Marmelade darf keine sein. Sylt, Konfitüre und die Marmeladenkatastrophe

Selbstgemachte Marmelade darf noch so heißen und sogar noch örtlich auf dem Bauern- oder Wochenmarkt unter diesem Namen verkauft werden. Könnte sie aus Deutschland ausgeführt werden, muss sie seit 2003 als Konfitüre bezeichnet werden. © 2019, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Marmelade heißt auf dänisch auch so. In der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich ist das Wort seit 2003 verboten. Brüssel ist schuld. Und die Briten vielleicht, denn dort ist ‚Marmelejd‘, wie das ungefähr ausgesprochen wird, nur „Marmelade“ (in englischer Aussprache), wenn Zitrusfrüchte verkocht wurden. Zitronen und Orangen meistens, manchmal Apfelsinen und ähnliche Südfrüchte. Im Gegensatz zur guten alten Marmelad‘, die sich wegen der EU-Bestimmung jetzt Konfitüre schimpfen muss, dürfen in „marmelade“ (engl. Aussprache) Fruchtstücke auftauchen.

Der Streich mit dem Aufstrich

Was man aus Obst machen kann. Püree, Fruchtfüllung, Konfitüre, „Sanddorn für Joghurt extra dick“ und Marmelade, selbstgemachte. Das mittlere und rechte Glas enthalten das Gleiche (Marmelade), doch es muss anders heißen. In der EU. Der Hersteller Pavel Cvrcek ist in Tschechien. Also in EU-Europa. © 2019, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Es geht um Geld und Umsatz, um Märkte und Export und um die Zerstörung von Sprache. Der deutsche Sprachgebrauch – mündlich – ist noch fast unverändert. Viele Sprecher haben den Schuss noch nicht gehört. Konfitüre ist ein Wort für Etiketten.

Das Ganze ist ein großer Etikettenschwindel und – eigentlich und uneigentlich – auf gut deutsch gesagt – eine Sauerei. Es gehört nicht zur guten Etikette, eine Bezeichnung, die sich zudem völlig anders ausspricht, schützen zu lassen, in dem auf dem Gerichtswege die Ausrottung des Wortes in anderen Sprachen – hier unter anderem der deutschen und der dänischen – versucht wird, durchzusetzen.

Sylt ist das schwedische Wort für Konfitüre und als solches schon „pc“ (sprich: Pi-ssi).

Das Wort Marmelade, sprich: „Maarmelaade!“, verbieten zu wollen, ist doch Käse.

Aber es ist bereits geschehen. Es ist amtlich. Dabei isst in Mitteleuropa sowieso kaum jemand Konfitüre aus Zitrusobst, ach nee, die Marmelade darf man ja ‚Marmelade‘ nennen.

Alles Marmelade oder was (anderes)?

Marmelade, gut‘ Nacht! Selbstgemacht, darauf kommt es an! Dann darf Marmelade noch Marmelade heißen. © 2019, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Natürlich sagt in ganz Deutschland nicht jeder „Marmelade“. In ganz Deutschland? Sowieso nicht. In der Pfalz heißt es Schmier oder Schmeer. Da Schmeer süß is‘: Sießschmeer im Saarland. Die Schwaben haben Gsälz, im Badischen schlecken‘s Schlecksl oder Schleckl. Dabei findet der schwäbische Ausdruck Gsälz nicht nur in Württemberg Verbreitung, sondern über die engere Sprachgrenze hinaus. Auch in Baden möchten manche in Marmelade baden und nennen sie Gsälz.

Deutsch spricht man nicht nur in Deutschland. in Luxemburg beißt man mit oder ohne Gebiss richtig rein: „Gebêss“.

Schweizerisch: Der Sprachatlas für die deutschsprachige Schweiz weiß: ‘S heißt Konfi oder Gomfi.

Wikipedia bemerkt trocken: „Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich die Bezeichnung Marmelade trotz geänderter Verordnungen nach wie vor für Produkte aus Früchten aller Art erhalten.“

Was für ein Trost.

– Kommentar von Andreas Hagemoser zum Thema Sprachverfall und Entfremdung.

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1 Kommentar

  1. Dabei wurde noch nicht auf den wichtigen Fakt hingewiesen, dass KONFITÜRE vorher einen süßen Brotaufstrich MIT FRUCHTSTÜCKEN bezeichnete, Marmelade hingegen enthielt keine Fruchtstücke. Da jetzt alle Marmeladen – vergessen wir mal den Quatsch mit den Bitterorangen – Fruchtstücke enthalten können, ist der Begriff KONFITÜRE jetzt MISSVERSTÄNDLICH!

    Wer braucht zwischen Augsburg und Ulm schon einen Aufstrich aus spanischen Bitterorangen, der in England hergestellt wurde? Niemand. Und wenn doch: Dafür in Mitteleuropa das Wort „Marmelade“ verbieten zu wollen, ist ungehörig, um nicht Schlimmeres zu sagen!!

    Fassen wir zusammen:
    Vorher: Alles gut: „Konfitüre“ war das Wort für Marmelade mit Fruchtstücken, „Marmelade“ die Bezeichnung für Fruchtaufstrich ohne Fruchtstücke, englische „marmelade“ war für die Außenseiter-Import-Produkte aus Großbritannien mit Zitronen und Orangen.
    Jetzt: Durcheinander. Konfitüre ist jetzt unscharf und kann beides bedeuten. Marmelade darf man nicht mehr sagen und das englische Wort braucht eigentlich niemand. Schilda.

    Wir lieben ja die Briten für Ihre Traditionen. Aber sich auf dem Festland in den WORTSCHATZ einzumischen und zu erwarten, dass alle „Kontinentaleuropäer“ das gut finden, da hat jemand mit Zitronen gehandelt. Mit May oder ohne, ein Brexit hat auch sein Gutes. Die deutsche Sprache steckt so voller englischer und halbenglischer Begriffe wie Public Viewing, dass mancher Einheimische schon nicht mehr weiß, wie das deutsche Wort für etwas lautet. Das geht zu weit.
    Jetzt auch noch deutsche Wörter per Gesetz zu verbieten, und das seit 2003, ist doch eine Frechheit, oder?
    Wenn wir uns dran halten an die EU-Gesetze, auch nach dem britischen Austritt, haben wir keine Möglichkeit mehr, Marmelade mit und ohne Fruchtstücke sprachlich zu unterscheiden. Es sein denn, man sagt“ Konfitüre ohne Fruchtstücke“, was umständlich und lang ist und auch nur halbrichtig.
    Wenn die Briten weg sind, sollte man in Brüssel die Vorschriften rückgängig machen! Und anschließend in Deutschland und Österreich die Gesetze wieder ändern auf den vorigen Stand vor 2003!

    Sonst wird 2040 ein Kind unter „Marmeladen“ vielleicht einen Laden für Murmeln verstehen.