Bonn, Deutschland (Kulturexpresso). Ein Boulevard-Stück ist Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ sicherlich nicht, selbst wenn man das Werk nach der Vorlage des Librettisten Da Ponte neben „Figaros Hochzeit“ und „Don Giovanni“ lange Zeit dafür hielt. Dem Vorurteil leistet das Stück selbst Vorschub, zumal es in sich alle Merkmale einer Verwechslungskomödie birgt. „So machen’s alle!“ ist die dabei nicht leicht zu verkraftende Schlusseinsicht, die Mozarts Meisterwerk schließlich ein ganzes Jahrhundert lang den Zugang zu den Opernbühnen verbauen sollte.
Eine einfache Wette bringt es an den Tag: abgeschlossen zwischen Don Alfonso (Priit Volmer) und den beiden Liebenden Guglielmo (Giorgos Kanaris) sowie Ferrando (Tamas Tarjanyi), stellt sie die Treue der beiden geliebten Schwestern Fiordiligi (Sumi Hwang) und Dorabella (Kathrin Leidig) auf die Probe. Und in der Tat fallen die zunächst auf Treue programmierten Frauen auf die Verführungskünste der geheimnisvollen Verführer herein. Zwar ein Erfolg für die unerkannt bleibenden Liebenden und dabei doch ein Schock hinsichtlich der schließlich doch noch verlorenen Wette.
Treue und Verführbarkeit
Kein Zweifel: Mit „Cosi fan tutte“ ist Dietrich W. Hilsdorf nach seinem Händel-Zyklus, „Aida“ und dem „Wildschütz“ erneut eine überaus meisterliche Operninszenierung gelungen. Zumal er die Handlung im 18. Jahrhundert belässt und dazu die Irrungen und Wirrungen um die menschlichen Grundkonstanten von Treue und Verführbarkeit, Hoffnung und Enttäuschung, Trieb und Moral bis in ihre letzten Details durchbuchstabiert. Dabei jedoch in dieser vom Libretto proklamierten „hohen Schule der Liebenden“ nicht den Humor vergessend, der stets kurz davor steht, mit der Aussicht auf Verwundung und Vergiftung in die Tragödie abzugleiten.
Hilsdorf zur Seite steht ein bewährtes Team, das mit dem Bühnenbild eines noblen Hotelzimmers (Dieter Richter), geschmackvollen Kostümen (Renate Schmitzer) und wirkungsvollen Lichteffekten (Thomas Roscher) eine mehr als zwei Jahrhunderte zurück liegende Zeitepoche für die Gegenwart nachvollziehbar macht. Und zugleich verdeutlicht, dass sich seither in Sachen Liebe offenbar nichts Grundlegendes verändert hat. Zu dieser Einsicht tragen auch mit dem erforderlichen Nachdruck die Sängerinnen und Sänger bei, die mit viel schauspielerischem Talent die von Hilsdorf vorausgesetzte Vielschichtigkeit des Problemkreises vor dem Publikum ausbreiten.
Tiefer Seelenschmerz
Zunächst in der charakterlichen Unterschiedlichkeit der beiden Schwestern. Beide zunächst emotional eingeschworen auf die unverbrüchliche Treue gegenüber ihren Geliebten, beginnt diese Front bei immer weiterem Beschuss durch anderweitige Liebesschwüre erheblich zu bröckeln. Schneller bei Dorabella, die vor dem äußeren Drängen relativ schnell kapituliert. Anders dagegen Fiordiligi, die sich wild entschlossen zeigt, nicht an ihren hohen moralischen Grundsätzen rütteln zu lassen – und dann dennoch scheitert. Beide Damen im zweiten Akt eine wahre Augenweide mit ihren weiß wallenden Gewändern im Empirestil.
Umgekehrt programmiert sind natürlich die beiden männlichen Gegenstücke dieser verwirrenden Partnerbeziehung. Draufgängerisch zunächst Guglielmo, der seinen amourösen Erfolg bei Dorabella auf Kosten seines Freundes zunächst genießt, bis er im umgekehrten Nachgeben von Fiordiligi sich seiner eigenen Niederlage bewusst wird. Als zarter besaitet erweist sich dagegen Ferrando, der die sich anbahnende Entwicklung des menschlichen Verlustes erahnt und ihr mit tiefem Seelenschmerz klagend Ausdruck verleiht.
Weibliche Sinnlichkeit
Als mit allen Wassern gewaschener Drahtzieher in diesem unwürdigen Spiel erweist sich natürlich Don Alfonso, den seine pessimistische Lebenserfahrung nun auf der ganzen Linie triumphieren lässt. Und nicht weniger ist es das Kammermädchen Despina (Susanne Blattert), das nach allen Regeln der Kunst die weibliche Sinnlichkeit ins Spiel bringt, über die Dorabella und Fiordiligi schließlich mit ihren guten Vorsätzen stolpern. Auch sie in ihrer rollenbedingten charakterlichen Fragwürdigkeit Teil eines hochkarätigen Gesangsensembles, über das die Oper Bonn gegenwärtig verfügt.
Der jubelnde Schlussapplaus gilt natürlich auch dem Beethoven Orchester Bonn. In dieser Produktion kammermusikalisch besetzt, spannt es an diesem Abend unter der musikalischen Leitung von Christopher Sprenger (auch am Hammerflügel) den weiten Bogen von zarter emotionaler Einfühlsamkeit bis hin zu einer wunderbaren Mozartschen Klangfülle. In dieser ansprechenden Form erweist sich die Produktion als begeisterndes Gesamtkunstwerk und damit als einer der Höhepunkte dieser auslaufenden Bonner Spielzeit.