Eine kurze Liebe im Zeitalter der europäischen Migrationsbewegung – Annotation zum Roman „Y“ von Jan Böttcher

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Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Jan Böttcher erzählt auf ungemein virtuose Art die Geschichte der Begegnung der Kosovarin Arjeta und des Deutschen Jakob. Es ist Liebe, zumindest eine kurze Weile, die den beiden wesentlichen Protagonisten des weit gefächerten Epos ein provisorisches Über-Heim bietet.

Doch zu stark sind die familiären Bindungen und zu heftig das Unverständnis für die besondere Situation des anderen. Die Sache scheitert. Andererseits auch nicht, da ein Kind aus der Verbindung entsteht. Leka, der wiederum im Berlin der Gegenwart Benji trifft, den Sohn des Erzählers, eines Schriftstellers, der uns unschuldige Leser mit auf eine feinfühlige Reise in die Vergangenheit, in das Herz des Kosovokrieges führt, heißt das Kind.

Böse und gut sind schnell nicht mehr zu unterscheiden. Jeder sucht sein privates Glück und ist in der Wahl der Mittel nicht sehr zimperlich. Jakob bannt die Geschichte in ein erfolgreiches Computerspiel, Arjeta findet in der Kunst eine Handhabe mit der Vergangenheit umzugehen. Schmerzensmänner, Schmerzensfrauen, verlorene Heimat, innerkulturelle Kontroversen, wieder gewonnene Heimat, das Torkeln im Niemandsland zwischen den Flüssen Liebe und Frieden.

Jan Böttcher verschafft ein intensives Leseerlebnis, aufgeladen mit Poesie, gesättigt mit Harm. Ein hoch aktuelles, ein großartiges Buch, das uns auf sehr vielschichtige Weise den Krieg ins Wohnzimmer holt.

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Jan Böttcher, Y, Gebunden mit Schutzumschlag, 255 Seiten, Aufbau Verlag, Berlin 2016, ISBN: 978-3-351-03640-9, Preis: 19,95 Euro (D)

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