Millionen im Schatten – Western Union und die sieben Zwerge machen Bombengewinne an Arbeitsmigranten

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Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Schon wieder oder noch immer werden in Gottes eigenem Deutschland Migranten, Flüchtlinge und Asylanten schief angesehen, angefeindet und verdächtigt, sie könnten »den Deutschen« etwas wegnehmen. Dabei hatten jene noch Glück, die als Malocher des Wirtschaftswunders ins Land geholt wurden. Auch sie haben »in die Hände gespuckt und steigerten das Bruttosozialprodukt«. Ihr Ziel war, ihre Familien zu Hause zu ernähren oder sie später nachzuholen. Noch heute werden aus Deutschland allein über den Finanzdienstleister Western Union jährlich mehr als 10 Milliarden Dollar in die Heimatländer überwiesen.

200 Millionen Arbeitsmigranten weltweit verdienen ihr Geld im Ausland. Davon schicken sie jährlich 420 Milliarden Dollar nach Hause – ein Markt und ein Geschäft. Wie es dort zugeht, haben Monika Hielscher und Matthias Heeder für ihre Dokumentation »Money in Minutes« untersucht. Das Prinzip ist einfach. Die Arbeiter gehen mit ihrem Geld zu einem Bargeldtransferdienst wie Western Union, MoneyGram oder Orlandi Valuta, die in aller Welt Filialen haben und dank der Computertechnik in wenigen Minuten das Geld im Bestimmungsland an die Familie auszahlen können.

Der größte Transferdienst ist der US-Konzern Western Union (WU), der allein 80 Milliarden Dollar im Jahr umsetzt. Aus einem Telegrammdienst hervorgegangen, ist sein Kerngeschäft der Geldtransfer geworden. Er besitzt heute 455 000 Vertriebsstellen mit 10 000 Beschäftigten. Weil WU durch den Aufkauf von Konkurrenten der Größte der Branche ist, spricht man von Western Union und den sieben Zwergen.

Da Geldüberweisungen gewöhnlich von Banken oder von der staatlichen Post getätigt werden, halten die Migranten WU für ein staatliches Institut und vertrauen ihm ihr Geld an. Millionen Arbeitsmigranten sind illegal, sie leben »im Schatten«, sie haben kein Bankkonto, müssen sich nicht ausweisen, aber ihr Geld wird über die Transferdienste überwiesen. In den USA leben Millionen Arbeitsmigranten aus Lateinamerika legal oder illegal und schicken Geld nach Hause. In Dubai leben allein in einem Stadtviertel 200 000 Migranten, die von ihrem kargen Lohn von 400 Dollar pro Monat 300 Dollar nach Indonesien, Indien, Nepal oder nach Afrika überweisen.

Die Autoren schildern, wie die Dienste ihre Kunden mit Gebühren von 10 und 20 Prozent ausnehmen. Kursgewinne bringen zusätzlich Milliarden ein. Hinzu kommen illegale Geschäfte mit Menschen- und Drogenschmuggel zwischen den USA und Mexiko mittels des Bargeldtransfers. Kollateralschäden wie Verdurstete und Erfrorene in der Sonora-Wüste gehören dazu. Im Film wird die grausige, perfekt eingerichtete Lagerhalle gezeigt, in der die Leichen, die Ausweise und sonstigen Habseligkeiten der Toten der Wüste sorgfältig gelagert werden. Da sind die Behörden korrekt. Vermutet wird im Film auch eine abgekartete Strategie zur Abschiebung gut verdienender Migranten aus den USA, an deren Stelle billigere Arbeitskräfte ins Land kommen.

Kenner der Szene wissen, dass Haiti und El Salvador nur von den überwiesenen Geldern existieren, was in der Theorie gipfelt, dass die Zurückgeblieben aufhören zu arbeiten und nur auf die Überweisungen warten. Fest steht, dass die Entwicklung einer nationalen Wirtschaft in den Entwicklungsländern durch die Abwanderung der jungen Arbeitskräfte und die soziale Abhängigkeit untergraben wird. Wachstumseffekte gehen vom Transfer nicht aus. Aber Bevölkerungswachstum, das Fehlen von Arbeitsplätzen und das Einkommensgefälle führen zu mehr Arbeitsmigration. Die Weltbank und sogar der G8-Gipfel 2009 haben erfolglos die Senkung der Gebühren der Transferkonzerne gefordert. Das Geschäft blüht mit wachsender Armut. Die Klage eines amerikanischen Anwalts wegen Betrugs mittels der Kursgewinne brachte einen Teilerfolg. Die Konzernleitungen von Western Union und MoneyGram haben Auskünfte an das Filmteam abgelehnt. So bleibt zum Beispiel offen, wo und wie die Dienstleister ihre Gewinne versteuern und welche Extraprofite daraus sprießen.

Seit zwei Jahren wartet das Team auf die Ausstrahlung der Doku im Fernsehen. Noch nicht dokumentiert ist die neueste Entwicklung. Wie die Transferdienste ein Geschäft wittern, beobachteten Heeder und seine Kollegen während der »Flüchtlingskrise«. Als die Hilfsorganisationen aus Geldmangel die Lebensmittelrationen in der Türkei kürzten, lag der Aufbruch der Massen nach Europa in der Luft. Prompt wuchsen entlang der »Balkanroute« Filialen von WU wie Pilze aus dem Boden, die die Flüchtlinge mit Bargeld versorgten, diesmal mit Überweisungen von »zu Hause«. Die Flüchtlinge ersparten sich das Mitnehmen größerer Geldbeträge auf dem gefährlichen Wege. Auch hier werden Not und Gefahr für ein profitables Geschäft ausgenutzt, das »Perspektive« hat. In puncto »Nase« können die Geheimdienste oder Herrn Steinmeiers Diplomaten von WU und Co. etwas lernen.

Im Film wird die Geldschneiderei der Transferdienste offengelegt. Die Profite der »Arbeitgeber« gehören nicht zum Thema. Sie dürften noch saftiger sein.

Wer die Doku sieht, begreift, dass sich das ändern muss. Aber wie viele Zuschauer werden um 23.15 Uhr noch diese Lektion ansehen? Der Ausbruch der Revolution, wie Erwin Piscator es sich vorstellte, ist nicht zu erwarten.

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Money in Minutes, Dokumentation von Matthias Heeder und Monika Hielscher, ARTE/WDR, Deutschland 2014, 52 min, Erstausstrahlung auf ARTE Dienstag (26.1.) 23.15 Uhr

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