NO WAY (out)? NORWAY TODAY. Norwegenreise mit Betty Despoina Athanasiadou [PAF]

Schauspielerin Betty Despoina Athanasiadou nach der letzten Aufführung von "Nebel brutal"
Die Schauspielerin Betty Despoina Athanasiadou. © 2017, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Norway today war 2003 und 2004 das erfolgreichste Stück in der Bundesrepublik Deutschland, wurde international 100mal aufgeführt und zu diesem Zweck in 20 Sprachen übersetzt. Betty Despoina Athanasiadou belebt es im Rahmen des Performing Arts Festival (PAF).

Drei Stellen greift sie auf. Diese werden monologisch vorgetragen. Das Ganze dauert nur 20 Minuten. Das kann sich auch der größte Theatermuffel gönnen. Der Eintritt ist frei. Termin Samstag, 9. Juni 19 Uhr. Club der polnischen Versager, Ackerstraße 168 in Mitte. (Keine Eintrittskarten erforderlich.)

Kein Ausweg? Oder doch? Betty Despoina Athanasiadou versucht, ihn in NORWAY TODAY zu zeigen

Betty Despoina Athanasiadou ist ein positiver Mensch, der zeigen will, dass es immer einen Ausweg gibt, immer eine Lösung. Despoina Athanasiadou ist eine Schauspielerin, die das auch zeigen kann, die seit acht Jahren ihr Talent durchscheinen lässt. Meist in Berlin.

Sie hat gemeinsam mit der Regisseurin Helena Kontoudakis drei Stellen ausgesucht, die sie als Monolog vorträgt. Sie wird allein auf der Bühne sein.

Ohne großartiges Bühnenbild. Der Club der polnischen Versager, in dem bei Filmpolska auch Filme gezeigt werden, gibt das logistisch auch kaum her.

Betty Despoina Athanasiadou als Julie wird drei Monologe sprechen, einen an den zweiten Hauptdarsteller des Originalstücks, August, gerichtet. Zwei an das Publikum gerichtet, nachgespielt, wie die Figur „Julie“ begründete, warum sie sich umbringen wolle. Im Original ist das die Passage, wie sich Julie selbst mit der Kamera aufnimmt und das dann ins Internet stellt.

Frau Athanasiadou spielte unter anderem in „Das Fremde“ von ‚Nebel brutal‘ mit:

kulturexpresso.de/geheim-die-fremde-in-das-fremde-in-der-fremde-an-einem-unbekannten-brutal-nebuloesen-ort-bjoern-zahns-stueck-mit-betty-despoina-athanasiadou-bringt-die-message-in-die-botschaft

WHY NORWAY TODAY?

Betty Despoina Athanasiadou suchte mit der Regisseurin Helena Kontoudakis nach einem passenden Stück. Ihr gefielen die Dialoge und so fiel die Wahl auf Norway today. Das Erfolgsstück zog ein überwiegend jugendliches Publikum an; die Schauspielerin ist ebenfalls jung.

Vielleicht kann Betty Despoina Athanasiadou mit der 20minütigen Performance im Club der Versager Leben retten. Erste Hilfe geht manchmal schneller, braucht jedoch auch viel Vorbereitung, wenn es gut gehen soll.

Das Performing Arts Festival (PAF) ist ein prima Rahmen. Es begann am 5.6. und dauert noch bis zum 10. Juni 2018; es erfüllt die ganze Stadt permanent mit Aufführungen. An vielen Veranstaltungsorten:
https://www.performingarts-festival.de/2018/wege-durchs-programm/touren/
www.performingarts-festival.de

Das Collegium Hungaricum in der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte, einer der vielen Spielorte. © 2016, Foto: Andreas Hagemoser

Norway today im Klub der polnischen Versager – wo sonst?

Die Versager aus Polen sind keine Loser. Nicht nur, weil sie besser polnisch als englisch sprechen.
Sie nehmen das Versagen ernst. Es wird erforscht, präsentiert. Selbstmordversuche gehören dazu. Selten gibt es mehr zu verlieren als das Leben. Norway Today ist also ein sehr passendendes Untersuchungsobjekt für Versagerologie, die Wissenschaft des Versagens.

Das Stück Norway today: Spoiler (Inhaltsverrat)

Das Stück ist schon so lange unterwegs und vielfach besprochen worden, der eine oder andere hat es bestimmt schon gesehen, so dass es besser ist, den Inhalt kurz anzusprechen.

Schließlich werden ja auch nur Ausschnitte gespielt und gesprochen. Drei Ausschnitte.

Julie ist zwanzig Jahre alt und schon lebensmüde. Eine Unverschämtheit und totaler Quatsch obendrein; aber das soll vorkommen und nachdem jemand Junges von der Brücke sprang, glaubt man es und steht sprachlos da.

Julie sucht online Gleichgesinnte, und hier ist das Einfallstor für das Positive, wie sich später zeigen wird. Sie will nicht allein sein. Das ist doch schon mal was. Ob es Feigheit, Langeweile oder was auch immer ist. Sie will gehen, erst nach Norwegen, dann in den Tod – aber nicht allein.

