Keep on playing oder „Das Altenheim in Mailand“

Wang Huandong, Angelo Lofores und Midou Grossmann (v.l.n.r.) am 30. April 2019 in Casa Verdi. © 2019, Foto: Andrea Zaupa

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Auf die Frage, was wohl seiner Meinung nach sein bestes Werk sei, soll Verdi geantwortet haben: „Das Altenheim in Mailand.“

‘La Casa di Riposo per Musicisti‘, kurz Casa Verdi genannt, an der Piazza Buonarroti, beheimatet auch die Gruft, in der Giuseppe Verdi mit seiner Frau Giuseppina Strepponi bestattet wurde. Eine überlebensgroße Statue des Komponisten bildet den Mittelpunkt der Piazza, gebieterisch fordert sie Aufmerksamkeit. Betritt man La Casa, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt, in eine Zeit bevor Europa von zwei Kriegen zerrissen wurde und in der die Musik für viele Menschen aller Gesellschaftsschichten zum Leben gehörte.

Im Casa Verdi wohnen Musiker, die auch im Alter in ihrem gewohnten künstlerischen Umfeld leben möchten und vom Leben nicht verwöhnt wurden. Verdis Stiftung ermöglicht das zu bezahlbaren Preisen, der Komponist hat die gesamten Autorenrechte aus seinen Werken dieser Stiftung vermacht. Auch heute ist das finanzielle Polster anhand kluger Investitionen, Spenden und staatlicher Hilfe noch ausreichend für die ca. 75 Bewohner. Das Ganze wirkt mehr wie eine musikalische Bildungsstätte, überall Porträts sowie Bühnenposter, die an die glanzvolle Zeit der Oper erinnern. Elegante Empfangsräume und kleine Musiksalons laden zum Verweilen ein. Mittlerweile beherbergt das Haus auch junge Musikstudenten, die dort wohnen dürfen aber sich nebenbei um die Senioren kümmern müssen. Dafür dürfen sie im Haus musizieren und sich mit Freunden treffen. Fast jeden Tag finden Konzerte im großen Musiksaal statt, an dem prächtigen Flügel, den Toscaninis Tochter Wanda gespendet hat. Auch ihr Vater hat sich um das Haus verdient gemacht.

Für die jungen Studierenden ist es ein Geschenk mit den Künstlern der Vergangenheit zu kommunizieren und zu lernen. So konnte ich auch einer Übungsstunde des wunderbaren Baritons Andrea Zaupa und seiner japanischen Begleiterin beiwohnen sowie einen der größten Tenöre der Nachkriegszeit – Angelo Loforese – treffen, der von einem großen Bewunderer aus China, dem Bariton Wang Huandong, fast jeden Tag besucht wird. Aus dieser Freundschaft entstand der mittlerweile renommierte Angelo Loforese-Gesangswettbewerb, der weltweit junge Sänger jedes Jahr nach Mailand bringt. Vom reichen Wissen und Können der musikalischen Vergangenheit der Senioren profitieren die jungen Künstler und werden auf den harten Alltag in der Welt der Kunst vorbereitet. Allein das Flair des Hauses bewirkt schon eine geistige Erneuerung, man fühlt sich geborgen, wie eine Bewohnerin erklärt. So hat Giuseppe Verdi mit seiner zukunftsweisenden Idee auch etwas für die Nachwuchsförderung getan, denn Musiker werden, beinhaltet nicht nur ein Studium, sondern lebenslanges Lernen ist gefordert.

Davon kann der berühmte Tenor Angelo Loforese (99) berichten. Gesungen hat er schon als Kind, Musik war immer präsent im Alltag seiner Familie, die zur Mittelschicht gehörte. Über den Kirchenchor kam er zu einer russischen Prinzessin/Sängerin im Exil, die ihn in das Geheimnis des Gesangs einführte. Damals wurde er als Bass eingestuft, dann machte man ihn zum Bariton, doch kurz darauf sang er schon Tenorpartien. Er stand mit allen großen Namen der Nachkriegsgeneration auf der Bühne, selbst in München durfte er die Partie des Wolfram im ‚Tannhäuser‘ singen, auf Italienisch, die Kritiker waren begeistert. Endlich jemand, der uns zeigt, wie Wagner gesungen werden sollte, schrieben sie.

Herbert von Karajan holte Loforese 1964 als Tenor nach Berlin für ‚Trovatore‘ mit Leontyne Price und Giangiacomo Guelfi. Karajan studierte mit dem Sänger intensiv und prophezeite ihm eine Weltkarriere. Das es zu keiner weiteren Zusammenarbeit mehr kam, führt der Tenor auf Spannungen zwischen ihm und Karajans Sekretär Mattoni zurück. Dass Angelo Loforese vielleicht nicht so bekannt ist wie seine Zeitgenossen Stefano, Corelli, Del Monaco, liegt sicherlich auch an seiner großen Bescheidenheit. Jegliches Egogehabe war und ist ihm fremd. Zudem war er sich nie zu schade für seine Kollegen kurzfristig einzuspringen. Ein gepackter Koffer lag immer unter seinem Bett.

Das Geheimnis seiner Stimmer, mit der er noch mit 96 Jahren das hohe C singen konnte, versuchen viele jüngere Sänger nun zu ergründen. Er selbst spricht von seiner Lehrerin, der russischen Prinzessin (die Degiachelli), die ihm gelehrt habe, wie man das Zwerchfell ruhig hält, wie man ohne Forcieren singt, wie der Ton ganz natürlich im vorderen Bereich des Mundes und der Lippen geformt wird, indem man einen Ausgangspunkt in diesem Bereich finden sollte und der Gesang dann darauf aufgebaut werden muss. Man darf sagen, dass hier eine Art transzendentes Singen entsteht, eine innere Stimme sozusagen, denn durch unaufhörliches Üben tritt man in einen höheren Bewusstseinszustand ein und der Gesang fließt plötzlich natürlich, frei von der Technik, die dennoch wie eine Basis agiert, bevor man auf den Flügeln des Gesangs ‚abhebt‘. Das ist letztendlich das Geheimnis eines jeden großen Genies: Hingabe, Fleiß und den unbedingten Willen immer besser zu werden, ja, auch die Öffnung hin zu einer spirituellen Dimension ist hierbei unbedingt notwendig. Manche Menschen, wie auch Angelo Loforese, sind gesegnet dieses Wissen in sich zu tragen, andere können es mit Hingabe und Fleiß erlernen.

Zum Glück ist vor einigen Jahren eine Biografie über den großen Sänger erscheinen, die auch in einer deutschen Übersetzung erhältlich ist. Darin spricht der Tenor detailliert über seinen Weg in den Olymp der Oper.

www.angeloloforese.com

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