Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Es war ein ernüchternder Beleg dafür, dass große Namen keineswegs immer Garanten für große künstlerische Leistungen sind: Wir haben an dieser Stelle über die beiden Abende mit Placido Domingo in der Arena di Verona ausführlich berichtet – die Verdi-Gala mit Domingo als Sänger am 25. August und Turandot mit Domingo am Dirigentenpult am 26. August. Beide Abende waren desaströs: Der Weltstar schlug sich schlecht und recht durch zwei Verdi-Opern, Aida und Don Carlo, bei der dritten, Macbeth versagte die Stimme und er konnte seinen Auftritt nicht zu Ende führen. Dafür stand er am nächsten Abend voll Vitalität vor dem Orchester – und aus der grandiosen „Turandot“ wurde eine lustlos-temperamentlose Angelegenheit, noch dazu mit einer Turandot, die man lieber nicht hätte hören wollen.
Der Kontrast hätte stärker nicht sein können, denn es folgten zwei spektakuläre Vorstellungen – die „Carmen“, mitreißend dirigiert vom dynamischen Marco Armiliato und am nächsten Abend „Aida“ mit dem phänomenalen Verdi-Spezialisten Daniel Oren am Pult und Jonas Kaufmann als einzigartiger Radames. Das Domingo-Debakel hatte ein Nachspiel: Der einst so fantastische Tenor sandte Entschuldigungsbriefe sowohl an den Bürgermeister der Stadt Verona, Damiano Tomassi, und die Direktorin des Arena-Festivals, Cecilia Gasdia.
Er sei sich bewusst, schrieb Domingo, dass „das Niveau meines künstlerischen Auftritts nicht dem Niveau Ihrer und meiner eigenen Erwartungen entsprach“. Dafür gebe es keine Entschuldigung (obwohl Domingo sich sehr wohl entschuldigte…); ich anerkenne, dass ich mich in diesen Vorstellungen übernommen habe. Wenn man auf der Bühne und ganz besonders am Dirigentenpult steht, ist Konzentration fundamental. „Ich glaubte bis zum Ende der Vorstellung, dass mir die positive Energie der vollbesetzten Arena und deren Personals die Kraft geben würde, dem Publikum mein Bestes zu geben, obwohl ich von weither angereist bin. Diese Gala wurde speziell für mich veranstaltet und aus diesem Grund entschuldige ich mich beim gesamten Personal der Arena“.
Das Orchester hatte sich nach der von Domingo dirigierten „Turandot“ demonstrativ geweigert, sich wie üblich nach Ende der Vorstellung zu Ehren des Dirigenten zu erheben (wie dies an den folgenden beiden Abenden sehr wohl der Fall war). Domingo gab in seinem Schreiben zu, dass ihn die Weigerung des Orchesters, ihn zu ehren, verletzt habe – aber als Musiker könne er dies verstehen.
Die Gewerkschaft (Sindicato Lavoratori della Communicazione SLC), welche viele der in der Arena Beschäftigten vertritt, hatte ihrerseits einen Brief geschrieben, in welchem sie ihrer Empörung über die Qualität der Vorstellungen Ausdruck gab: Diese hätten zu den „erniedrigensten“ in der Geschichte der Arena gehört. Die Gewerkschaft forderte, dass das Engagement Domingos in der Veranstaltung zum 100. Jubiläum der Arena-Festspiele im kommenden Jahr „überdacht“ werden solle.
Das Domingo an diesen beiden spektakulär gescheiterten Abenden vor Tausenden von Zuschauern ganz offensichtlich unter Konzentrationsmängeln litt,a ist eigentlich verständlich, nachdem die American Guild of Musical Artists nach einer entsprechenden Untersuchung zum Schluss gekommen ist, dass sich Domingo gegenüber Künstlerinnen „unangemessen“ verhalten habe. Mehr als drei Dutzend Sängerinnen, Tänzerinnen und Musikerinnen sowie Stimmtrainerinnen haben nach eigenen Aussagen in den letzten drei Jahrzehnten „unangemessenes“ Verhalten des Opernsängers beobachtet oder selbst erfahren. Dazu kommt, dass die argentinische Staatsanwaltschaft Vorwürfen nachgeht, laut denen Domingo angeblich in Verbindung mit einer kriminellen Organisation gebracht wird, die mit illegaler Prostitution, unter anderem auch mit Minderjährigen, verantwortlich sein soll.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Dr. Charles E. Ritterband wurde am 2.9.2022 in „Klassik begeistert“ erstveröffentlicht.