Lissandro aus Frankreich gewinnt JESC

der französische Flagge verschiedene Farben, weil beim JESC Lissandro aus Frankreich gewinnt
Flagge Frankreichs seit 1794, 1830-1974 und seit 2020. Gemeinfrei

Lüneburg, Deutschland (Kulturexpresso). Lissandro aus Frankreich gewinnt JESC. Kroatien, Spanien, die Niederlande, Frankreich und Italien haben gewonnen – nein, wir sind nicht bei der Fußball-Weltmeisterschaft, aber doch in Asien. Denn Polen wurde zweimal Sieger. Wir sind in Jerewan, der Stadt des berühmtesten Radiosenders der Welt oder zumindest Eurasiens, des (sowjetischen oder) armenischen Radio Eriwan. Am Sonntag, den 11.12.2022 am frühen Abend fiel die Entscheidung beim Junior Eurovision Song Contest, abgekürzt JESC. Bei den Erwachsenen, d.h. den über 16-Jährigen heißt er ESC und früher Grand Prix de Chanson. Ein Liederwettbewerb für Kinder und Jugendliche also, denn Chanson heißt ja nichts anderes als Lied. Und dennoch – der Klang der französischen Sprache ist verführerisch. Und der französische Charme erstmal … Oh lalà, schon wiederr ein französisches Wort und wir sind bisher erst beim Buchstaben „Ch“!

Vom männlichen Charme ist nicht die Rede, sondern vom jugendlichen. Und den hat Lissandro außer seiner Stimme, die sich bestimmt noch entwickeln wird, wohl gebraucht. Denn es nicht nur keine Selbstverständlichkeit, dass ein Bub‘ gewinnt, sondern eine Seltenheit; obwohl Knabenchöre höchsten Musikgenuss bieten können wie die Thomaner oder die Wiener Sängerknaben. Meist gewinnt ein Mädchen oder eine weibliche Gruppe; woran das liegt, wer weiß.

Lissandro aus Frankreich gewinnt JESC erstmals, sein Land zum 2.Mal

Dass ein Junge gewinnt, ist ungewöhnlich, doch die Trophäe ging schon einmal nach Frankreich. Mitten im Chaos sang sich Tina zum Sieg. Für die Welt: Valentina. Das war 2020. Das Lied, Entschuldigung, der Song, oder hier besser das Chanson ( oder doch nicht?) hieß „J’imagine“ – ‚ich stelle mir vor‘. Auf englisch wäre das „I imagine“, aber damit wäre (mit einem Ei vor dem i) kein Blumentopf zu gewinnen; wenn man das „ich“ vorne weglässt, anscheinend schon.

Genau zweimal zu gewinnen kommt hier häufiger vor als bei der Fußball-WM. Dort gelang es Frankreich auch, aber sonst nur Argentinien und Uruguay. Italien, Deutschland und Brasilien wurden mindestens 4mal Weltmeister. Interessanterweise ist zweimal gewinnen beim JESC sogar am häufigsten: 6 Nationen taten das. Das gelang auch schon denen, die die gleichen Farben wie die Franzosen verwenden, aber waagerecht (Russland) 2006 und 2017. Die mit den gleichen, aber anders sortierten Farben gewannen immerhin 2009 in Kiew; die Niederländer.

Zwei Farben – zweimal gewonnen: Rotweiß siegen

Zwei Farben reichen auch zum Doppelgewinn: Polen triumphierte 2018 im weißrussischen Minsk und verteidigte im Folgejahr den Titel in Gleiwitz. Einen gewissen Heimvorteil scheint es auch hier zu geben.

Malta hat die Farben nebeneinander, rot rechts. 2013 und 2015: Sieg in Kiew und Sieg in Sofia.

