Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Auch auf dieser 66. Berlinale wird die filmische Aufarbeitung des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Herrschaft des Dritten Reiches weiter fortgeführt. Nachdem dies 2005 mit „Sophie Scholl“ und im letzten Jahr mit „Georg Elser“ der Fall war, widmet sich der Film „Jeder stirbt für sich allein/Alone in Berlin“ nach dem Roman von Hans Fallada dem Ehepaar Otto und Anna Hample (Brendan Gleeson und Emma Thompson), die im Film Quangel heißen. Beide leisteten Widerstand gegen die Naziherrschaft mit denkbar einfachsten Mitteln. Sie schrieben Postkarten, in denen sie zum Widerstand gegen die NS-Herrschaft aufriefen und diese in ganz Berlin verteilten.
Auslöser dafür war der Tod ihres einzigen Sohnes, der im Frankreichfeldzug gefallen war und der sie an der Ideologie der Nazis zweifeln und aufbegehren ließ. Zwischen 1940 und 1943 verteilten sie im Berliner Stadtraum gut 300 solcher Karten, ehe sie gefasst und hingerichtet wurden.
Der Film, der im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin läuft, zeigt im Kern die Geschichte des Arbeiterehepaares und das Alltagsleben unter dem Nationalsozialismus. Durch die Quangels erleben die Zuschauer die Diskriminierung der Juden im eigenen Wohnhaus, die Bekenntnisse zum Nationalsozialismus unter der Arbeiterbelegschaft, die Anfeindungen und Denunziationen unter den Nachbarn, aber auch die Hilfe unter ihnen. Und selbstverständlich begleiten wir sie, wenn sie unter Lebensgefahr ihre Karten in öffentlichen Häusern und an öffentlichen Orten verteilen.
Im Kinofilm wird klar und deutlich gezeigt, wie einfache Leute mit den banalsten Mitteln (Stift und Postkarte) gegen das Unrecht der Nazis aufbegehrten und dem Gefüge der Naziherrschaft einen Stich versetzten. Das ist kein Dolchstoß, aber ein Stich.
Emma Thompson und Brendan Gleeson scheinen für die Rolle des Ehepaares prädestiniert zu sein. Selten haben wir Emma Thompson, die ja vorzugsweise mit ihren Rollen der eleganten Dame der Gesellschaft in Erinnerung bleibt, in so einer unglamourösen, fast schon hässlichen Erscheinung erlebt. Zusätzlich Spannung baut der Film durch den Kriminalbeamten Escherich (Daniel Brühl) auf, der den Verteiler der Karten jagt. Er gibt dem anonymen Kartenschreiber, der für ihn noch keine Identität hat, den Namen „Klabautermann“. Mit Escherich haben die Quangels einen Gegenspieler und die Geschichte erhält dadurch Elemente des klassischen Kriminalfilms, die den Film klar tragen.
Escherich ist Kriminalbeamter und kein Nazi, er ist jemand, der seinen Beruf pflichtbewusst ausübt und mit der Ideologie der Nazis nichts anfangen kann. Mit der Figur des Escherichs orientiert sich die Filmemacher an den schon genannten anderen Filmen zum nationalsozialistischen Widerstand. In „Sophie Scholl“ war es der Beamte Robert Mohr und Elser der Kripochef Arthur Nebel. Und auch Escherich wird am Ende, wenn die Quangels dem Tode ins Auge sehen und für ihre Taten einstehen, seine Nazi-Gefolgschaft kündigen.
Insgesamt ist auch „Jeder stirbt für sich allein“ eine wichtige filmische Aufarbeitung zum Thema, das die Macher mit dieser Neuverfilmung (es gab schon vier Verfilmungen des Romans) einem jüngeren und internationaleren Publikum nahe bringen wollen. Das gilt auch als Grund dafür, warum die Hauptrollen mit englischen Darstellern und der restliche Cast fast nur mit deutschen Schauspieler besetzt wurde. Falladas Roman war bekanntlich ein internationaler Erfolg und diese deutsch-englische Koproduktion will dem Rechnung tragen.
Denoch kann die Neuinterpretation von Falladas letztem Werk filmisch nicht vollkommen überzeugen. Keine Frage: Der Berlinale-Beitrag ist gut inszeniert und eindringlich gespielt. Brendan Gleeson, Emma Thompson und Daniel Brühl überzeugen in ihren Rollen und heben das Niveau des Film ganz erheblich. Die Absicht der Filmemacher, die Angst und die Denunziationen des Alltagslebens, dem die Quangels ausgesetzt sind, darzustellen, gelingt jedoch nicht wirklich. Dieses Drama wird nur angedeutet und bleiben am Ende oberflächlich. Meist werden Abläufe gezeigt – immerhin und doch nur das. Die wirkliche Angst, die im Alltag des Nationalsozialismus in der Luft lag, kann dieser Film nicht wirklich auf das Publikum übertragen. Dennoch hat diese Produktion besondere Begebenheiten und magische Momente, wie am Ende der Geschichte, als Otto Quangel zum Schafott geführt wird und Escherich fragt, ob er noch etwas für ihn tun könne, worauf Otto Quangel mit ironischem Unterton um Stift und Karte bittet. Klasse, dennoch insgesamt kein großer, wohl aber ein sehenswürdiger Film.
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Titel: Jeder stirbt für sich allein (Alone in Berlin)
Land/Jahr: Deutschland 2016
Regie: Vincent Perez
Darsteller: Bendan Gleeson, Emma Thompson, Daniel Brühl, Mikael Persbrandt.
Dauer: 97 Minuten