Büchse auf! Aus der Dose Leben. Feuerstein öffnet Geistkonserve (vor Volksbühne) – für Stärkung der Freiheit von Kunst und Kultur

Temporäres Räuberrad auf der triangulären öffentlichen Grünfläche vor der Berliner Volksbühne
Auf- und abgebaut an einem Nachmittag: "Stärkung der Freiheit von Kunst und Kultur durch Eröffnung der Geistkonserve." © 2018, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Geistkonserve? Der Zeitpunkt war gut gewählt. Die Sonne schien, das Gras war grün. Auf der dreieckigen öffentlichen Fläche vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: Handwerker am Werk. Nebenan fand Kultur statt. Im Kino Babylon-Mitte lief bereits seit Mittwoch das polnische Filmfest Filmpolska und in Saal 1 „Writing in Migration“ (WiM), eine hochkarätige Debütveranstaltung über afrikanische Literatur.

Wochenendfreiheit

Am Samstagnachmittag hatten viele Zeit und mancher WiM-Gast nutzte wenigstens eine kurze Pause, um die Sonne zu genießen und den tiefblauen Himmel. Viele andere zogen das Draußen dem Drinnen vor, sei es nun hier in Mitte oder weiter draußen. Sie genossen die vorübergehende Freiheit. Des Wochenendes, Freiheit von. Der Lohnarbeit. Teils recht freizügig. Wegen der Wärme. Unter dem unbegrenzt scheinenden Himmelszelt. So stießen zu den Absichtsbesuchern der gegenüber der Straßenebene erhöhten Rasenfläche mit Blick auf den Fernsehturm Passanten und Zufällige. Gallery Weekend war auch noch am 28. April. Galerien und Pop-up-Galleries zeigten vielerorts viel.

Kultur am Platz

Ach ja. Und in der Volksbühne soll es ja auch ab und zu Kultur geben. Zumindest im Roten Salon. Dort fand unlängst sogar ein großes Kulturereignis statt. Der Dichter RAN – Rainer Anton Niedermeier – trug am 19. April kraftvoll starke Gedichte vor ( ran-poetry.de) begleitet von zwei wunderbaren Musikern.

Wozu sich also in Berlin Sorgen machen um Kunst und Kultur? Oder die Freiheit dieser?

Wir befragten Passanten, Demonstranten und Besucher, die Veranstalterin und die Polizei. Wurden auch selbst befragt von einem Interviewgast, wie denn das Interview laufen solle. Allein, das war von einem Kollegen vom Fernsehen geplant. O-Töne sammeln in der Sonne. Der Ü-Wagen des RBB berichtete live, kam aber nicht wegen der Eröffnung auf dem Rasen.

Ein Samstagnachmittag auf der Rasenfläche. Was zimmern die Helfer? Ein Fußballtor? NEIN.

Was ist hier los?

Die erste Befragte war ein junge, tätowierte Polin. Ob diese an diesem Tag oder überhaupt zu Filmpolska ging, wissen wir nicht. Das war nicht Thema. Die Kommunikation lief zum größten Teil auf englisch und ein wenig deutsch-polnisch. Worum es denn da auf dem Rasen gehe? Ja, die Volksbühne, das Rad, es sei weg, und die Volksbühne auch, nein, nicht die Bühne, aber die Leute, die das früher gemacht haben und jetzt sei das eine Demonstration dagegen. Wohl. Wenn ich Genaueres wissen wolle, solle ich doch mal in der Mitte fragen. Nun, wo ich schon mal in Mitte war …

Was sagt die Polizei?

Die Polizei merkt an, die Fläche sei öffentlich. Wo denn das Kunstwerk sei, das hier früher stand? „In der Restauration, in Frankreich.“ Es werde wohl auch erstmal nicht zurückkommen. Ob denn die Aufstellung des Rades legal sei? Ja, die Veranstaltung sei angemeldet und genehmigt. Die Errichtung des „Wagenrades, nein Räuberrades“ sei ausdrücklich ein Teil der Veranstaltung und in Ordnung. Die Konstruktion werde errichtet und nach kurzer Zeit vor Ende der Veranstaltung am selben Tag wieder abgebaut. Alles gesetzestreu. Ob denn eine dauerhafte Aufstellung oder Errichtung beantragt worden sei? „Eine Sondernutzungsgenehmigung gibt es nicht. Sie wäre erforderlich bei Nutzung öffentlichen (Straßen-)landes, genau wie bei der Aufstellung von Tischen und Stühlen.“ Ob denn eine Sondernutzungsgenehmigung angestrebt worden sei? Das entzog sich der Kenntnis der Vertreterin der Exekutive.

Interviews

Weitere Demo-Besucher wurden befragt. Ob es sich nun um einen Demonstration oder ein Happening oder eine direkte Aktion handelte, wussten wir immer noch nicht so genau.

Der ausgewählte Besucher war ein geladener Gast. Er hatte bei der jüngsten Abgeordnetenhauswahl sein passives Wahlrecht genutzt und sich als Unabhängiger aufstellen lassen, um das bedingungslose Grundeinkommen bedingungslos zu unterstützen. DM-Gründer Werner macht sich dafür stark. Gregor Gysi sagte uns in Wolfsburg, dass er es aus drei Gründen nicht unterstützen könne. Das begründete er wie immer schlüssig und klug. Gysi gab allerdings zu, dass andere Linke das mit dem Grundeinkommen oft anders sähen.

