Gefangen im Netz der Gefühle – Benjamin Brittens Oper ‚Peter Grimes‘ am Theater in Bonn

Werbung für 'Peter Grimes' am Theater in Bonn. © 2017, Foto: Midou Grossmann

Bonn, Deutschland (Kulturexpresso). Benjamin Brittens Oper ‚Peter Grimes‘ ist sicherlich kein Werk, das zu den ‚Top-Ten-Favorite-Operas‘ gehört. Dennoch hat sich dieses Werk seit der Uraufführung am 7. Juni 1945 im Sadler’s Wells Theatre in London auf den Spielplänen der meisten Opernhäuser etabliert, ja, das Werk gehört sogar zu den am meistgespielten, die nach dem Zweiten Weltkrieg komponiert wurden. Die damalige Uraufführung wurde beschrieben mit: „Sie erhoben sich von den Plätzen und schrien und schrien.“ – So war es auch jetzt nach der Aufführung in Bonn. Zehn Minuten Standing Ovation belohnte das Team für hoch spannendes und berührendes Musiktheater.

Für den humanistisch ausgerichteten José Cura, der neben der Titelrolle auch Regie und Ausstattung übernommen hatte, ist ‚Peter Grimes‘ eminent wichtig für die aktuelle Zeit. Die Kernaussage des Werks basiert auf dem Anderssein eines Menschen, der von einer engstirnigen Dorfgesellschaft in den Tod getrieben wird. Grimes, ein grimmiger Fischer, sicherlich auch mental nicht in Harmonie mit sich selbst, wird immer mehr zum Außenseiter, weil einige seiner Lehrlinge im Dienst bei ihm verunglücken und sterben. Letztendlich sieht er keinen anderen Ausweg als den Tod, der ihm noch nahegelegt wird von Balstrode, einem ihm eigentlich wohlgesonnen Seemann. Daran sieht man das enorme Ausmaß der mitmenschlichen Hilflosigkeit: wer nicht ins Bild passt, sollte sich ‚entsorgen‘, um die anderen nicht zu stören.

In dieser Inszenierung wird ganz klar gezeigt, dass Grimes nicht am Tod der Kinder verantwortlich ist, eine Verkettung unglücklicher Umstände bringt ihn vor Gericht. Cura zeigt Grimes als einen Grobian, aber auch die menschlichen Sehnsüchte des Titelhelden sind gut herausgearbeitet. Grimes möchte unbedingt dazugehören und ein bürgerliches Leben mit Ellen führen, ein großer Fang soll ihm das ermöglichen und dafür benötigt er Hilfe, eben die Lehrbuben.

Der ebenfalls von Cura geschaffene Bühnenraum besteht aus einem Haus mit einem Turm, der dem Wachturm in Brittens Wohnort Aldeburgh gleicht. Auf einer Drehbühne aufgebaut, wird es wechselnd zur Dorfkneipe, Kirche oder Grimes‘ Hütte. Über dem Gesamtbühnenbild hängt ein großes Fischernetz, symbolisch sicherlich zeigend, wie verstrickt die Dorfgemeinschaft in festgefahrenen Strukturen ist. Eine detaillierte Personenregie gibt der Handlung einen fließenden Ablauf, liebevolle Details untermalen noch das Libretto. Die historischen Kostüme, wie auch das Bühnenbild sind in Sepiatöne gehalten, an Bilder der alten Meister angelehnt.

Als Sänger der Titelpartie fokussiert sich Cura auch stimmlich auf die Gebrochenheit des Peter Grimes. Die träumerischen Erzählungen von den Plejaden über dem Meer gelingen ebenso eindrucksvoll wie die hoffnungslosen Momente, gepaart mit glaubhafter Verzweiflung. Seine dunkle Stimme, die immer wieder stark durchlichtete Töne hervorzaubert, passt zu dieser Inszenierung sehr gut. Nach dem französischen ‚Tannhäuser‘ von Monte Carlo, hat der Ausnahmetenor auch hier wieder stimmlich sowie darstellerisch eine gelungene Weiterentwicklung seiner erfolgreichen Karriere gezeigt.

Bariton Mark Morouse stand als Kapitän Balstrode auch stimmlich ganz auf der Höhe von Peter Grimes/José Cura. Yannick-Muriel Noah bezauberte mit einer bewegend lyrischen Ellen Orford, die auch darstellerisch nur Güte auszustrahlen vermochte. Wunderbar Geri Williams als Auntie, immer als die gute Seele präsent in all der Dramatik, und dies mit äußerst souveräner Stimme. Das gilt ebenso für die weiteren Sänger, alle Partien waren bestens mit Ensemblemitglieder besetzt, wie die Nichten (Marie Heeschen, Rosemarie Weissgerber), Mrs. Sedley (Anjara I. Bartz), Pastor Adams (David Fischer).

‚Peter Grimes‘ ist eine Choroper und an diesem Abend waren der Chor des Theater Bonn sowie der Extrachor extrem gefordert, alle meisterten die Aufgabe grandios, unter der Leitung von Marco Medved. Extrem viele Musikrichtungen waren hier zu singen, von stürmischen Passagen bis hin zu Kirchenlieder, stilsicher wurde all dies gemeistert.

Last but not least muss die absolut grandiose Leistung des Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Jacques Lacombe erwähnt werden. Die enorm vielschichtige Partitur Brittens wurde kraftvoll und mit wunderbarem Fluss interpretiert, was als eine spannende Klangreise bezeichnet werden muss. Fazit: eine gelungene Ensemblearbeit, der anzumerken ist, dass man dem Werk auf hoher künstlerischer Ebene dienen wollte, dies ist auch gelungen. Jedem Opernfan sei ein Besuch in Bonn empfohlen.

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