Im Chat lernt die junge Frau dann August kennen, der nur ein Jahr jünger ist. (Juli und August sind auch nicht weit voneinander weg.) Doch beide sind volljährig, niemand kann ihnen die Reise nach Norwegen verbieten. (Unter uns: Norwegen ist so besonders und schön, da bringt man sich doch nicht um. Man bekommt eher Appetit auf mehr. Eine Weltreise vielleicht.)

Reise nach Norwegen

Abgemacht. Die beiden wollen zum Preikestolen-Felsen am Lysefjord. Dieser ist 600 Meter hoch und schneebedeckt. Von dort beabsichtigen sie, herunterzuspringen. Sich das Leben zu nehmen.

Man ist modern: Dinge, die keinen Strom verbrauchen, sind (den jungen Leuten) suspekt. Allen Weltrettungsäußerungen Jugendlicher zum Trotz. Bücher oder Briefe – pfui, wie altmodisch! – gehören dazu.
Also greifen Julie und August nicht zur Feder, um einen Abschiedsbrief zu schreiben, sondern zur Videokamera, die die vermeintlich letzten Botschaften in Farbe übermitteln soll.

Zwei von drei Teilen des von Betty Athanasiadou vorgetragenen Dialogs sind nachgespielte Videobotschaften.

Am Ende steht nicht das Lebensende. August und Julie verlieben sich ineinander.

So wird aus dem Stück über Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens schließlich eine Story, die Lebensmut sprießen lässt.

Exkurs: Ein junge hübsche Frau besuchte das Gymnasium – und schloss nie ab. Eine wahre Geschichte

In meiner Jugend hat sich eine junge, kluge, hübsche, vielversprechende Frau aufgeknüpft. Ich war 16 oder 17, sie war etwas älter. Sie arbeitete schon, jobbte neben der Schule. Sie ging zum Gymnasium Oedeme, einer jungen, erfolgreichen Schule ohne Muff unter den Talaren. Viele junge Lehrer neben erfahrenen. Ein junger, aufgeschlossener Schulleiter, dessen vielseitiges Engagement ansteckte. Der dort, wo es Sinn hatte, viele Freiheiten gewährte. Koedukation natürlich, das heißt Jungs und Mädchen lernten gemeinsam und gleichzeitig im selben Raum. Manch erfolgreiche kluge Kopf besuchte dieses Gymnasium.

Die junge, wendige, hübsche Frau – nennen wir sie Nico – war voller Entschlusskraft. Sie überlegte es sich vielleicht gut, fackelte dann aber nicht lange. Sie war praktisch begabt. Ein tolles Mädchen, eine tolle Frau. Andere hätte sich vielleicht die Pulsadern falsch aufgeschnitten oder wären aus dem zweiten Stock gesprungen. Dummheit ist nicht ausrottbar.

Der eine oder andere hätte vielleicht schlau und hinterlistig so getan, als ob ein echter Suizidversuch vorläge, um Aufmerksamkeit zu erheischen.

Nicht so Nico. Entschlusskraft und praktische, zeitnahe Durchführung gehörten zu ihren Stärken. Neben vielem anderen.

Wir werden nie erfahren, was sie noch auf die Beine hätten stellen können. Was sie noch Gutes hätte tun können – für sich und andere. Wen sie hätte glücklich machen können. Was sie an ihre Kinder weitergegeben hätte.

Sie tat das Unvollstellbare. Erklomm den Dachboden, knüpfte einen Strick und fiel – in den Abgrund.
Die Aktion verlief „erfolgreich“, beendete jedoch ihr Leben. Zerstörte ihren Körper.

Hinterließ ein tiefes Loch auch bei anderen. Trauer, Bestürzung. Die üblichen, unvermeidbaren Reden.

Ein junger Mann aus dem Mathematik-Leistungskurs meinte, es sei kaum vorstellbar, dass sie die Treppe und Leiter hinaufgestiegen sei und das getan hätte.

Viele kamen ins Grübeln. Doch es war geschehen. Es war nicht rückgängig zu machen. Und letzten Endes ging das Leben weiter – ohne sie. Leider.

Auch norway.today* basiert auf einer wahren Begebenheit

Das Stück von Igor Bauersima is „based on a true story“, wie so mancher Film jüngst oder ein Buch von Kästner, das ebenfalls auf einer Zeitungsnotiz beruht.
Kästner wehrte sich noch im Vorhinein gegen Plagiatsvorwürfe mit dem Hinweis, die Notiz sei nur kurz gewesen, das Buch dagegen hunderte Seiten lang.

Bauersima las von der Sache im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

(*Eigenschreibung des Stücks: „norway.today“)

Die Kraft der Liebe

„Ja, das war immer mein Traum“, beginnt der zweite Teil von Athanasiadous Vortrag.

