Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). 2000 Jahre sind eine lange Zeit. Nicht ausgeschlossen, dass da mal ein Geburtstag verrutscht, schließlich gab es zwischendurch verschiedene Kalender. 500 Jahre sind da schon etwas handlicher. Martin Schulz wird in 50 Jahren vielleicht schon nicht mehr erinnert werden, außer in SPD-Kreisen und seiner Familie vielleicht. Luther dagegen hat es geschafft. Mit dem gleichen Vornamen. Als ungläubiger Thomas wollte er Gottes Wort jeden Sonntag auf deutsch hören und weil es keine Vertonung gab, übersetzte er erst einmal selbst. Jetzt soll er das größte Cinemaxx-Kino am Potsdamer Platz füllen, den Saal 7.
Saal 7
Hier werden bei der Berlinale wichtige Filme aus dem „Panorama“ gezeigt mit Q&A auf der Bühne. Am Berlinale-Kinotag werden hier die Panorama-Publikumspreise bekanntgegeben und vergeben.
Niemand geringerer als Knut Elstermann persönlich moderiert die Preisverleihungen und übergibt die Awards in den Rubriken Spiel- und Dokumentarfilm.
Und hier, in diesem wunderschönen Saal im Herzen des Gebäudes, nun eine große Veranstaltung. Eben.
Nicht das tägliche Brot brechen
Da man ein größeres Publikum ansprechen möchte oder einem in der Muttersprache die Worte fehlen, heißt das „Event“ „Breaking Religion – 500 Jahre Reformation“. Oder ist das Brechen der Religion etwas, dass man nicht aussprechen möchte? Luther war Katholik, so wie Jesus Jude war. Das Schisma in Katholizismus und Protestantismus hat er verursacht, einen Keil getrieben ins Christentum, der die Ökumene gebar, die immer noch keinen haltbaren Kitt für die Trennung gefunden hat.
Die Feierlichkeiten zum Halbtausendjubiläum besuchen teils auch Katholiken, Agnostiker und Ungläubige. Sogar bei den Kommunisten und Sozialisten war ML nicht so unbeliebt, wie man vermuten könnte. Die Führungen zu den 95 Thesen, die Martin L. ans Kirchentor genagelt haben soll, fanden in Wittenberg unter DDR-Ägide und -Kontrolle statt. 1483 wurde M.L. geboren, der 500. Geburtstag 1983 begangen.
Briefmarken und 5-Mark-Stücke erschienen. 1546 starb der Übersetzer. Mal sehen, ob und wie 2046 gefeiert wird.
Der 31. Oktober 2017 ist in Deutschland ein bundeseinheitlicher Feiertag
Hier und heute geht es um das Annageln der Thesen. 95 Stück – nicht einzeln natürlich – an das Hauptportal der Schloßkirche zu Wittenberg. Die Stadt an der Elbe hat heute knapp 50.000 Einwohner und den Beinamen Lutherstadt.
Wann genau das passiert ist, daran erinnert uns seit vielen Jahren der Reformationstag, den man in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt (hier liegt die Elbestadt mit der berühmten Kirche) und Thüringen feiert. Viele Brandenburger gehen dann in Berlin schoppen, da sie in ihrem Land nicht einkaufen können. Daraus wird in diesem Jahr nichts.
Das Risiko des Feiertags
Obwohl man vor ein paar Jahren gelernt hat, dass das Bruttosozialprodukt stark zunahm, wenn ein Feiertag weniger stattfand (oder an einem Sonntag) – einfach deswegen, weil einen Tag länger gearbeitet wurde – riskierte die alte Bundesregierung Mindereinnahmen durch Produktions- und Arbeitsausfall in 12 Bundesländern.
Entweder dachte sie „Nach uns die Sintflut, die Steuermindereinnahmen muss ja die nächste Regierung ausbaden“ oder der Anlass war ihr wichtig.
Den Nagel getroffen
„Aller Anfang ist schwer, sagte der Dieb und stahl einen Amboss.“ Vor dem Ruhm des Reformators stand das Handwerk. Einen Hammer muss der Augustiner-Eremit schon in die Hand genommen haben, um den Nagel auf den Kopf zu treffen. Wenn es gut werden soll, sollte man es besser selbst machen.
Der Tacker war noch nicht erfunden, Baumärkte gab es nicht und der Erfinder der Reißzwecke, ob es nun Heinrich Sachs war aus Wien, Johann Kirsten aus dem 200 Kilometer entfernten uckermärkischen Lychen in der Nähe von Templin oder ein unbekannter Dritter, war sicher noch nicht geboren. Soviel ist gewiss.
Hammer, Nagel, Papier
Das Werkzeug des Übersetzers war die Feder. Der Reformator schaffte den Durchbruch mit dem Hammer. 97 Thesen hatte er vorher verfasst, bekannt sind die 95 vom 31. Oktober.
Gib mir den Hammer
Nicht ausgeschlossen, dass Luther einen Mitbruder um das Werkzeug und Nägel bat.
Fest steht, dass am Ultimo des 10. Monats das Ereignis des Annagelns gefeiert wird, gleichzeitig die Veröffentlichung.
Es geht also nicht um ein allgemeines Datum aus Luthers Leben wie Geburts- oder Todesdatum, sondern das Festhalten eines Ereignisses, einer Aktion. Leiser als die Boston Tea Party, doch vielleicht mit durchschlagenderer Wirkung.
Die Christen und die Nägel
Auffällig, wie wichtig in der Religion der Christen die eingehämmerten Nägel sind.