Rotweiß kann auch dreimal – Georgien ist einsame Spitze

Die Flagge Georgiens ist einzigartig und auch der Erfolg des Landes, das viele seiner Bewohner lieber in Europa sähen, beim JESC. 2008 im zypriotischen Limassol (Asien), 2011 im armenischen Jerewan (fast ein Heimspiel) und 2016 im maltesischen La Valletta gewannen Bzikebi, Candy und Mariam Mamadaschwili, ein echt georgischer Familienname.

2017 in Tiflis, wo Dynamo spielt(e), gewann dann Russland.

Trikoloren, die gewannen

Frankreich zweimal. Das Land mit dem grün statt bleu einmal (2014 in Marsa auf Malta, wo die Italiener zumindest klimatisch einen Vorteil hatten, liegt die kleine Insel doch gleich südlich Siziliens). Die Niederlande 2009. Armenien 2010 und 2021, weshalb es jetzt im Jahr 2022 Austragungsort war. Das ist jedoch genausowenig eine starre Regelung wie die geographische Zugehörigkeit. In unserem Weltatlas von 1977 liegt Zypern in Asien. Vielleicht ist es inzwischen gewandert? Global wandering? Obwohl sogar Izmir und Istanbul weiter westlich liegen und dennoch, Istanbul teilweise, in Kleinasien.

Kroatien ist das Uruguay des JESC, will heißen, der Erstgewinner 2003 in Kopenhagen. 2004 triumphierte Spanien in Lillehammer (nicht bei den olympischen Winterspielen!) und zog daraus viel Kraft – wenn die Kleinen das können, dann können wir das auch, mögen die alten Herren der Fußballer gedacht haben – und ballerten sich Tiki-taka mehrfach bei der EM 2008 und 2012 – und 2010 in Südafrika sogar bei der WM – zum Meister.

Belarus gewann 2005 im belgischen Hasselt und 2007 im holländischen Rotterdam. (Ob es in Belgien half, dass die ersten drei Buchstaben des Austragungs- und Gewinnerlandes gleich sind?)

Gewinner-Ungleichgewicht Süd-Ost bei den ersten 20 JESC

Insgesamt fällt unter den Gewinnern ein Ost- und Südungleichgewicht auf. Die ehemaligen Teile der UdSSR bzw. GUS Russland, Belarus, Ukraine, Georgien und Armenien zählen zu den Gewinnern. Kasachstan (ja, genau) hatte dieses Jahr einen vielversprechenden Auftritt, der allerdings nicht dem Geschmack der Massen gereichte. Gewinner im Süden sehen aus wie das Königreich beider Sardinien – von Spanien über Frankreich und Italien bis nach Kroatien zieht sich eine Land- und Seebrücke, wobei wir das Sizilien vorgelagerte Malta bereits erwähnten, das sogar auch zweimal den Wettbewerb austrug.

Insgesamt fällt auf, dass häufige Teilnahme einen Titel- und Trophäengewinn wahrscheinlich macht. Von den Staaten, die mindestens ein Dutzend Mal dabei waren, haben bisher nur Serbien und Nordmazedonien nie gewonnen. Der serbische Beitrag 2022 war gelungen. Dies wurde von Jury und Internet-Votern auch gehörig honoriert. Zum Schluss lief es auf ein armenisch-französisches Kopf-an-Kopf-Rennen im Feld der 16 Teilnehmer hinaus. Damit wären die Kaukasusstaaten unter den Gewinnern die beiden einzigen geworden, die sogar so oft gewonnen hätten, wie es guter Dinge gibt.

Aserbaidschan ist sich mit Armenien nicht immer grün. Krieg stört. Während ersteres Land dreimal und letzteres 14mal teilnahm, erfolgten je nach Lage Absagen. Die beiden kleinen Länder streiten sich um ein kleines Territorium (Berg-Karabach). Das Schießen hat beiden nicht gut getan und behindert nicht nur die Teilnahme in internationalen Wettbewerben, es kostet ständig Kraft wie ein Stachel im Fleische, nützt letztlich nur Waffenproduzenten und -händlern sowie (internationalen) Machtpolitikern. 2011 und 2022 war Eriwan Austragungsort. Die aserbaidschanischen Nachbarn nahmen dort nicht teil. 2012 musste der Veranstalter EBU* Neue überreden, mitzumachen, Albaner, Aseris und Israelis. Während erstere und letztere erstmal nur ein Jahr im Wettbewerb blieben, waren es bei den Aserbaidschanern zwei. Danach sagten sie ab, so auch in diesem Jahr.

