Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). In den Schlagzeilen deutscher Zeitungen sind flüchtende Menschen zu Zahlen geworden, die sich beliebig zusammenstreichen lassen. Stammtischparolen im Internet lassen den Eindruck feindlicher Horden entstehen, gegen die Grenzen geschlossen und mit Waffengewalt verteidigt werden sollen. Die AfD ist Gesprächsthema Nr. 1 und Horst Seehofer zieht in einem grotesken Machtkampf gegen Angela Merkel zu Felde.
Trotz des Gegröles, mit dem Stimmen von WählerInnen herangeschafft werden sollen, ist die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ungebrochen. Ein Großteil deutscher BürgerInnen sorgt sich weniger um die Bewahrung des eigenen Wohlstands und viel mehr um Menschen, die Hilfe brauchen und von denen immer noch viele auf der Flucht vor dem Tod verhungern oder im Mittelmeer ertrinken. Für diejenigen, die etwas tun, ist auch der Begriff Integration noch wichtig, obwohl der gerade unter dem Gebrüll nach Abschiebung zu verschwinden droht.
Um Integration geht es in dem mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten Stück des amerikanischen Schauspielers und Autors Ayad Akthar. Eigentlich handelt es sich um misslungene Integration, auch wenn das am Anfang gar nicht so aussieht.
Schauplatz ist eine elegante Wohnung in New York. Bühnenbildner Paul Lerchbaumer hat mit einem schräg gestellten, dreieckigen Podest und einem Tisch mit ein paar Stühlen, Designer-Möbeln aus Acryl, das Ambiente perfekt getroffen. Hier lebt der Anwalt Amir Kapoor in offenbar glücklicher Ehe mit seiner Frau Emily, einer Malerin auf Erfolgskurs. Amir stammt aus Pakistan und sein eigentlicher Nachname ist Abdullah. Aus Furcht, seine Herkunft könne sich abträglich auf seine Karriere auswirken, hat Amir sich zum Inder gemacht, sich von seiner Religion abgewendet und seinen Namen geändert. Er arbeitet in einer renommierten jüdischen Kanzlei und hat berechtigte Hoffnungen, dort zum Partner aufzusteigen.
Emily, in den USA geboren, behütete Tochter liberaler, kulturinteressierter Eltern, ist in ihrer Malerei vom Islam inspiriert. Sie hat sich mit den Ursprüngen und der Geschichte des Islams befasst und sieht darin ausschließlich Reichtum und Weisheit.
Der Anfang des Stücks gestaltet sich etwas zäh. Dem Publikum werden etwas zu lehrhaft die zum Verständnis für den weiteren Verlauf notwendigen Informationen vermittelt. Dann aber nimmt die Inszenierung Fahrt auf und Spannung entsteht, die sich bis zum Schluss steigert.
Emily und Amir haben ein befreundetes Ehepaar zum Abendessen eingeladen: Jory, Afroamerikanerin, ist Anwältin und arbeitet in derselben Kanzlei wie Amir. Isaac, jüdischer Amerikaner, arbeitet als Kurator und ermöglicht Emily gerade eine wichtige Ausstellung.
Das Quartett wirkt weltoffen und tolerant. Durch Emilys Bilder kommt das Gespräch auch auf den Islam. Während Emily in schwärmerische Begeisterung gerät, Jory dem Ganzkörperschleier kritisch gegenüber steht und Isaac nicht den Islam, sondern lediglich den Islamismus für bedrohlich erklärt, erteilt Amir der Religion seiner Väter eine wütende Absage. Aufgrund einer provozierenden Frage von Isaac wendet sich das Blatt jedoch. Es zeigt sich, dass Amir durchaus nicht der Mann ist, der er gern sein möchte.
Nachdem noch weitere Geheimnisse aufgedeckt worden sind, ist am Ende eine Ehe zerbrochen, Freundschaften gehen auseinander und Amirs amerikanischem Traum folgt ein böses Erwachen.
Nicht ganz unbeteiligt an der Entwicklung ist Amirs Neffe Abe, der seinen Onkel um Beistand für einen Imam gebeten hatte. Rauand Taleb ist sehr anrührend in der Rolle des jungen gläubigen Muslims, der sich fremd fühlt in New York und sich nach Zuwendung und Ermutigung sehnt. Amir, zunächst Abes großes Vorbild, enttäuscht den eigentlich gutartigen jungen Mann mehr und mehr, während radikale Kreise ihm scheinbar Verständnis entgegen bringen.
Mehdi Moinzadeh als Amir steht unentwegt unter Strom. Amir ist getrieben von beruflichem Ehrgeiz und dem Zwang, dem Klischee des perfekten US-Amerikaners zu entsprechen. Im Umgang mit seinem Neffen ist er unsicher, hin und her gerissen zwischen aufrichtigem Verantwortungsbewusstsein und der Versuchung, den armen Verwandten aus seinem Leben auszuschließen. Entspannt wirkt er nur am Anfang, als er seiner Frau Modell steht. Bei ihr fühlt er sich geborgen, denn ihr vertraut er bedingungslos.
Emily (Katja Sallay) entspricht schließlich doch nicht dem Idealbild, das ihr Mann sich von ihr gemacht hat, auch wenn sie weder böse noch verlogen ist. Sie ist eine lebensbejahende, liebenswerte Person, die an das Gute in allen Menschen glaubt und, weil sie imstande ist, Fehler zu verzeihen, überzeugt ist, dass auch ihr verziehen wird, wenn sie einen Fehler gemacht hat. Katja Sallay gestaltet überzeugend die Entwicklung einer Frau, die all zu lange in einer heilen Kinderwelt gelebt hat.
Unsympathisch ist keine der Personen in dieser Inszenierung, auch Isaac nicht, obwohl der eine durchaus zwielichtige Persönlichkeit ist. Isaac ist einer, dem Erfolge zufallen und der sich seinen Ehrgeiz nicht anmerken lässt. Gunther Gillian präsentiert sich in dieser Rolle mit jungenhaftem Charme und lässt nur leise erahnen, dass die Einfühlsamkeit dieses anscheinend ganz aufrichtigen Mannes auf einer klugen Verführungsstrategie beruhen könnte.
Einen Hauch Unterschicht bringt Dela Dabulamanzi als Jory ins Spiel. Jory kann sich in der etablierten Gesellschaft bewegen ohne sich ihr anzudienen. Sie verfügt über ein gesundes Selbstbewusstsein, ist absolut ehrlich und versteht es, Aussagen ohne Umschweife klar zu formulieren. Dela Dabulamanzi fasziniert mit ihrer Ausstrahlung, ihrer Pointensicherheit und der präzisen Ausgestaltung ihrer Rolle.
Ivan Vrogoc, Gründer der Santinis Production GmbH, ist erst während der bereits laufenden Proben in die Regie eingestiegen. Ihm und seinen DarstellerInnen ist es gelungen, das Stück ganz leicht und unterhaltsam auf die Bühne zu bringen und die brisanten, höchst aktuellen Aussagen erfahrbar und nachvollziehbar zu machen.
„Geächtet – Disgraced“ von Ayad Akthar, ins Deutsche übersetzt von Barbara Christ, produziert von Santinis Production GmbH, hatte am 28. Januar Premiere im Theater am Kurfürstendamm. Weitere Aufführungen bis zum 27. Februar täglich außer montags.