In Igor Bauersimas Stück verliebt sich Julie in August (sic! nicht im August) und verschiebt ihre Körperzerstörungspläne. Es liebt sich schlechter, wenn man tot ist.

Außerdem wollen die Inder und manche Wissenschafter herausgefunden haben, dass der Körper eine Seele hat; besser ausgedrückt: Die Seele eines Menschen wohnt im Körper. So wie ein Mensch ein Auto fährt. Geht es kaputt, kauft er sich ein neues. Die Seele eines Menschen besitzt also prinzipiell die Fähigkeit, nicht nur einmal in einem Körper zu wohnen, sondern zum Beispiel in einem zweiten Körper, der nicht dasselbe Geschlecht haben muss, „wiedergeboren“ zu werden.

Das mit dem „Selbstmord“ hat also gar keinen Sinn. Man lebt als Seele sowieso weiter. Bringt nur schlechtes Karma, und wer will das schon.

Anschriften

Club der polnischen Versager
Ackerstraße 168
10115 Berlin

Nähe Torstraße und Koppenplatz, U-Bahn-, Bus- und Straßenbahnhaltestelle Rosenthaler Platz (u.a. U8, Tram 8)
www.polnischeversager.de

www.polnischeversager.de

Dort gab es im April/ Mai 2018 Vorführungen von Filmpolska:
www.filmpolska.de
Zum Beispiel am 29.4. „Opera o Polsce“/ „Opera about Poland“ von Piotr Stasik, der höchstpersönlich im Club zu Gast war. Filmvorführung zusammen mit „First Pole on Mars“/ „Pierwszy Polak na Marse“:

Marspole. „First Pole on Mars“ von Agnieszka Elbanowska im Fsk-Kino Oranienplatz (Filmpolska)

Performing Arts Festival – Eintrittskarten-Quellen und Adressen

Festivalzentrum des Performing Arts Festivals (PAF) am Kottbusser Tor (Kotti)
Aquarium, Skalitzer Straße 6, 10999 Berlin
U8/U1 Kottbusser Tor

Dort gibt es Eintrittskarten, Parties und Performances. 6.-9.6. 11 bis 20 Uhr. Am 10. 6. von 11 bis 13 Uhr.
Die Skalitzer Straße ist die Verlängerung der Gitschiner Straße nach Osten und verläuft unter der Hochbahn der U-Bahn-Linie 1.

Nebenstellen (Dependancen) unter anderem in der Werkstatt der Kulturen Neukölln
Wissmannstraße 32, 12049 Berlin. 12-18 Uhr, Samstag geschlossen.

Oder bei PANKE culture Wedding, Gerichtstraße 23 (Hof V), 13347 Berlin – zwischen Panke und Ringbahngleisen Nähe Reinickendorfer Straße am Nettelbeckplatz (U+S-Bf. Wedding).
„PANKE culture Wedding“ befindet sich in Nachbarschaft zu den Gerichtshöfen in der Gerichtstraße 12/13; das Silent-Green-Kulturquartier ist auf der anderen Seite des Nettelbeckplatzes in der Gerichtstraße 35.)

Dort gibt es Eintrittskarten, auf besonderen Wunsch auch Tickets.

Lieben und leben – Rat bei Problemen

Wer leben und lieben möchte und erst später sterben, findet Rat und Tat u.a. bei http://www.prenzlkomm.de/home.html

www.prenzlkomm.de

Anlaufstelle für verschiedene Probleme, darunter auch bei Melancholie, Selbstmordgedanken und Depression, ist die

KONTAKT- UND BERATUNGSSTELLE mit Café „von Kuchenschwarm bis Stullenliebe“ in der
Erich-Weinert- Straße 37 in 10439 Berlin (Prenzlauer Berg)
Tel.: 030 / 444 16 64 (Fax: +49 (30) 44738392) E-Mail-Adresse: kbs(a)prenzlkomm.de

Öffnungszeiten: Montag – Freitag 10 – 18 Uhr

Wem das zu kurz ist, zu weit oder sonstwie nicht in den Kram passt, kann sich bundesweit auch an die Telefonseelsorge Deutschland wenden, kostenfrei und anonym. Außerdem rund um die Uhr. Tel. 0800 111 0 111. Leicht zu merken und, wie erwähnt, Tag und Nacht erreichbar. Der Spruch der Telefonseelsorger: Sorgen kann man teilen.

Mehr über das Stück NORWAY TODAY

„Norway.today“ von Igor Bauersima ist ein Drama für zwei Personen. Ein Kammerspiel. Eine Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Düsseldorf. Uraufführung ebendort im November 2000. Der Regisseur führte eigenhändig Regie.

Das Theaterstück erhielt viele Preise und Auszeichnungen. Auch als Hörspiel. Die Hörspielfassung des Stücks (Berlin 2001) in der Hörspielregie und Bearbeitung von Norbert Schaeffer wurde noch im selben Jahr als Hörspiel des Monats ausgezeichnet.

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