Die Linken sind rechts

Richtig. Die Linken. Die sind rechts. Rechts am Platz, der nach eine Sozialistin benannt ist, in der Weydingerstraße. Sie flankieren die räumliche Situation derart, dass sie weder von der Volksbühne noch von der Dreiecksgrünfläche übersehen werden können. Es sei denn, man sei kurzsichtig, oder blind. Die Politik ist das manchmal. Doch bleiben wir bei der Kultur.

Die gute Atmosphäre unter den dem Ereignis Beiwohnenden spricht gute Bände. Die Veranstalterin wird mir vorgestellt. Rike. Und mit Nachnamen? Feuerstein.

Geistkonserve? Worum geht es?

Worum es hier ging hätten auch schweigsame und kontaktscheue Leser unschwer herausfinden können. Hätten sie keine Scheu vor Annäherung gehabt. Sprachen doch zwei recht kleine Schilder in kontrastreicher, sehr gut lesbarer Schrift eine deutliche Sprache.

Am Anfang steht das Wort – Geistkonserve

Es geht: Um die Stärkung der Freiheit von Kunst und Kultur. Durch – zweites Schild – Eröffnung der Geistkonserve. Nun, mal angenommen. Da wir als Journalisten auf vielen Hochzeiten tanzen, können wir nicht überall den ganzen Abend bleiben. Oder Nachmittag. Um so etwas zu verstehen –immerhin wurde ein genau neues Wort dafür erfunden – braucht man mitunter oder unter Umständen mehrere Tage. Aber wer hat die heute? Oder nimmt sie sich?

Die Symbolik muss vielleicht für sich sprechen und einen großen Teil des Verständnisses erzeugen. Und dann: auch bei Kunst und vielen Spielfilmen stehen wir wie der Ochs vorm Berge. Nicht erst seit der nouvelle vague (vage übersetzt: die neue Welle) ist das Vage im Film schick. Auch wenn es manche in bestimmten Fällen zur Weißglut bringt, weil sie das Rätsel nicht lösen können. Hier gibt es etwas ganz Handfestes. Das Wagenrad, nein Räuberrad. Das, das vorher hier stand, war fester, stabiler und standfest. Sogar wetterfest.

Das neue ist aus Sperrholz. Doch halt: es ist KEIN Ersatz!

Genehmigung? Wozu? Geistkonserve ist eröffnet

Ich frage Rike Feuerstein, ob denn eine Sondernutzungsgenehmigung beantragt wurde. Sie überlegt kurz. Sehr sympathisch. Leute, die wie aus der Pistole geschossen antworten, sind entweder Politiker, oberflächlich, oder Genies. Oder, im Einzelfall, superschnell. Dem Regierungssprecher würde ich das zutrauen. Aber nur wenigen. Ich habe Zeit, kurz ihre Kleidung zu betrachten. Sie trägt oben an der Oberfläche etwas Lilanes. Sehr spirituell. Die Frau hat nicht nur Initiative ergriffen, sie bewegt etwas.

Feuerstein hat das Rad erfunden

Es heißt ja, man müsse das Rad nicht neu erfinden. Doch das stimmt nicht immer. Denn das neue Rad stünde hier nicht. Genauer: wäre nicht hier. Denn es liegt nur auf dem Rasen. Fast rund. Aber Fußball ist die letzte Assoziation, auch im Jahr der WM. „Hätte es aufgerichtet werden sollen?“ „Nein.“ „Und es braucht hier auch nicht zu bleiben. Wozu?

Die Geistkonserve ist eröffnet.

Alles andere geht jetzt von allein.“

„So ein bisschen wie mit der Büchse der Pandora? Die man besser nicht öffnen soll?“

„Ja, genau.“

Be here now. Sei jetzt hier. Achte den Augenblick

Toll. So wie die Klebebande oder andere Taper arbeiten. Angeklebt, angeschaut, wieder weggemacht. Entfernt. Fast so, als sei das Kunstwerk nie dagewesen.

Die Klebebande klebt dir was – Tape-Art-Projekte und Ideen – Kunst aus Klebeband

Sinn für den Augenblick. Eine Art „Kirschblüten – Hanami“. Nur, dass nicht die Natur malt, sondern der Mensch …

Ausgedost

Geistkonserve? Ich bin dafür!

Die Welt kann noch ein bisschen Geist gebrauchen. Ob der nun aus der Konserve kommt oder nicht. Jedes Gramm zählt, wo doch Dummheit unausrottbar ist (vgl. Horst Geyer, „Über die Dummheit. Ursachen und Wirkungen der intellektuellen Minderleistung des Menschen“.)

Und den Geist einsperren, wie es viele Regierungen und Konzerne versuchen, um ihre Konserven zu verkaufen? Ist eh nicht sinnvoll.

Geistkonserve eröffnet. Geist freigelassen, der jetzt wirkt, sich entfaltet. Lassen wir uns überraschen, seit dem 28.April ist alles anders. Gute Aussichten.

Volksbühne Ost am 16. März 2016 noch mit Räuberrad.
© 2016, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Die Volksbühne Mitte am 16. März 2016 noch mit. [Mit Räuberrad.] (Vorher – nachher.)

Abendansicht Volksbühne Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte
Die Volksbühne im Oktober 2017. Links der Rote Salon. © 2017, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Anzeige

Vorheriger ArtikelRan is dran! Ein Geburtstagsgedicht für Rainer Anton Niedermeier
Nächster Artikel„Nächstes Jahr in Jerusalem!“ – Singender Knallbonbon aus Israel gewinnt 63. ESC