Neue Nationalgalerie Berlin: Andy Warhol „Velvet Rage and Beauty“

Neue Nationalgalerie Berlin mit Andy-Warhol-Ausstellung. © Foto: Eva-Maria Koch, BU: Stefan Pribnow, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 9.6.2024

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Andy Warhols noch nicht beleuchtete Seiten, privat und beruflich – abseits von Marilyn Monroe- und Beatles-Portraits sowie Campells-Canned-Tomato-Soup-Bildern – werden im Neue Nationalgalerie Berlin genannten Gebäude ausgestellt. Damit ist dem kuratorischen Team um Direktor Klaus Biesenbach ein Geniestreich gelungen. Sicher werden sich wieder Schlangen von Besuchern rund um diesen Berliner Publikumsmagneten in der kürzlich wiedereröffneten Neuen Nationalgalerie winden.

Der in Sachen Kunst mehr als bewanderte deutsch-amerikanische Direktor Klaus Biesenbach erhellte in seiner rund einstündigen Presseführung Anfang des Monats die Vita des bekanntesten und meistdiskutierten Künstlers des 20. Jahrhunderts und führte hierbei auch vorbei an den Abgründen der menschlichen Natur (wobei die Autorin hier von den Menschen spricht, die Homosexualität aufs Abartigste verbann(t)en und bestraf(t)en – nur, weil diese kranken selbsternannten „Normalos“ Angst vor ihrer eigenen Sexualität haben).

Erschütternde, grausam-sadistische und abgefeimte Bigotterie prägte bis noch vor kurzem sowohl in den USA als auch in Deutschland die Haltung und Mißhandlung der LBTQ-Gemeinde – in einigen Diktaturen noch bis heute – sogar mit Todesstrafe bedroht.

Andy Warhol stammt aus den Karpaten; der Katholik ging täglich in die Kirche

Das alles prägte den Werdegang dieses sensiblen, hübschen karpatenstämmigen Andrew Warhola. Katholisch sozialisiert ging er mit seiner schwerkranken, alleinerziehenden Mutter täglich in die Kirche, auch nach der Emigration in die USA.

Im Eingang der Neuen Nationalgalerie hängt zur Linken ein Riesenfoto von Warhol mit zarten 17 Jahren – er war wirklich ein hübsches Kerlchen!

Biesenbach erzählt, dass er sich mit 17 Jahren (schon in Pittsburgh, Pennsylvania, lebend) einen rosafarbenen Anzug kaufte – zu der damaligen Zeit ein Grund, um verhaftet zu werden wegen Andersartigkeit. Es ist für uns aufgeklärte Menschen heute unvorstellbar, in was für Abgründen sich kranke, sogenannte „Normalos“ mental aufhielten – kurz vor der Abschaumgrenze!

Biesenbach erzählt etwas von Patti Smith

Biesenbach erzählte bei der Führung, vor einem Bild mit einem Stiefel stehend, eine schreckliche Anekdote über das, was der US-amerikanischen Sängerin Patti Smith in ihrer Jugend widerfahren ist. Sie „wagte“ es, im Schulunterricht einen Stiefel aus der Vogue zu kopieren – Grund genug, dass sie verhaftet und vorgeführt wurde, um in eine Umerziehungsinstitution zu kommen – verdächtigt der Andersartigkeit. Sie kam um diese grausame Behandlung herum – Gott sei Dank!

Es ist unfassbar! Wie pervers die sich als die „Normalos“ Bezeichnenden sein können, die sexuell anders orientierte als „pervers“ bezeichnen! Wer ist hier pervers (rhetorische Frage)?

Während Klaus Biesenbach durch die Sammlung führt, erzählt er immer wieder von solch erschreckenden Vorkommnissen, von der Gesetzgebung damals, von der McCarthy-Ära (krank, kränker, am kränkesten fällt der Autorin hierzu nur ein – es ist zum Weinen, wie krank Menschen denken können, die auch noch Macht haben, andere zu vernichten).

Die Bilder, die ausgestellt werden, sind meist unbekannte Werke, bezaubernd und durch die Erzählungen Biesenbachs auch persönlich erlebbar.

Ein Hörführer durch die Ausstellung ist in der Mache

Er hatte seinem Team versprochen, einen Audio-Guide zu besprechen, denn diese Zeit, in der Andy Warhol lebte, war eine Aufbruchszeit, war die Zeit der sexuellen Revolution und dann auch der Tiefschlag mit der Aids-Epidemie, die alles zum Erliegen brachte und zu weiteren grausamen, schrecklichen Diffamierungs-Reaktionen mancher Machtinhaber führte. Bis dato unbekannte Grausamkeiten, die in Deutschland nicht so en détail von der Presse berichtet wurden.

Deutschland hat jedoch genug mit sich selbst zu tun und vor der eigenen Türe den Dreck wegzufegen: die LGBTQI (Lesbian, gay, bisexual, transgender, queer)-Community, die in den Konzentrationslagern der Nazis überlebte, wurde zwar von den Allierten befreit, aber gleich wieder von den Deutschen ins Gefängnis gesteckt wegen der noch existierenden Gesetzgebung, die Homosexualität unter Strafe stellte. Es ist einfach nicht zu fassen und erschütternd! Auch dieses erfuhr die Bildungsbürgerin-Autorin erst durch den Direktor Klaus Biesenbach. Die Grausamkeiten des Naziterrors – eine unerfindliche Quelle der Hölle!

Direktor Klaus Biesenbach weist auch noch anschaulich auf die künstlerische Gestaltung der einzelnen Werke hin, z.B. wie wesentlich für Warhol die Mundpartie war – am Beispiel von Mick Jagger. Oder auch das feenhafte Aussehen der US-amerikanischen Sängerin „Nico“ (Nico and The Velvet Underground) – Warhol wollte immer so aussehen wie sie.

Eine Bildergalerie von Personen aus der LGBTQI-Community in New York, wo Warhol seine „Factory“ hatte und eine Bildergalerie mit Warhol als Drag Queen.

Sein Manager habe ihm abgeraten, Bilder von sich als Drag Queen publik werden zu lassen – es hätte seiner Karriere schaden können.

Warhol-Ausstellung bis zum 6. Oktober ’24 in der Neuen Nationalgalerie Berlin Potsdamer Straße 50

Elvis – the pelvis hängt groß an der Wand, Joe Dallessandro und viele andere Berühmtheiten, die WegbegleiterInnen und FreundInnen von Warhol waren, erleuchten den Background von Warhol und bringen diese Zeit zurück, die Zeit des „Make Love not War“, Peace and Happiness, sexuelle Revolution und dann die zerstörerische Aids-Epidemie – eine sehr bewegende Ausstellung und hoffentlich macht Direktor Biesenbach es wahr und gibt seine ergreifenden, bewegenden Ausführungen auch auf einem Audio-Guide dem Publikum mit durch diese mehr als sehenswerte Ausstellung, die noch bis zum 6.10.2024 laufen soll.

Anmerkung:

Siehe auch die Beiträge

im KULTUREXPRESSO.

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