Mutter, Mutter über alles – Das unglückliche glückliche Leben des Wolfgang Hilbig

Wolfgang Hilbig
Michael Opitz: Wolfgang Hilbig, eine Biographie. © S. Fischer Verlag

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Nach einigen mehr oder weniger halben Versuchen einiger VorgängerInnen, hat sich nun Michael Opitz ernsthaft mit der Biografie des Wolfgang Hilbig befasst. Auf 672 Seiten bearbeitet er hauptsächlich das literarische Feld Hilbigs und bietet einen (in erster Linie) literaturwissenschaftlichen Zugang zu dessen Werk und Biografie.
Das mag an den Belangen noch lebender Personen liegen, doch dem interessierten Zeitgenossen fehlt in Opitz Lebensbild leider ein wenig das Grundlegende jeder spannenden Biografie: Das Suppenfleisch des Lebens.

Ohne ins Reich des Spekulativen abzurücken, ist doch gerade die komplexe Wirklichkeit des 1941 geborenen, sogenannten Arbeiterschriftstellers, eine Bezeichnung, gegen die sich Hilbig sein ganzes Leben gewehrt hat, eine Ansammlung von wahren Abgründen, die es zu deuten und zu bearbeiten gilt. Es beginnt mit der Familie, der Opa ein brutaler Schläger, Trinker und Analphabet, der Vater im Krieg verschollen, die Mutter eine einfache Frau, die ihr Kind bis weit nach der Pubertät im Ehebett schlafen lässt. Ist es da ein Wunder, dass Hilbig Zeit seines Lebens ein Beziehungsscheiternder ist? Er sucht die Nähe der Frauen, doch zu viel Nähe bringen Probleme. Fürsorge ja, Alltag nein?

Aufgewachsen im Kaff Meuselwitz ist Hilbig ein klassischer Schulversager, verlässt die Schule in der 8. Klasse und erlernt den Beruf eines Bohrwerksdrehers. In der Pubertät beginnt Hilbig zu schreiben (und wächst über die Jahre zum Autor von Weltrang), inspiriert von Groschenheften, ein wahres Wunder für einen Jungen, der in einem bildungsfernen Haushalt aufwächst. Seine Mutter hält von der Schreiberei nichts, ja verachtet sie.

Die DDR bezeichnet Hilbig später als KZ, trotzdem verlässt er sie nicht, was bis 1961 (da war Hilbig bereits zwanzig) leicht möglich gewesen wäre. Er geht zur NVA und lässt sich auf die DDR ein. Oder auf die Mutter? Hier gibt Opitz keine klaren Antworten.

Hilbig bleibt immer irgendwie bei der Mutter, unterm mütterlichen Rock, kehrt bis in die 80er immer wieder in ihr warmes Nest zurück, das ihm Zeit seines Lebens gehasste und geliebte Zuflucht bleibt. Hilbig ist süchtig. Hilbig trinkt, nein er säuft ganze Schnapsflaschen aus. Hilbig ist Alkoholiker, mal trocken, mal nicht. Erst kurz vor seinem Tod, schwer vom Krebs gezeichnet, sagt er sich von der Mutter los. Warum so spät und erst auf der Totenbahre? Welchen Anteil hat Hilbigs letzte Partnerin daran? Warum überträgt er dieser Dame sein literarisches Erbe?

Der Schriftsteller Hilbig wird von Opitz ausführlich beleuchtet, der Mensch Hilbig bleibt versteckt im Werk.

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Michael Opitz, Wolfgang Hilbig, Eine Biographie, 672 Seiten, S. Fischer Verlag, Frankfurt 2017, ISBN: 3-10-402210-9, 24,99 Euro

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