Das Symbol des Christentums, das Kreuz, trug die eingehämmerten Nägel. Ohne die Kreuzigung kein Religionsbeginn, scheint es.
Doch immerhin rechnet die Christenheit heute 2017 Jahre nach Christi Geburt.
Der ins Tor dringende Nagel Luthers spaltete nicht nur ein kleines bisschen das Holz.
Kleines Nägelchen, große Wirkung.
Kein Tor, ein Portal
Ein Nagel drang in eine Tür und das Portal in eine neue Zeit öffnete sich.
1517, 1760, 1857
Am 31. des Monats Oktober also, 1517.
So die Überlieferung denn stimmt.
Die Kirche der Stadt ist ein halbes Jahrtausend später noch zu besichtigen.
Die Thesentür nicht.
Die heutige Tür: in Bronze getrieben
Heute sieht man eine rechteckige bronzene Tür mit Thesen, darüber musizierende Knaben auf dem waagerechten Kämpfer und oben, im Tympanon, der Schmuckfläche im Bogenfeld des Portals, ein Gemälde mit goldenem Himmel vor der Silhouette Wittenbergs. Es zeigt Christus ans Kreuz genagelt mit Inschrift INRI, rechts Melanchthon mit dem Augsburger Bekenntnis und links Luther mit der deutschen Bibel.
Zwei Gemälde
Das Gemälde, das am 29. Oktober 2017 in Kino Cinemaxx am Potsdamer Platz präsentiert wird, zeigt das große Tor. Durch die verklärte Erinnerung erscheint es vielleicht noch größer als das Original.
O-Ton Rosaana Velasco: „Heute ist die Präsentation meines größten Gemäldes meines Lebens.“
Die Deutschmexikanerin hat die künstlerische Freiheit. Diese brauchte sie auch dringend, denn 1760 verbrannte die Tür; als die Kirche ausbrannte, im Siebenjährigen Krieg.
Nie wieder Krieg
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Nie wieder Krieg.
Der siebenjährige Krieg setzte auch dem Französischen als Weltsprache ein Ende. Die preußischen Könige verwendeten anfangs diese Sprache für ihre Korrespondenz. Friedrich II. brach mit Frankreich und verbündete sich mit England, das durch den 7jährigen Krieg zur unumstrittenen Weltmacht wurde mit dem größten Territorium der Weltgeschichte. Die Franzosen wurden in Nordamerika besiegt, Kanada und das Land, das heute die USA sind, wurden britisch.
Die Zerstörung der Thesentür an der Universitätskirche würde heute vielleicht als Kollateralschaden bezeichnet.
Die Schloß- und Universitätskirche, an der die Thesen prangten, wurde in den Befreiungskriegen erneut stark beschädigt. 1814 wurde die Stadt erstürmt.
Die Universität Wittenberg zog 1817, vor genau 200 Jahren, nach Halle (Saale).
Die Stadt kam durch den Wiener Kongress zu Preußen. Dessen König Friedrich Wilhelm IV., der für den Dänemark- und Baden-Feldzug verantwortlich war, stiftete angeblich 1858 das heutige metallene Tor, in das die Thesen eingraviert sind. Er tat dies am feierlich am 10. November, dem 375. Geburtstag Luthers.
Fridericus Gvilelmus IV Rex Portam
An der Tür steht ein mittellanger Text, der mit „Fridericus Gvilelmus IV Rex Portam“ beginnt und mit der Jahreszahl „1857“ endet. Friedrich Wilhelm hatte in jenem Jahr mehrere Schlaganfälle und zog sich aus der Regierungsverantwortung zurück, sein Sohn, der Prinz von Preußen, vertrat ihn. Am 7. Oktober 1858 unterschrieb der Vater die Regentschaftsurkunde und reiste am 12. Oktober nach Italien, um die verfassungsmäßige Bedingung eines längeren Auslandsaufenthalts einzuhalten.
Egal, ob 1857 oder ‘58, die Thesentür aus Metall erwies sich bisher als dauerhaft. Sie gehörte mit zu den letzten Dingen, die der preußische König seit seiner Krönung 1840 erfolgreich unternahm.
Friedrich Wilhelm IV. starb kurz nach Neujahr 1861 und wurde in der Potsdamer Friedenskirche bestattet.
In Wittenberg liegt Luther an der Seite Melanchthons begraben.
Augsburg
Die Stadt des Bekenntnisses, das Melanchthon auf dem Tympanon zeigt, hatte nach der Reformation Probleme, den Frieden zu wahren. Den heutigen gregorianischen Kalender hatte der Papst eingeführt. Das evangelische (protestantische) Augsburg wollte deshalb den julianischen Kalender beibehalten. Wegen dieses Kalenderstreits (Höhepunkt: 1584), der ohne Luther und Melanchthon unmöglich zustandegekommen wäre, kam es in Augsburg fast zum Bürgerkrieg.
Dies wäre ein (indirekter) Religionskrieg gewesen.
„Breaking Religion. Rule Breakers, Rebels & Reformers unite.“ – 500 Jahre Reformation
„Das Event am Potsdamer Platz“
29. Oktober 2017
3mal:
11 Uhr, 13 Uhr und 16 Uhr
Cinemaxx-Kino Potsdamer Platz
Kinosaal 7 –
„Eine besondere Show zum 500. Jahrestag der Reformation mit
Live-Theater & Gospelmusic feat. Andrew & Alaina Mack. Gastsprecher: Dr. Paul Louis Cole aus Dallas, USA.“
Veranstalter: „Berlin Church“
Eintritt frei