.
All das ist ein Wechselbad der Gefühle, zum Tanzen und zum Heulen. „Long Rider“ steckt voller Heimweh. „Been My Last“ ist ein Liebeslied für die Ewigkeit; mit einer herzzerreißend weinenden Pedalsteel-Gitarre. Auch das Ende wirkt karg und schmerzhaft: In seinem „Song For Uncle Joe“ wünscht sich Matt, die Stimme seines verstorbenen Onkels noch einmal am Telefon zu hören.
Matt Andersen musiziert im besten Sinne altmodisch: schlicht, analog, aufrichtig – alles andere als cool und ironisch. Man glaubt ihm jeden Satz und jeden Schmerz. Wer da nicht mitfühlt, der hat kein Herz.
Bibliographische Angabe
Matt Andersen, „Halfway Home by Morning“, True North Records/Alive