Die Niederlande sind in Mitteleuropa schon fast im Norden und beschweren die andere Waagschale nicht. Daran änderte sich auch nichts, würde Belgien gewinnen. Deutschland nahm mit dem KIKA ausgerechnet 2020 zum 1.Mal teil und dann wieder 2021. Absage 2022.

Lissandro aus Frankreich gewinnt JESC mit „Oh, Maman!“ – teils auf englisch

Lissandro gewinnt mit einem teils französisch, teils englisch gesungenem Lied, dessen Titel „Oh Mama“ bedeutet. Die Regeln besagen, dass 60 Prozent des Liedtextes in der Muttersprache gesungen werden müssen. 40% dürfen englisch sein. Fast die Hälfte der 20 Interpreten, die gewannen, nämlich 9, kamen mit englisch zum Erfolg. Dabei zwei aus Malta, wo es außer dem Maltesischen, der einzigen semitischen Sprache Europas, auch Landessprache ist und deshalb beim JESC erlaubt. 10 Interpreten sangen nur in ihrer Muttersprache. Das Stück „Bzzz“ von Bzikebi aus Georgien wurde in einer imaginären Sprache gesungen. Das war 2008 auf Zypern augenscheinlich auch gestattet. Hauptsache nicht (nur) auf englisch.

Die Polinnen Roksana Wegiel und Viki Gabor benutzten das Englische 2018 und ’19 gern. Die Titel waren allerdings 100% englisch. Roksana sang „ANYONE I want to be“ – und Viki Gabor erklärte sich mit „Superhero“ zur Superheldin, was super klappte. Nun, die am 10.7.07 in Hamburg geborene „Viki“ heißt eigentlich Wiktoria, was bekanntlich die Siegreiche oder die Siegerin bedeutet- Viki kommt aus einer Romafamilie und lebte auch in England; ein Grundstein für ihren Erfolg, der aus polnischer und Gesamtsicht besonders war.

Vikis Sieg mit „Superhero“ war der erste eines Interpreten oder einer Interpretin des Gastgeberlandes (und bisher einzige) und obendrein das erste und bisher einzige Mal, dass Vertreter derselben Nation zweimal hintereinander gewannen.

Das Euro in Euro-Vision ist kein streng geographischer Begriff

Wir kennen das vom Grand Prix de Chanson, der jetzt ESC heißt. Esc wie escape oder fliehen; viele haben dem Wettbewerb schon den Rücken gekehrt, auch viele Zuschauer, die das Theater nicht mitmachen wollen. Nordafrikanische Länder wären berechtigt. Australien hat einmal teilgenommen, Israel dreimal. Wales nahm teil und davor und danach das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, obwohl Wales ein Teil des Königreichs ist – aber diese britischen Widersprüche kennt man ja schon von der FIFA und der WM 2022, wo Wales gegen England spielte.

Zum Beitragsbild: Nein, Frankreich ist noch nicht Fußballweltmeister der Männer geworden, sondern Lissandro aus Frankreich gewinnt den JESC mit seinen Mannen, die auch tänzerisch gut dazu passten (kein Fußballbegriff) und den Takt fanden.

*Auch wenn Lüneburg die Buchstabenfolge EBU enthält, sitzt der Veranstalter doch in Genf in der Schweiz.

Anzeige

Vorheriger ArtikelEin Dutzend Bilder von Max Beckmann im Weingarten-Kalender „Beckmann 2023“
Nächster ArtikelSchach mit den Großen Meistern – Annotation zum „Kaffeetisch“-Buch „Schach!“ von Ben Graff